Die Tunesier wehren sich gegen den islamistischen Terror in ihrem Land. Aber sie wollen auch nicht, dass durch strengere Gesetze wieder eine Bunkermentalität entsteht, wie sie unter der Diktatur herrschte Foto: AFP
Sidi Bou Said ist voller Menschen. Der warme, sonnige Frühlingstag zieht die Besucher in den malerischen Vorort von Tunis, von dessen Hügeln man einen atemberaubenden Blick über die Hauptstadt und das Meer hat. Lange Schlangen bilden sich vor der Eisdiele und dem Stand mit Zuckergebäck, die Terrassen der Cafés sind voll besetzt.
Viele Menschen schlängeln sich zwischen den weiß-blauen Häusern die Fußgängerzone entlang. Das kleine Dörfchen hat schon die Maler August Macke und Paul Klee inspiriert. Auch heute noch ist es ein beliebtes Ausflugsziel. Doch wo sich sonst Touristen drängeln, sind heute nur Tunesier unterwegs. Am Ende der Straße stehen zwei Polizisten Wache.
Sidi Bou Said spürt die Folgen des Anschlags ganz besonders. Der Ort war fester Bestandteil des Besuchsprogramms von Kreuzfahrttouristen. Die großen Reedereien haben Tunis seit dem 18. März aus dem Programm genommen, der Busparkplatz am Ortsrand ist leer, die Kreuzfahrten sind zunächst bis Juni ausgesetzt.
"Ab April kamen normalerweise vier, fünf Schiffe pro Woche. Heute kommen nur noch Libyer und Algerier", berichtet Fathi. Er hat zehn Jahre in Deutschland gelebt, bei VW in Kassel und in einer Metallfabrik in Dortmund gearbeitet. 1982 ist er nach Tunis zurückgekehrt und hat einen Souvenirladen eröffnet. Solch eine Krise, wie sie der tunesische Tourismus in den letzten Jahren durchlebt, hat er noch nie gesehen. Die Politik sei jetzt gefragt, sie müsse für Sicherheit sorgen und die ausländischen Besucher beruhigen, meint er.
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"Wir werden alles tun, um diese Saison so sicher wie möglich zu machen", versichert Tunesiens Innenminister Mohamed Najem Gharsalli. Flughäfen, Hotels, Museen und archäologische Stätten würden besser gesichert, erklärt Tourismusministerin Selma Elloumi Rekik. So müssen zum Beispiel alle Hotels Metalldetektoren einführen. "Ich bin dagegen, dass wir Hotels zum Bunker umfunktionieren", sagt hingegen Hotelbesitzerin Mouna Ben Halima. Natürlich werde genau kontrolliert, wer in ihr Hotel "La Badira" in Hammamet komme. Wie in einem Hochsicherheitstrakt aber sollten die Gäste sich nicht fühlen.
Erst Ende vergangenen Jahres hat Ben Halima ihr Fünf-Sterne-Hotel eröffnet. Minimalistischer Luxus, edle Restaurants und keine Kinder, so ihr Konzept. Denn genau das fehle in Tunesien, wo Badeurlaub zu oft mit Billigtourismus gleichgesetzt und schlechte Hotels jahrelang vom Staat subventioniert würden.
Extremisten hatten im März vor dem Bardo-Museum im Herzen von Tunis um sich geschossen. Mehr als 20 Menschen starben, die meisten von ihnen waren Touristen. Doch der tunesische Tourismus liegt nicht erst seit diesem Anschlag am Boden. Veraltete Hotelanlagen, mittelmäßiger Service und die reine Konzentration auf Strandtourismus haben den devisenträchtigen Sektor schon vor Jahren in die Krise gestürzt.
Der politische Umbruch und die Angst vor islamistischem Terror haben seit 2011 ihr Übriges dazu getan. Die Zahl der Besucher ist seit 2010 um mehr als 17 Prozent zurückgegangen, die der Übernachtungen gar um fast 30 Prozent, besagt die erschütternde Bilanz des Tourismusministeriums. Im Vergleich zum Vorjahr steht Tunesien 2015 noch einmal schlechter da. Der Tourismus macht in dem nordafrikanischen Land rund sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, Hunderttausende der knapp elf Millionen Einwohner sind direkt oder indirekt von ihm abhängig.
Überwachungsvideos zeigen Museums-Attentäter
Auch im "La Badira" haben viele Gäste ihre Buchungen storniert. "Zwei Gruppen aus Frankreich und den Vereinigten Staaten haben für den April abgesagt, 60 Personen. Bei einem Hotel mit 120 Zimmern tut das richtig weh, gerade am Anfang", sagt Ben Halima, die aus einer Hoteliersfamilie stammt. Am Tag nach dem Attentat hätten ihre Angestellten bei der täglichen Besprechung ein Gesicht wie bei einer Beerdigung gemacht, erzählt sie. "Wir müssen jetzt erst recht zeigen, dass wir es ernst meinen. Ich war nie am Boden zerstört, und wir werden auch dieses Hindernis nehmen", ist die dynamische Hotelbesitzerin überzeugt. Zwei Wochen nach dem Anschlag hat sie den Wellness-Bereich eröffnet. Die Kunden werden wiederkommen, ist sie sicher.
Weg vom billigen Badetourismus - mehr Luxus, mehr Kultur und Natur sollen in Zukunft das Bild Tunesiens im Ausland prägen, wenn es nach der Tourismusministerin geht. Mitte April startet eine neue Imagekampagne. Unter dem Motto "Ich fahre nach Tunesien" sollen Künstler, Sportler und andere bekannte Gesichter für Urlaub im Mittelmeerland werben.
Dennoch bleiben viele Fragen nach dem Angriff auf das Bardo-Museum offen. Zwei Tage nach dem Anschlag hatte sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu der Tat bekannt. Gut eine Woche später, in der Nacht vor einer Solidaritätsdemonstration mit vielen internationalen Gästen wie Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Bundesinnenminister Thomas de Maizière, töteten tunesische Sicherheitskräfte neun Mitglieder der Okba-Ibn-Nafaa-Brigade. Darunter befand sich auch ihr Anführer, der Algerier Lokman Abu Sakhr. Es handele sich bei den Getöteten um die Hintermänner des Angriffs auf das Museum, erklärte Tunesiens Innenminister.
Die Brigade, die in den vergangenen Jahren für mehrere Angriffe auf tunesische Sicherheitskräfte verantwortlich war, bekennt sich jedoch ihrerseits zu al-Qaida im Islamischen Maghreb, nicht zum Islamischen Staat. Hat sich also ein Teil der Okba-Ibn-Nafaa-Brigade von al-Qaida abgespalten? Oder wollten die tunesischen Behörden schlicht so kurz vor dem internationalen Besuch Erfolge vorweisen und sich nicht eingestehen, dass der IS auch in Tunesien aktiv ist? Anfang April kamen bei einem Angriff in der Nähe der westtunesischen Kleinstadt Kasserine in der Grenzregion zu Algerien fünf Soldaten ums Leben. Zu diesem Angriff bekannte sich die Gruppe "Soldaten des Kalifats", die dem IS angehört.
Direkt nach dem Angriff riefen Politiker und Bürger, möglichst schnell ein neues Anti-Terror-Gesetz zu verabschieden. Dessen Entwurf wurde am Tag des Anschlags gerade im Parlament debattiert, als im angrenzenden Museum die ersten Schüsse fielen. Während die Ennahda-Abgeordnete Saida Ounissi warnte, das Gesetz sei zu schwammig und würde elementaren Standards der Menschenrechte nicht entsprechen, forderte manch anderer jetzt erst recht hartes Durchgreifen gegen mutmaßliche Terroristen. "Die Menschenrechte sind mir egal, wenn es um Terrorismus geht. Ich bin bereit, auf meine Freiheiten zu verzichten", meinte etwa Abdelmajid Belaid, Bruder des linken Oppositionellen Chokri Belaid, der im Februar 2013 von mutmaßlichen islamistischen Terroristen getötet wurde.
Der Gesetzentwurf soll in den kommenden Wochen vom Parlament verabschiedet werden und das derzeit noch gültige Anti-Terror-Gesetz aus dem Jahr 2003 ablösen. Scharfe Kritik an dem Entwurf kommt vor allem von Menschenrechtsorganisationen, die eine Rückkehr eines autoritären Regimes fürchten. Zwar gebe es einige Verbesserungen im neuen Gesetzentwurf, insgesamt sei er jedoch problematisch, warnt die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch. Die Definition von Terrorismus sei zu weit gefasst.
Die "Schädigung von öffentlichem oder privatem Eigentum, von Ressourcen oder Infrastruktur" als Terrorismus zu definieren könne benutzt werden, um Demonstrationen oder zivilen Ungehorsam als Terrorismus zu kriminalisieren, so die Organisation. Die Meinungsfreiheit einzuschränken und die Bürger abzuhören sei mit dem neuen Gesetz ebenfalls zu leicht möglich. Der Gesetzentwurf sieht zudem die Todesstrafe für terroristische Taten vor, bei denen Menschen ums Leben kommen. Seit 1991 hat Tunesien ein Moratorium über die Todesstrafe verhängt, allerdings wurde sie auch in der neuen Verfassung von 2014 nicht verboten.
Amna Guellali, Leiterin des Büros von Human Rights Watch in Tunis, sorgt sich außerdem um die Rechte von Verdächtigen. Sie dürfen bis zu zwei Wochen in polizeilichen Gewahrsam genommen werden, ohne dem Richter vorgeführt zu werden. In diesen zwei Wochen ist es ihnen untersagt, einen Anwalt oder ihre Familie zu kontaktieren.
Seit 2014 seien in Tunesien Guellali zufolge mehr als 3000 Terrorverdächtige festgenommen worden, ihr Verbleib und die Anzahl der Verfahren und Verurteilungen sind oft nicht bekannt. Die Menschenrechtlerin fürchtet, dass mit dem neuen Gesetz Folterfälle in tunesischen Polizeiwachen wieder Alltag würden. Unter der Herrschaft des Machthabers Zine al-Abidine Ben Ali waren Übergriffe der Sicherheitsbehörden nahezu an der Tagesordnung. Kaum ein Tunesier will dahin zurück. Aber alle Tunesier wollen Ruhe und Frieden.