In der bolivianischen Steppe wollen Indianer ihren Präsidenten angemessen empfangen. An sich selbst denken sie weniger.
Yariguira Cañani trommelt mit seinen Fingern auf das Armaturenbrett und zündet sich gut gelaunt eine Zigarette an. Links und rechts an seinem altersschwachen Kleinlaster zieht dorniges Buschland vorbei, tiefe Schluchten mit schlammigen, braunen Flüssen. Yari, wie ihn alle nennen, hat einen Auftrag zu erfüllen, einen Auftrag, der ihn ziemlich stolz macht. Yari soll ein Klo besorgen, für den Präsidenten von Bolivien. Der nämlich kommt zu Besuch in sein Dorf, nach Tentayape, und dort gibt es bisher keine Toiletten. Auch keinen Strom, keine Schule, keinen Arzt, keine Kirche. Tentayape heißt in der Sprache der Eingeborenen das "letzte Haus", und das ist wörtlich zu nehmen. Es ist das einzige Überbleibsel des Guaraní-Reiches, das sich einst über Teile des heutigen Boliviens, Paraguays und Argentiniens erstreckte. Tentayape ist einer der letzten Orte, an denen die jahrhundertealte Kultur sich der westlichen Zivilisation noch widersetzt.
Noch nie ist irgendein wichtiger Mensch nach Tentayape gekommen. 63-mal muss man auf holprigen Pisten den gleichen Fluss kreuzen, den Igüembe, bis man hierherkommt. Niemand hatte das je auf sich genommen, kein Bürgermeister, kein Gouverneur, kein Abgeordneter. Nun hat sich der Präsident Boliviens angekündigt, Evo Morales. Der seit 2006 regierende Sozialist ist der erste Indígena im Präsidentenpalast, und er versteht sich als Fürsprecher der eingeborenen Bevölkerungsmehrheit. Auch für Tentayape hat sich "Evo", wie ihn alle nennen, ins Zeug gelegt, und dafür will ihm das Dorf jetzt danken.
Vor einigen Jahren hatte der spanische Energiekonzern Repsol eine Delegation in die Gemeinde geschickt. Unter der dornigen Strauchsteppe liegen Millionen Kubikmeter Öl und Gas. Ausländische Erdölkonzerne gieren nach ihrem Stück vom Kuchen. Genau wie der Staat, der Geld braucht. Nur die Guaraní von Tentayape möchten nichts wissen von Sprengungen, Erdölprospektion, Pipelines und Bohrlöchern.
Die Firmenvertreter legten dem Stammesältesten, dem "Capitán", ein Papier zur Unterschrift vor. "Nur eine Bestätigung, dass wir hier waren und geredet haben", sagten sie. Der Capitán, der weder lesen noch schreiben kann, setzte seinen Fingerabdruck darunter. Es war in Wahrheit eine Einwilligung für Erdölerkundungen. Als die ersten Seismologen kamen und mit dem Sprengen begannen, reiste eine Delegation der Guaranís zum Regierungssitz nach La Paz und wurde beim Präsidenten vorstellig. Evo Morales ist Hochlandindianer, er versteht die Rohstoffe als Basis für die Entwicklung Boliviens. Aber irgendetwas bewegte ihn damals dazu, sich mit den Tieflandindianern zu solidarisieren. Er erklärte Tentayape zum Schutzgebiet und widerrief die Bohrgenehmigung. Zum Dank luden ihn die Dorfbewohner zum Fußballspielen ein. Denn Evo ist, wie jeder weiß, ein großer Fußballfan. Und tatsächlich, er sagte zu. - Aber was, wenn der Präsident mal muss in Tentayape?
Einmal wollten sie in Tentayape eine Wasserleitung anschaffen, das war ein großes Ding. Die weisen Männer des Ortes berieten sich in unzähligen Sitzungen. Wie viel Modernität ins Dorf gelassen werden soll ist eine existenzielle Frage. Die Guaraní wollen Herrscher sein über den Fortschritt, nicht dessen Sklaven. Der Besuch des Präsidenten macht nun nicht nur ein Klo notwendig, sondern auch eine richtige Straße. Der Provinzgouverneur ließ den Feldweg, der von Tentayape ins nächste Dorf führt, ausbaggern und planieren - ein Großereignis. "Nett mit der Straße, aber jetzt werden mehr carays, mehr Weiße, kommen", schimpfte der Dorfälteste. "Fliegende Händler, Missionare, Viehdiebe."
Die Bewohner von Tentayape stehen mit der Sonne auf und gehen bei Sonnenuntergang schlafen. Zwischendurch ist viel Zeit zum Reden, zum Schweigen, zum Kokablätter-Kauen und zum Chicha-Trinken, wie ihr vergorenes Maisextrakt heißt. Das Leben der Frauen dreht sich um Kinder und Küche. Die Männer kümmern sich um die Tiere, ums Brennholz und um die Felder. Die meisten Probleme bereitet den Guaraní die Trockenheit. Dann verdorren Mais und Bohnen. Und die Guaraní müssen ihre Tiere verkaufen oder andernorts Arbeit suchen, um nicht zu verhungern.