Die Darmstädter Soziologin Cornelia Koppetsch ist im vergangenen Jahr mit ihrem Buch „Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter" sowohl akademisch wie in der medialen Öffentlichkeit heftigen Vorwürfen ausgesetzt gewesen. Die Kritik setzte auf sehr verschiedenen Ebenen an. Neben den gegen das Buch erhobenen Plagiatsvorwürfen, deren Triftigkeit zumindest durch neutrale Verfahren überprüfbar ist, entzündete sich an dem Werk ein völlig anders motivierter politischer Affekt, dessen Berechtigung unabhängig von formalen Regelverstößen zu beurteilen gewesen wäre. Da das bisher kaum geschehen ist, die Plagiatsvorwürfe vielmehr zum Anlass genommen wurden, sich mit der Anstößigkeit von Koppetschs Buch gar nicht zu beschäftigen, steht eine Beurteilung von dessen soziologischem Erkenntnisgehalt ebenso aus wie eine Antwort auf die Frage, wie die gegen Koppetsch gerichteten politischen Unterstellungen zu bewerten sind.
Koppetsch nimmt in ihrem Buch den erstarkenden Rechtspopulismus als Gelegenheit zu einer Gesellschaftsanalyse, die diesen als soziales Symptom ernst nimmt, statt seine Protagonisten und Anhänger einfach als manipulative oder manipulierte Vertreter einer inopportunen und daher gefährlichen Meinung zu verharmlosen. Obwohl ihre Studie als Beitrag zum Aufstieg der AfD zunächst rasch zum Bestseller avancierte, gab es von Beginn an Kritik sowohl an Koppetschs Person als auch an ihrer vermeintlich sympathisierenden Haltung gegenüber dem Rechtspopulismus. Diese Anfeindungen wurden nach den Plagiatsvorwürfen und der Herausnahme des Buches aus dem Programm des Transcript-Verlags kaum mehr diskutiert. Dabei lassen sich gerade an ihnen Konturen einer gesinnungspolitischen Diskursunfähigkeit nachzeichnen, die für die an den Universitäten virulente „Cancel Culture" typisch ist und sich dadurch auszeichnet, dass Forschung - in Koppetschs Fall empirische Sozialforschung - als sozialpädagogische Erziehungsmaßnahme missverstanden wird. Forschungsergebnisse, die zu anderen als den für politisch probat erachteten Resultaten führen, werden dabei zunehmend moralisch in Verruf gebracht, statt ihnen inhaltlich zu widersprechen.
So befasste sich Tom Uhlig, Bildungsreferent an der Bildungsstätte Anne Frank, in der Monatszeitschrift „Konkret" unter der martialischen Überschrift „Empathy for the devil" mit Koppetschs Studie. In dem Artikel, der zunächst auch online verfügbar war und später von „Konkret" ohne Erklärung aus dem Netz genommen wurde, münzte er nicht nur Koppetschs Versuch, die Beliebtheit rechtspopulistischer Parteien auf Basis empirischen Materials dem Verständnis zugänglich zu machen, in eine mangelnde Abgrenzung gegen die AfD um, sondern nahm die Vorwürfe zum Anlass für Phantasien darüber, ob Koppetschs Mitarbeiter und Freunde der Wählerklientel der AfD angehörten.
In zwei weiteren Artikeln, diesmal für die Wochenzeitung „Jungle World", verglich Uhlig Koppetsch wegen ihrer Kritik an dem von ihr „kosmopolitisch" genannten postmodernen Sozialcharakter mit dem früher linken, inzwischen rechtsextremen Publizisten Jürgen Elsässer. Der Begriff des Kosmopolitismus, dessen kritische Verwendung Koppetsch auch von dem Soziologen Floris Biskamp zum Vorwurf gemacht wurde, hat indes in ihrem Buch eine andere Funktion. Laut Koppetsch sind für den Sozialcharakter des heutigen „Kosmopoliten" nicht Internationalität und Weltläufigkeit kennzeichnend, sondern eine scheinbare Toleranz, die bei ausbleibendem Konsens sofort in Denunziation umschlagen kann - ein Verhalten, das Kritiker wie Uhlig aus der Perspektive des zivilgesellschaftlichen Oberaufsehers an Koppetsch selbst exekutieren. Koppetsch jedoch verteidigt nicht den Rechtspopulismus, sondern kritisiert, dass die gegenwärtige Linke als Teil eines selbstvergessenen urbanen Bürgertums mit ihrer Identitätspolitik zur rechten Kritik des Kosmopolitismus keine Alternative darstelle.
Überhaupt scheint das akademische Milieu, dem Koppetsch angehört, sich an ihrem Begriff der „kosmopolitischen Elite" besonders zu stören. Dabei ähnelt Koppetschs Argumentation stark der, die von den französischen Sozialwissenschaftlern Luc Boltanski und Eve Chiapello bereits 1999 in ihrem hierzulande als weniger skandalös wahrgenommenen Buch „Der neue Geist des Kapitalismus" entwickelt wurde. Darin analysieren die Autoren Zusammenhänge von ökonomischer Desintegration und staatlicher Integration, für die linke Gegner des „Neoliberalismus" meist blind sind. Die von der Achtundsechziger-Bewegung im Namen der Gegenkultur proklamierten Ideale wie Autonomie, Emanzipation, Eigenverantwortung, Freiheit und Kreativität nahmen demnach unbewusst schon den Wandel vorweg, den der Spätkapitalismus seit den achtziger Jahren durchlaufen hat. Das postindustrielle Bürgertum passt sich laut Koppetsch diesem Wandel mit seinen Idealen der Selbstoptimierung, Flexibilität oder des lebenslangen Lernens an. Das nachbürgerliche Modell des „unternehmerischen Selbst" setzt sich zum bürgerlichen Staat nicht in ein reflektiertes Verhältnis, sondern macht dessen Imperative zum individuellen Lebensentwurf.
Genau dieses Milieu ist es, das mittlerweile den Diskurs der Universitäten wie der Medien maßgeblich bestimmt. Identitäts- und symbolpolitisch besetzte Themen wie Klimagerechtigkeit, Genderpolitik, eine an ästhetischen Prinzipien orientierte Lebensführung und die Selbstverwirklichung „im Job" bewegen Menschen, die in der kulturellen, nicht aber in der ökonomischen Elite angesiedelt sind. Die außeruniversitäre Mittelschicht der ländlichen wie städtischen Peripherie und des urbanen Prekariats werden durch solche Themen erst recht nicht berührt.
Mit ihrem Konzept der theoriegeleiteten Empathie nimmt Cornelia Koppetsch den Rechtspopulismus als gesellschaftstheoretische Herausforderung ernst, was notwendig voraussetzt, AfD-Wähler nach den Gründen ihrer Entscheidung zu fragen, ohne schon ein Urteil über sie gefällt zu haben. Der Faschismustheoretiker Roger Griffin erläutert den Begriff der theoriegeleiteten Empathie dahin gehend, dass der effektivste Weg des Umgangs mit Rechtspopulisten darin bestehe, qua methodischem Einfühlungsvermögen zu rekonstruieren, was die Ursachen ihrer Ressentiments seien. Unter methodischem Einfühlungsvermögen verstehen weder Koppetsch noch Griffin emotionale Identifikation mit Ausländerhassern und Antisemiten, sondern die Suche nach gesellschaftlichen Ursachen, die solche Haltungen begünstigen. Wie sich sozialwissenschaftliche Interviews mit Rechtspopulisten überhaupt bewerkstelligen lassen sollen, wenn man diese von vornherein nicht ernst nimmt, erklären Koppetschs Kritiker nicht. Ihre Hauptaufgabe scheinen sie darin zu sehen, wissenschaftlichen Ansätzen wie denen von Koppetsch - aber auch ähnlichen Theoremen wie dem der „Abstiegsgesellschaft" (Oliver Nachtwey) oder „digitalen Gesellschaft" (Armin Nassehi) - manipulative Absichten zu unterstellen.
Das Ansinnen, Forscher, die nach Erklärungsansätzen für den Rechtspopulismus suchen, als Teil des rechten Spektrums darzustellen, scheint seinerseits Ausdruck einer moralischen Empörung über alles zu sein, was nicht dem eigenen Weltbild entspricht. Mittlerweile gelten sogar erklärtermaßen feministische Forscherinnen wie die Sozialtheoretikerin Nina Power nicht mehr nur intersektionalen Poststrukturalisten als Rassistinnen. Die akademische „Cancel Culture" macht es geradezu zum Prinzip, die öffentliche Thematisierung von Dissens und Widerspruch zu vermeiden. Jede Ordnung, sei es eine Wissensordnung oder die der Wirklichkeit an sich, wird als umkämpft, politisch und relativ aufgefasst. Als Konfliktlinien gelten nicht mehr Klassenkämpfe im marxistischen, sondern Macht- und Geltungskämpfe im hegemonialen Sinne.
Ein Grund hierfür liegt zweifellos im anarchischen Konkurrenzkampf innerhalb des universitären Milieus. Insbesondere Uhligs Empörung darüber, dass eine Frau ohne populismuskritische Haltungsfestigkeit einen Lehrstuhl für politische Soziologie, Ungleichheitsforschung sowie Familien- und Geschlechterforschung besetzt, lässt sich wohl kaum verstehen, wenn in ihr nicht das Distinktionsbedürfnis des Bildungsreferenten gesehen wird, der mit ordentlichen Professorinnen um die Deutungshoheit sozialer Phänomene konkurriert.
Koppetsch trifft mit ihren Analysen also tatsächlich einen wunden Punkt des gegenwärtigen Universitätsbetriebs, weil sie die Anfälligkeit ihres eigenen Milieus für die politisch-pädagogische Indienstnahme wissenschaftlicher Erkenntnis ausgesprochen und analysiert hat. Dass die Plagiatsvorwürfe gegen ihr Buch die Diskussion über ihre soziologischen Diagnosen abgeschnitten haben, ist bedauerlich, aber wenig verwunderlich angesichts eines Betriebs, der Meinung und Wahrheitserkenntnis, objektive wissenschaftliche Standards und politisch-pädagogische Zwecke immer häufiger absichtsvoll miteinander verwechselt.