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Bad Gastein auf dem Weg in den Orbit

Copyright: Georg Gassauer

"Ist es soweit?", fragt der Chefredakteur neugierig, als er erfährt, dass der zurückkehrende Auslandskorrespondent aus Bad Gastein stammt. "Hat der Ort endlich die Fluchtgeschwindigkeit erreicht?"

Egal ob man sich in Wien, Berlin oder Stockholm befindet, eine Variation dieser Frage über Bad Gastein wird während des Smalltalks oft gestellt. Normalerweise ist ein Repertoire an Antworten parat, um der Frage gekonnt auszuweichen - es soll ja nicht zu negativ erscheinen. Aber dieses Mal ist es anders, das Wort Fluchtgeschwindigkeit ist interessanter als sonst und regt zum Nachdenken an: Ist es wirklich soweit?

Hotelpaläste wie das Grand Hotel de l'Europe dominierten den Kurort über ein Jahrhundert. Bauten wie diese sind auch ein Mitgrund dafür, weshalb Bad Gastein lange "Monte Carlo der Alpen" genannt wurde. - © Georg Gassauer

In der Raumfahrt wird die Fluchtgeschwindigkeit als "die Geschwindigkeit, die ein Körper haben muss, um die Anziehungskraft eines Himmelskörpers zu überwinden" definiert. Betrachtet man Bad Gastein von Außen, ist es leicht zu verstehen, wie es zu so einer metaphorischen Frage kommen kann. In diesem Fall ist der Himmelskörper der angenommene Niedergang eines so mondänen Ortes wie Bad Gastein.

Einst profitierte der Tourismus im Gasteinertal von jungen, skibegeisterten Skandinaviern, die hier billig Urlaub machten. Experten sehen die Kapazitäten für Skifahren und Wintertourismus allerdings wegen des Klimawandels in der Zukunft als begrenzt an. - © Georg Gassauer Allerlei Prominenz

Einst residierten hier der Hochadel und Kaiserin Sisi, später internationale Persönlichkeiten wie der Schah von Persien oder Diven wie Liza Minelli und Shirley Bassey. Über einen Mangel an bekannten Gesichtern konnte der Ort nie klagen. Dennoch sei Bad Gastein dem Niedergang geweiht, das Moos, so die Narrative der vergangenen 20 Jahre, wachse durch das Parkett.

Die Kulisse des vergessenen k. und k.-Juwels bot sich für so manch Außenstehende, um sich als Retter zu inszenieren. Andere nahmen es als Gelegenheit wahr, um zu experimentieren und für wieder andere es ein perfekter Ort, um sich vor der Welt zu verstecken und Kraft zu sammeln.

Diese Geschichte des vergessenen Juwels erlaubte auch immer wieder gute Marketingsprüche und lukrative Geschäfte, fernab jeglicher Realität. Es lässt sich nicht leugnen, dass Bad Gastein ein Problem mit dem historischen Zentrum hat, aber untergegangen ist der Ort nie, wenngleich dies gerne postuliert wird. "Seit ich diesen Ort kenne, wird gejammert, dass er dem Untergang geweiht ist," reflektiert Olaf Krohne, Besitzer des Hotel Regina, "untergegangen ist er noch nicht und wird es wahrscheinlich auch nicht, dafür kann er viel zu viel."

Und da ist was dran. Historisch betrachtet kämpft sich Bad Gastein seit Jahrhunderten durch Höhen und Tiefen. Raumplaner Peter Kneidinger erzählt, dass der Ort seinen Weg nie selbst bestimmt hat, das Geschehen wurde immer geleitet. Der erste Abstieg drohte nach dem Ende dem Höhepunkt des Goldbergbaus im 16. Jahrhundert. Doch das "Wildbad Gastein", so der ursprüngliche Name, konnte sich mit seinen Radon-Heilquellen schnell einen Namen als Kurort machen.

Aufstieg als Kurort

Zu Beginn waren es Salzburger Bischöfe und Fürsten, die sich den Heilquellen annäherten, das Publikum wuchs jedoch stetig an. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden schließlich die majestätischen Grandhotels in die steilen Wände geschlagen. Die Architektur wurde immer opulenter, grandioser und prächtiger. Die Hotelier-Dynastien Windischbauer und Straubinger, sowie neue Hotelpaläste wie das Grand Hotel de l´Europe dominierten den Kurort über ein Jahrhundert. Das k.- und k.-Flair und die Belle-Epoque-Bauten prägen das Bild bis heute und versetzen jeden erstmaligen Besucher ins Staunen.

Bis in die 1960er Jahre zog Bad Gastein alles an, was international Rang und Namen hatte. Die mächtigen Hoteliers erkannten die schnellen Entwicklungen und Bedürfnisse des Nachkriegstourismus jedoch zu spät, und so wurden die Hotels nicht den modernen Standards angepasst. Im Hotel Straubinger konnten Buchungen bis zu dieser Zeit ausschließlich per Post durchgeführt werden, das erste Telex-Gerät, seit den 1950er Jahren eigentlich Standard in internationalen Hotels, wurde erst 1969 in Betrieb genommen. Nachdem die Bad Gasteiner Hoteliersfamilien ihre Gewinne nicht reinvestierten, folgte eine lange wirtschaftliche Flaute. Mit Ausnahme des Hotel Mozart gingen alle Betriebe in Konkurs.

Genau zu dieser Zeit war ein junges schwedisches Reiseunternehmen auf der Suche nach einem Ort in den Alpen, um sein low-budget-Angebot für den Wintertourismus auszubauen. Zielgruppe waren junge, skifahrbegeisterte Skandinavier. "Skifahren erlebte damals einen absoluten Hype mit Ingemar Stenmark, Hansi Hinterseer und Franz Klammer", erinnert sich Ole Magnussen, Geschäftsführer von STS Alpressor. Die schwedischen Skigebiete waren noch nicht ausgebaut und die schwedische Krone stand gegenüber dem österreichischen Schilling sehr stark da. "Bad Gastein war für uns perfekt," fährt Magnussen fort, "die Zimmer waren alt und auf den Kurtourismus im Sommer ausgelegt, es gab also keine Sanitäreinrichtungen in den Zimmern. Den Jungen war das natürlich egal, sie wollten nur Ski fahren und ein wenig feiern." Mit gezieltem Marketing und einer breiten Palette an Angeboten machte STS Alpressor Bad Gastein zu einem allgemein bekannten Namen in Skandinavien.

In seiner Blütezeit in den 1980er und 1990er Jahren brachte das Unternehmen bis zu 400.000 Touristen aus Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen in die Zentralalpen. Für die Anfänge des modernen Wintertourismus ist dies eine beeindruckende Zahl, die Reisen wurden per Zug oder eigens gecharterten Bussen und Flugzeugen durchgeführt. Seit der ersten Wintersaison 1977 hat das Unternehmen über 100 Millionen Euro in den Ort investiert und ist heute auch der größte Arbeitgeber in Bad Gastein.

Die Retter von Bad Gastein

In den frühen 1980er Jahren tauchte auch erstmals der Name Reinhard Stefan Tomek in Bad Gastein auf. Eingesetzt, um die Konkursmasse des Grand Hotel de l'Europe zu verwalten, polarisierte und prägte er den Ort wie kaum ein anderer der Nachkriegsgeschichte. Als Visionär wollte er den Ort wieder auf die Weltbühne heben. Er lud Superstars wie Liza Minelli, Ray Charles oder die schon erwähnte Shirley Bassey ein. Der Slogan "Monte Carlo der Alpen", den Bad Gastein zu dieser Zeit erhielt und der seither fast in jedem Artikel über den Ort verwendet wird, ist dem bunten Treiben von Tomek zuzuschreiben.

Die "Salzburger Nachrichten" kürten ihn voreilig zum "Retter von Bad Gastein", ein Begriff, der ihn bis heute im Ort mit viel Spott und Ironie begleitet. Er selbst bestreitet diese Zuschreibung, gibt sich im Interview jedoch selbstbewusst: "Das ist eine Erfindung der "Salzburger Nachrichten", die mich einmal so bezeichnet haben, weil ich damals ja wirklich ein Retter war."

Geld spielte für Tomek keine Rolle, das Grand Hotel schrieb schnell Verluste, Zahlungen wurden nicht durchgeführt. Das mächtige Gebäude, einst das höchste der k. und k.-Monarchie, schlitterte weiter in den wirtschaftlichen Ruin und mit ihm viele einheimische Betriebe. Bis heute lässt Tomek der Ort und das Grand Hotel nicht los, er schmiedet nun erneut Pläne, um Bad Gastein international wieder bedeutender zu machen und erwarb im heurigen Jahr ein paar wenige Quadratmeter im Grand Hotel.

Der wirtschaftliche Kollaps des Grand Hotel war zu jener Zeit aber erst der Anfang vom Ende für das historische Zentrum. Schlecht beraten, ließ sich die Gemeinde Anfang 1970 auf eine neue Strategie ein und versuchte, vom gerade entstehenden MICE-Markt (Meetings, Incentives, Conferences and Exhibitions) zu profitieren. Hierzu gewann man den Stararchitekten Gerhard Garstenauer. Dieser setzte in den Ortskern ein brutalistisches Stahlbetongebäude - die malerische Wandelhalle musste weichen. Die Strategie ging aber nicht auf, die großen Kongresse blieben aus und die Gemeinde, die den Bau und das Projekt mitfanziert hatte, verschuldete sich stark, dies belastete die Finanzplanungen der Gemeinde über Jahrzehnte.

Mitte der 1990er Jahre betrat schließlich erneut ein selbsternannter Retter die Bühne: Franz Duval, vormals Drbl. Er versprach, das Zentrum zu revitalisieren und neue internationale Investoren anzulocken. Er erwarb im Jahr 1999 das Straubinger aus der Konkursmasse, kaufte dann im Zuge der Privatisierungswelle die Post und das Badeschloss, 2004 folgten noch das Haus Austria und das Kongresszentrum. Seit dem stehen diese Gebäude leer und sind dem Verfall überlassen.

Theorien, warum Duval seine neuen Besitztümer der Zersetzung überließ, gibt es viele im Ort. Für manche gleicht der Vorfall dem Dürrenmatt-Stück "Der Besuch der alten Dame" mit einer antisemitischen Pointe. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass Duval selbst keine Investoren fand. Unter den Einheimischen machte sich starker Unmut breit. 2013 übernahm schließlich Sohn Philipe Duval die Geschäfte seines Vaters. Medial kolportierte er sogleich neue Pläne und Investitionen - aber in Verbindung mit dem Namen Duval sollte in Bad Gastein nichts Großes mehr entstehen. Philipe Duval selbst wollte sich bis Redaktionsschluss nicht zu diesen Themen äußern.

Ein Ort in Aufbruchstimmung

Zu Beginn des neuen Jahrtausends erlebte Bad Gastein alles andere als Untergangsstimmung. Das Dorfleben zog zur Gänze rauf zur Bahnhofstraße (eigentlich Kaiser-Franz-Josef-Straße). Neue Bars, Hotels und Restaurants eröffneten und der Ort schrieb ein Rekordjahr nach dem anderen: Von 2001 bis 2010 stiegen die Nächtigungszahlen um 15,6 Prozent im Vergleich zum Zeitraum 1991 bis 2000. Der historische Kern aber verfiel und geriet ins Vergessen. Der Jetset war längst nicht mehr am Mondänen interessiert und der Gasteiner Tourismusverband fokussierte seine Marketingaktivitäten auf die neue Mittel- und Oberschicht aus der ehemaligen Sowjetunion (angeworben wurden Touristen vornehmlich aus Polen, Tschechien und Russland).

Im Zentrum setzte eine Ruhe ein, die für ein anderes, weltgewandtes Publikum genau das Richtige war. Die Kreative Klasse: Modedesigner, Künstler, Musiker, Schauspieler oder Architekten entdeckten Bad Gastein als kleine romantische Oase, in der "Platz zum Träumen" ist. Kleine Boutique-Hotels öffneten ihre Pforten, um diese neue kleine Zielgruppe zu bedienen.

Olaf Krohne vom Design Hotel Regina erinnert sich gut an diese Anfangszeit, denn sie "gab mir die Möglichkeit, mich zu entwickeln und viel auszuprobieren." Für ihn und sein Regina hat Bad Gastein die Fluchtgeschwindigkeit schon vor einigen Jahren erreicht. Jetzt aber lässt die Geschwindigkeit wieder etwas nach. Die geplanten Bettenburgen rund um sein Hotel machen ihm Sorgen, denn er sieht kein Gesamtkonzept für das historische Zentrum und befürchtet, dass die historische Eleganz der Belle Époque einem primitiven ländlichen Brutalismus, wie er in Bischofshofen oder Schwarzach/St. Veit zur Schau gestellt wird, weichen wird müssen.

"Noch nie so unsexy wie jetzt"

Ungern gibt auch Bianca Schwarzjirg zu, dass Bad Gastein noch nie so unsexy war wie jetzt. Die Puls-4-Frühstücksmoderatorin setzt sich seit über zwölf Jahren für den Ort ein, egal ob auf Social Media oder durch Events. Für sie ist Bad Gastein "mit seinen Ecken und Kanten" etwas ganz Besonderes: "Für mich war der Ort ja nie in einem Dornröschenschlaf, er hat ja immer funktioniert - nur nicht im Zentrum. Es war ja nie so, dass man alleine im Lift ist oder alleine auf der Hütte sitzt, sondern die Leute waren ja da", erzählt sie bei einem Treffen. Doch die vielen neuen Baustellen und der neue Hype um den Ort verdrängt all das, was sie immer an Bad Gastein geschätzt hat - das Geheimnis um den Ort.

Doch Krohne und Schwarzjirg erkennen natürlich, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich der Ort weiterentwickelte. Und das hat er. 2017 verkaufte Philipe Duval das Hotel Straubinger, die Post und das Hotel Badeschloss. Nach all den Stillstandsjahren ging es plötzlich sehr schnell und die Verkäufe lösten eine Kettenreaktion aus, erzählt ein Insider. Aufgrund der hohen Instandhaltungskosten und des enormen Drucks vom Bundesdenkmalamt verkaufte der Immobilienerbe an das Land Salzburg. Dieses vermittelte sie - nach einer Grundsanierung - an die bayerische Investorengruppe Hirmer Immobilien. Und diese wiederum revitalisieren nun die Hotels gemeinsam mit dem Wiener Architekturbüro BWM, das geschätzte Investitionsvolumen beträgt 40 Millionen Euro. Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer erzählt, dass es für ihn wichtig war, dass das Projekt an einen seriösen Investor aus einem ähnlichen Kulturkreis geht. Angeblich hatten sich auch chinesische Investoren um das Straubinger bemüht.

Christian Hirmer von Hirmer Immobilien sieht sich jedoch nicht als Retter, sondern als Pionier, der das Vorhaben als generationenübergreifende Investition getätigt haben will. Genaue Details zur Rentabilität wollte er im Gespräch nicht geben, dennoch meint er, dass die "Initialzündung" getätigt wurde. Er tausche sich mit anderen Investoren aus, denn das Projekt und Vorhaben ist laut ihm auf starke Resonanz gestoßen.

Ole Magnussen, Geschäftsführer der bereits erwähnten schwedischen STS Alpressor, begrüßt die Initiative Hirmers und fügt hinzu, dass Bad Gastein zwei oder drei Hirmer-Gruppen benötigt, um Fluchtgeschwindigkeit und damit sein wahres Potenzial zu erreichen. Dies sei aber derzeit nicht realistisch, denn es gibt ein großes Thema, für das es noch keine Lösung gibt. "Hätte man mir das Straubinger gratis angeboten, ich hätte nein gesagt" meint Magnussen. Der Grund ist das Kongresszentrum und das Haus Austria. Solange es kein Übereinkommen mit Philipe Duval gibt, fehle die Gesamtstrategie. Bürgermeister Gerhard Steinbauer (ÖVP) und Landeshauptmann Haslauer bemühen sich auch hier seit Jahren um eine Lösung, aber derzeit gibt es keinen Gesprächskanal zu Duval.

Immobilienpreise steigen an

So manch Einheimischer sieht die Entwicklungen dennoch misstrauisch und smarte PR-Sprüche wie "Initialzündung" oder "Wachküssen", wie sie von politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen immer wieder fallen, stoßen auf schlechte Resonanz. Sie stehen den Plänen, wie sie für das historische Zentrum angedacht sind, apathisch und gleichgültig gegenüber. Sie befürchten, dass die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung denen des Tourismus weichen.

Franz Weiss, Wirt der Graukogelhütte und Organisator des Snowboard-Weltcups erzählt, wie ein neuer, 30 Millionen Euro teurer Passantentunnel vom Bahnhof ins 80 Meter tiefer liegende Zentrum gebohrt werden soll und fragt: "Wer soll das bezahlen?" Ironisch fügt er hinzu: "Jetzt kriegen wir die nächsten 40 Jahre auch keine neuen Straßen mehr." Die Entwicklungen der letzten Jahre treiben zudem die Immobilienpreise in die Höhe und der Wohnraum wird für Einheimische immer teurer. "Viele junge Bad Gasteiner", so Weiss weiter, "weichen nach Bad Hofgastein aus oder ziehen sich komplett aus dem Tal zurück." Und so sind die 3.500 Einwohner mehr gespalten denn je. Laut Weiss befindet sich der Ort auf dem Scheideweg.

Zukunftsforscher Matthias Horx beobachtet die Entwicklungen Bad Gasteins seit Jahren und sieht den Ort ebenfalls an einem Punkt angelangt, in dem langfristige Konzepte gestaltet werden müssen, die über den klassischen Erlebnistourismus hinauswachsen. Die Kapazitäten für Skifahren und Wintertourismus seien durch den Klimawandel ohnehin begrenzt. Für ihn bietet das Ausbauen des Kulturangebots eine Möglichkeit, eine wohlhabende Gästeschicht anzuziehen, die auch für das neue Straubinger langfristig passt. Nicht einverstanden ist Horx jedoch mit dem Begriff Fluchtgeschwindigkeit: "Und dann erreicht Bad Gastein den Orbit. Was ist denn überhaupt der Orbit? Vielleicht wäre der Orbit ja gar nicht so gut für Bad Gastein."

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