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Interview

Jugendliche in den "Sozialen Medien": Wissen Sie doch, was sie tun?

Und Sie wissen doch, was sie tun

Im Netz ist Jugendlichen nichts zu peinlich. Sie posten alles, was sie tun. Dieses Vorurteil widerlegen Prof. Dr. Wolfgang Ludwig-Mayerhofer und seine Mitarbeiter in ihrem Forschungsprojekt „Un-/Erbetene Beobachtung: Die Überwachungsgesellschaft und das soziale Feld der Medien.“ Wir haben den Soziologe und seinen wissenschaftlicher Mitarbeiter David Waldecker nach ihren Erkenntnissen gefragt:

Herr Prof. Dr. Ludwig-Meyerhofer, Was erforschen Sie in diesem Projekt?

Ludwig-Meyerhofer (LM): In Einzelinterviews fragen wir Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren nach ihrer Nutzung der sozialen Medien. Dabei wollen wir herausfinden, welche Rechtfertigungsordnung sie für ihre jeweiliges Tun oder Unterlassen im Netz aufrufen.

Was ist eine solche Rechtfertigungsordnung?

LM: Menschen orientieren sich je nach sozialem Zusammenhang, in dem sie sich gerade bewegen, an unterschiedlichen Ordnungen, um ihr Verhalten zu bestimmen und zu rechtfertigen. Der Begriff dieser Rechtfertigungsordnungen geht unter anderem auf den französischen Soziologen Luc Boltanski zurück.

Haben Sie da ein Beispiel?

LM: In der Familie gelten andere Regeln als in der Wirtschaft. Und innerhalb der Unternehmen entscheidet jede Abteilung wieder nach unterschiedlichen Prioritäten. Das Marketing achtet vor allem auf das Image der Firma, die Produktion im Idealfall auf funktionierende und preiswerte Ware.

Und was heißt das für Ihr Thema?

LM: Jugendliche bewegen sich in verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Wert- und Rechtfertigungsordnungen, die dann ihr jeweiliges Verhalten bestimmen - zum Beispiel in der Familie, in der Schule oder in ihren Freundeskreisen. Diese verändern sich mit den Lebensphasen der jungen Leute.

Von welcher These oder Frage sind sie bei den Interviews ausgegangen?

LM: Der Franzose Emmanuel Kassous nennt die Aufmerksamkeitsökonomie als die zentrale Rechtfertigungsordnung im Web 2.0.
Viele nehmen an, dass diese das Leitmotiv für die Nutzung der sozialen Medien ist.

Das heißt, ich poste, was mir möglichst viele „Likes“, Kommentare und andere Reaktionen verspricht und was voraussichtlich am häufigsten geteilt wird?

LM: Ja, aber diese Vermutung haben unsere Interviews nicht bestätigt. Bei der Entscheidung was sie online stellen, orientieren sich die meisten Jugendlichen daran, was sie moralisch richtig finden und weniger daran, was ihnen die meiste Aufmerksamkeit verschafft.

Einst gab es die Idee, dass das Internet die ganze Welt vernetzt und die Menschen auch politisch „empowered“, sie also zu Handelnden und zu Verlegern ihrer eigenen Inhalte macht?

LM: Auch das stimmt so nicht. Die meisten Jugendlichen reproduzieren online die sozialen Beziehungen, die sie in der realen Welt schon haben - kommunizieren also in erster Linie mit ihren Freunden und Familienmitgliedern. Allerdings hatten wir unter unseren bisher 22 Gesprächspartnern kaum sozial oder politisch Engagierte.

Der Rest der Welt spielt keine Rolle? ....