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Provinzielle Weite

Sie machten Karriere in den Metropolen der Welt und finden sich in Hintertupfing, St. Pölten und Salzburg wieder. Welchen Einfluss hat der Urbanitäts-Level in der Postmoderne tatsächlich noch auf Kulturmanager?

Die Bühne liegt in kompletter Dunkelheit, Scheinwerfer blenden ins Publikum, Wortfetzen in Französisch, Englisch, Deutsch schwirren durcheinander. Die Sidecut- und Dutt-Dichte ist am Eröffnungsabend des Festivals Performing New Europe (pneu) bedeutend höher als sonst in Salzburg. Fast hat man den Eindruck von Urbanität. Alles anderes als angestaubt ist auch das, was sich später auf der Bühne abspielt: "Germinal" packt drei Männer und eine Frau in eine verquere Wirklichkeit. Erst können sich diese nur über Maschinen verständigen, die sie Gedanken an die Wand projizieren lassen, dann finden sie zur gesprochenen Sprache, überspringen Feuer und Rad und landen im digitalen Zeitalter. Das Stück des belgisch-französischen Künstlerduos Antoine Defoort und Halory Goerger, das die Menschheitsgeschichte völlig neu schreibt, ist im Juni auch bei den Wiener Festwochen zu sehen. Intendanten aus Estland, Finnland und Deutschland ließen sich das Schaulaufen der jungen Performance-Künstler nicht entgehen.

"Heute gibt der Ort keinen großen Ausschlag mehr", meint Regisseur Hubert Lepka in einer Pause. Nicht nur die Durchdringung der Gesellschaft mit neuen Medien treibt die Entprovinzialisierung voran, sondern auch gezielte wirtschaftspolitische Maßnahmen: So zählte das niedersächsische Wolfsburg noch vor 80 Jahren weniger als 1.000 Einwohner. Gleichzeitig mit dem Bau eines Autowerks wurde eine zugehörige Großstadt aus dem Boden gestampft – die ganz nebenbei einen imponierenden kulturellen Ehrgeiz entwickelte. Die Wolfsburger Museen können es inzwischen mit den wichtigsten Galerien Europas aufnehmen. Vermutlich hat Lepka also Recht – wenn er darauf anspielt, wen oder was man in eine Stadt holt. Welche Szenen in einer Stadt gären, ist aber – Crowdfunding und digitalem Austausch zum Trotz – nach wie vor wesentlich internen Dynamiken geschuldet.

Lebendige Szenen?

Die wenigsten Nachwuchskünstler, die am Mozarteum und an der renommierten Tanzakademie Sead ausgebildet werden oder an der Fachhochschule MultiMediaArt studieren, bleiben in Salzburg. Davon weiß auch Stephan Schmidt-Wulffen ein Lied zu singen: Neun Jahre stand er der Wiener Akademie der bildenden Künste mit ihren 1.400 Studierenden vor, bevor er 2011 Rektor der fünf Mal kleineren New Design University in St. Pölten wurde. "Viele unserer Absolventen wollen sich dem internationalen Diskurs anschließen. Und der wird nun einmal in Metropolen verhandelt." London, Berlin, aber auch Eindhoven seien beliebte Ziele. "Da braucht eine kleine Universität viel Kraft, um sich zu behaupten."

Die Strahlkraft urbaner Schmelztiegel ist groß. "Es ist nicht so, dass Metropolen auf junge Künstler warten – es gibt eh schon so viele dort, die auch ihr Auskommen finden wollen. Aber ich verstehe schon, welchen Reiz etwa Berlin für junge Leute hat: der Austausch, die andere Lebensluft, die große Städte per se haben", sagt Angela Glechner. Sie kuratiert das pneu-Festival und leitet die Szene Salzburg. Dieses Problem der Abwanderung haben viele Second Citys, die zwar verhältnismäßig groß, aber eben nicht die Hauptstadt sind. "Mir würde auf Anhieb kein Land in Europa einfallen, wo die junge zeitgenössische Kunst nicht in der Hauptstadt zuhause wäre", erklärt die Intendantin. "Sogar Hamburg ist leer. Ich saß da in einer Jury. Wir bekamen 16 Anträge pro Jahr, in Wien – einer Stadt von vergleichbarer Größe – waren es weit über 100."

Bevor sie die Szene übernahm, war Glechner in Wien, Hamburg und Brüssel als Kulturmanagerin tätig – und ist nicht die einzige, die wenig Scheu vor der Provinz hat. Es sind vor allem die Karrierechancen an großen Häusern, die in Kleinstädte locken: Sabine Breitwieser, die Direktorin des Salzburger Museums der Moderne, ist die erste, die als Chefkuratorin dem New Yorker Museum of Modern Art den Rücken gekehrt hatte – die lakonische Begründung: "Ich gehöre zu den Menschen, die gern schwierige Aufgaben haben." Und Steven Walters hob in Esslingen, mitten in Baden-Württemberg, das Klassik-Festival Podium aus der Taufe. Gerhard Willert wiederum hatte Engagements in München, Hamburg und Mannheim, bevor er Leiter der Schauspielabteilung am Landestheater Linz wurde. Noch weiter in den Westen zog es den zuletzt am Leopold Museum tätigen Tobias G. Natter nach Stationen am Historischen Museum der Stadt Wien und an der Galerie Belvedere: In seiner Heimat leitete er von 2006 bis 2011 das Vorarlberg Museum. Brigitte Fassbaender war 13 Jahre Intendantin des Tiroler Landestheaters, nachdem sie in den 70er Jahren als Opernsängerin an den wichtigsten Häusern Europas und der Metropolitan Opera aufgetreten war. Sie war es auch, die 2009 Enrique Gasa Valga anbot, die Tanzcompany des Hauses zu übernehmen. "Ich hatte immer schon das Gefühl, dass Innsbruck einen Provinz-Komplex hat – zu Unrecht", sagt er, "dieser Komplex hat sich aber etwas gebessert." Das führt er auch darauf zurück, dass viele Kinder der Stadt nach Engagements in Wien oder London zurückkehren.

Beim Geld hört die Freundschaft auf

"Es ist ein generelles Problem kleiner Städte, dass sie junge Künstler nicht halten können. Aber das wahre Manko an Salzburg ist, dass kulturpolitisch zu wenig Ehrgeiz besteht", bemängelt Angela Glechner. "Es braucht mehr Förderprogramme, mehr offene Ateliers, mehr Residencys."

Die Situation dürfte sich weiter zuspitzen: Seit Herbst 2013 schwappen auf den Salzburger Kulturlandesrat Heinrich Schellhorn Protestwellen von allen Seiten ein. Grund ist der Sparkurs des Landes, der nur eine der Nachwehen des Finanzskandals ist – 1,5 Millionen Euro werden 2015 und 2016 jeweils gekürzt. "In keinem anderen Bereich wird mit dem Einsparen einer vergleichsweise geringen Summe ein so großer Schaden angerichtet", lautet der Kernsatz der Petition »Ja zum Kulturland Salzburg«, die bereits 6.500 Menschen online unterschrieben haben. "Wir haben faktisch schon jetzt laufend abnehmende Budgets", kritisiert Glechner. Eine Anpassung an die Inflation gab es für viele seit Jahren nicht, während die Tarife steigen.

Den Motor am Laufen halten will Landesrat Schellhorn, indem er den Tourismus verstärkt für die Finanzierung von Kultursonderprojekten zur Ader lässt. "Der Fremdenverkehr profitiert von den kulturellen Leistungen der Künstler des Landes", argumentiert er. Bereits 1920 wurde ein Fonds explizit für die Finanzierung der Kultur gegründet. Momentan fließe der Großteil dieses Geldes aber in touristische Einrichtungen zurück.

"Wenn jemand etwas auf die Beine stellt, dann muss er auch dafür bezahlt werden", ärgert sich Glechner über die mangelnde Wertschätzung. Vor allem Zeitgenössischem werde oft aufgezwungen sich zu begründen, "weil einem die Leute wegen der Karten nicht gleich die Bude einrennen". Zu pneu lud sie ganz bewusst jüngere Künstler mit nicht vollkommen ausgegorenen Stücken – mit Erfolg: 3.000 Besucher, 95 Prozent Auslastung. "Das Publikum hier ist irrsinnig neugierig. Man hat das Gefühl, es ist hungriger als in Metropolen, weil einfach seltener etwas Neues aufpoppt", betont die Intendantin, "auch auf hochkomplexe Stücke wie 'Germinal'." In größeren Städten sei das fast schwieriger: "Da ist oft sehr viel Publikum aus der eigenen Sparte dabei, das selbst produziert und beim Zuschauen ein bisschen unentspannt ist."

Für Stephan Schmidt-Wulffen von der NDU ist der größte Vorteil an der Kleinstadt das Familiäre: "In St. Pölten zu arbeiten, ist unglaublich effektiv. Die Wirtschaftskammer funktioniert wie eine große Familie. Man hat ein Gegenüber, das sich Zeit nimmt, die eigene Sache zur gemeinsamen macht. In Wien hat man es dagegen mit einem ganzen Ministerium zu tun, das nur schwer durchschaubar ist." Für ihn ist der Ort des Geschehens aber auch in der Postmoderne ganz wesentlich: "Man arbeitet immer mit Menschen zusammen. Trotz Computern."


Die Salzburger Sommerszene ist in Planung, am Landestheater ist Innsbruck gerade "Körper.Seelen" angelaufen. "Germinal" wartet auf die Aufführung bei den Wiener Festwochen.

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