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Tunesiens Präsident kündigt Verfassungsreform und Wahlen an

Tunesien steckt in einer Wirtschaftskrise. Der Druck auf Präsidenten Kais Saied ist riesig. In dieser Lage kündigt er eine Verfassungsreform und Wahlen für das kommende Jahr an.

Tunis - Wer eine „Roadmap" wolle, einen Plan, wie es weitergeht, der solle in die Geografiebibliothek gehen, hatte Kais Saied im Sommer fast trotzig kritische Stimmen abgebügelt, die auf einen Fahrplan für die Schritte nach seiner Machtübernahme am 25. Juli gedrängt hatten. Fast fünf Monate später ist der Zeitplan nun doch da. Überraschend kommen die meisten Schritte nicht, doch zum ersten Mal stehen klare Daten dahinter.

Am Montagabend (13.12.2021) erklärte Saied in einer Fernsehansprache, von Anfang Januar bis zum 20. März, dem Unabhängigkeitstag Tunesiens, könnten die Bürgerinnen und Bürger online Reformvorschläge einreichen. Ein Komitee aus Fachleuten soll auf dieser Grundlage dann die Verfassung reformieren. Im September hatte Kais Saied die aktuelle Verfassung, die nach der Revolution 2011 geschrieben worden war, weitestgehend außer Kraft gesetzt. Der neue Verfassungsentwurf soll, so der Plan, am 25. Juli 2022, ein Jahr nach der Machtübernahme des Präsidenten, in einem Volksentscheid den Bürgerinnen und Bürgern zur Abstimmung vorgelegt werden. Sollte er eine Mehrheit erhalten, dann fänden im Dezember 2022 Parlamentswahlen statt.

Tunesiens Präsident Kais Saied ist zunehmend unter Druck

In jüngsten Umfragen war die Zustimmung für Kais Saied langsam gesunken. Während unmittelbar nach seiner Machtübernahme im Sommer noch mehr als 80 Prozent der Befragten hinter ihm standen, sind es mittlerweile nur noch 62 Prozent, so eine am Dienstag in der tunesischen Tageszeitung „Al Maghreb" veröffentlichte Umfrage. Fast die Hälfte der Befragten gab an, das Land bewege sich in die falsche Richtung - dreißig Prozent mehr als noch im Oktober.

Tunesien steckt seit Jahren in einer massiven wirtschaftlichen und finanziellen Krise. Die konstant hohe Inflation und die Arbeitslosigkeit belasten zunehmend auch die Mittelschicht des Landes. Verhandlungen über Haushaltshilfen mit dem Internationalen Währungsfonds liegen seit der Machtübernahme des Präsidenten weitgehend auf Eis. Selbst die Golfstaaten oder Nachbar Algerien, von denen erwartet worden war, dass sie Tunesien kurzfristig zu mehr Liquidität verhelfen, haben bis jetzt keine klaren Zusagen gemacht. Einen Haushalt fürs kommende Jahr hat die Regierung bis jetzt noch nicht vorgelegt.

Zuletzt hatten sowohl tunesische als auch internationale Akteure den Druck auf den pensionierten Jura-Dozenten Saied erhöht. Der einflussreiche Gewerkschaftsbund UGTT drängte auf einen Dialog aller politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfte, um einen Ausweg aus der Krise zu finden. Am Freitag hatten die Botschaften der G7-Staaten in Tunesien eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie der Bevölkerung ihre Unterstützung aussprachen und eine „schnelle Rückkehr zu funktionierenden demokratischen Institutionen" forderten.

Saied, der im Oktober 2019 mit fast drei Vierteln der Stimmen gewählt worden war, hatte am 25. Juli in einem verfassungsrechtlich umstrittenen Schritt den Notstand ausgerufen, den damaligen Regierungschef entlassen und die Arbeit des Parlaments auf Eis gelegt. Dieses bleibt auch nach seinen Ankündigungen vom Montagabend suspendiert. Die im Oktober ernannte Regierungschefin Najla Bouden Romdhane ist bis jetzt politisch kaum in Erscheinung getreten. (Sarah Mersch)

Rubriklistenbild: © FETHI BELAID/AFP

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