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Schulz hat vernichtet, wofür er stand

Martin Schulz: Bedacht auf Macht? (Foto: picture alliance / Kay Nietfeld)

Vom Gottkanzler in den schwarz-roten Schlund: Martin Schulz' Aufstieg an die Spitze der SPD gründete sich auf seiner Glaubwürdigkeit. Nun hat er sie zerstört. Schulz' Vorgehen reißt auch am Selbstbild der Partei.

Ein Kommentar von Roland Peters

8. Februar 2017. Der Gottkanzler wird es richten. Die Sozialdemokraten haben in nur einer Woche einen Satz von 26 auf 31 Prozent der Wählergunst gemacht, die CDU/CSU kommt auf 34 Prozent. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel hatte den in der Öffentlichkeit wesentlich beliebteren Martin Schulz als seinen Nachfolger vorgeschlagen. Als die SPD ihn mit dem bislang einmaligen Ergebnis von 100 Prozent zu ihrem Vorsitzenden wählt, kommt noch ein Punkt hinzu. Der Schulz-Zug rast in Richtung Kanzleramt.

8. Februar 2018. Schulz ist noch immer Parteichef, trotz desaströsen 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl. Als Spitzenkandidat hätte Schulz Verantwortung tragen und zurücktreten müssen, doch stattdessen redet er nur ständig über Erneuerung. Zu sehen ist sie nicht. Schulz will Außenminister werden. Der aus dem Auswärtigen Amt geschasste Gabriel sagt: "Ich komme aus einer Welt (..), in der man sich in die Augen schaut und die Wahrheit sagt." Der Umgang in der SPD sei respektlos, ein gegebenes Wort zähle wenig.

Gabriel ist ein gewiefter Politiker. Dass er so gegen die eigene Partei austeilt, klingt nach ehrlicher Verletzung, nicht purem Kalkül. Ja, Schulz mag als erfahrener Europapolitiker besser für das Auswärtige Amt geeignet sein, was wichtiger ist als Gabriels persönliche Befindlichkeiten. Doch Schulz' Glaubwürdigkeit ist nicht bloß auf der Strecke geblieben. Der Parteichef hat sie mitsamt des Zuges in den schwarz-roten Schlund gerissen.

Schulz' Fahrt begann in Straßburg. Als Präsident des Europäischen Parlaments war er jemand, der eine persönliche und zugleich staatstragende Ansprache hatte, klare Linien vertrat und eine Zukunft des Projekts Europa zeichnete. Exemplarisch ist die Szene aus dem März 2016. Inmitten der Flüchtlingskrise wirft Schulz einen griechischen Abgeordneten wegen rassistischer Äußerungen über Türken aus dem Plenarsaal. Dabei bleibt er sachlich und bestimmt, lässt nicht mit sich diskutieren. Das Video davon macht in Deutschland die Runde, seine Prinzipientreue kommt gut an. Schulz stand auch in schwierigen Zeiten und bei Konflikten zu dem, was er sagte. Das hat sich geändert.

Enorme Wirkung

"In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten", sagte Schulz kurz nach der Bundestagswahl und wiederholte es immer wieder. Nun will er Außenminister werden. Die Verhandlungen zur Großen Koalition nutzte er für einen Machtpoker: Er presste der Union das Finanzministerium mit dem Damoklesschwert Mitgliederentscheid in der SPD ab. Zugleich beansprucht er das Auswärtige Amt für sich und verknüpft die Zustimmung der Mitglieder für den Koalitionsvertrag an seinen Rücktritt als Vorsitzender der Partei. Die will angesichts der Umfragewerte von 17 Prozent wohl genau dies: ihn loswerden. Man kann das Verhandlungsgeschick nennen - oder ruchloses Machtstreben durch Wortbruch und legale Erpressung.

Die Wirkung dieses Vorgehens ist enorm. Erstens, weil Schulz sich immer als das Gegenteil dieses Politikertypus' inszeniert hat; als bodenständiger Aufsteiger ohne Abitur, mit der im Zaum gehaltenen Alkoholkrankheit, der Buchhandlung im Rheinland, als Gegenstück zum Establishment. So war auch Schulz' Kanzlerwahlkampf aufgebaut. Kurz nach seiner Niederlage bekam dieses Bild einen ersten Riss, als der "Spiegel" hinter die Kulissen dieser Zeit blicken ließ. Nun, wenige Monate später, hat Schulz die Gleise komplett untergraben, die er über Jahre gelegt hatte.

Schulz war der deutsche Traum der SPD, der Vermittler zwischen den Welten der Republik: Arbeiter, Bürgerliche und Intellektuelle, die alle ehrlich miteinander umgehen. Von allem hatte Schulz etwas, er hätte der glaubhafte Mittler sein können. Doch sein Vorgehen, Grund zwei, reißt nicht nur sein eigenes Bild ein, sondern auch an dem seiner Partei. Die SPD präsentiert sich meist nah am Menschen und ihren Sorgen, mit Haltung, glaubhafter Ansprache und pragmatischen Lösungen. Aber der Gottkanzler ist mit seinem Wortbruch zum Problemfall der Partei geworden, das zeigen ihre unfassbaren Umfragewerte von 17 Prozent. Und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, der noch im Dezember kategorisch ausschloss, nach Berlin zu gehen und nun Finanzminister werden soll, macht die Partei noch unglaubwürdiger.

Noch etwas hat sich in der SPD verändert. Gabriel ist in seiner Zeit im Auswärtigen Amt zum beliebtesten Politiker Deutschlands aufgestiegen. Wegen seiner Ausbootung ist aus der CDU sogar Trost vernehmbar. Der Bundestagsabgeordnete Jens Koeppen twitterte über den Noch-Minister: "Immer gerade heraus, kann hart austeilen, aber immer fair und nie unter der Gürtellinie. Ich denke, das war's noch nicht." Gabriel, früher als Fähnchen im Wind verschrien, gilt als glaubwürdig. Es sagt viel mehr über die SPD als über ihn.


Quelle: n-tv.de


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