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Feministische Außenpolitik in Schweden: Gleichberechtigung auf dem Prüfstand

Als erstes Land der Welt kündigt die Regierung in Stockholm 2014 eine feministische Außenpolitik an, jetzt zieht Deutschland nach. Doch was hat sich in Schweden geändert?

Im Oktober 2014 verkündete die damalige schwedische Außenministerin Margot Wallström, sie wolle sich stärker für Frauen, Frieden und Sicherheit einsetzen. Als erste Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für sexualisierte Gewalt in Konflikten hatte sie von 2010 bis 2012 erlebt, welche Auswirkungen Krieg gerade auf Frauen und Mädchen hat. Es war die Geburtsstunde der feministischen Außenpolitik, die Wallström wie keine andere zuvor prägte.

Konkret setzte sich ihr Ministerium drei Ziele, wie feministische Perspektiven in die Entwicklungspolitik einfließen sollen. Erstens: Gesundheit und das Recht auf Selbstbestimmung des Körpers bei Mädchen mitzubedenken. Zweitens: Die Rechte von geflüchteten Frauen und Migrantinnen zu stärken. Drittens: Gleichberechtigung und ein Vorgehen gegen sexualisierte Gewalt sollte in humanitäre Einsätze und Reformprozesse mit einbezogen werden.

Die Perspektive, die Rechte von Frauen und Mädchen zu stärken, sollte in allen Aspekten im eigenen Land und im Umgang mit anderen Ländern berücksichtigt werden. Seine Ziele hat Schweden zumindest teilweise erreicht: Die Ausgaben für die Entwicklungshilfe für sexuelle Gesundheit und Aufklärung sind gestiegen. Darunter ist auch ein Programm, das sich gezielt gegen sexualisierte Gewalt im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen richtet.

Inzwischen ist auch das Auswärtige Amt in Deutschland dem Beispiel Schwedens und mittlerweile einigen anderen Ländern wie Mexiko, Spanien, Kanada und Libyen gefolgt. Anfang März stellte Außenministerin Annalena Baerbock ihre zehn Leitlinien vor. Diese lauten unter anderem: Die Perspektiven von Frauen und marginalisierten Gruppen weltweit sollen in die Arbeit für Frieden und Sicherheit einbezogen werden. Humanitäre Hilfe soll zu 100 Prozent die Rechte von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen mitdenken. Wo die Klimakrise Ungleichheiten verstärkt, soll sich die Klima- und Energiepolitik dagegen einsetzen. Die Teilhabe von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen soll eine stärkere Rolle in der Wirtschaft spielen; zudem sollen sie in der Gesellschaft weltweit stärker repräsentiert werden.

Kristina Lunz, Mitbegründerin des Think Tanks „Center for Feminist Foreign Policy" und Autorin des Buches „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch", machte das Konzept in Deutschland bekannt. Sie hat die Ministerin auch bei der Strategie beraten. Im Interview erklärt sie: „Feministische Außenpolitik ist am Ende der Versuch, ein Werkzeug zu haben, eine Analysemöglichkeit, um sie dann auf bestehendes Handeln anzuwenden." Als Deutschland gemeinsam mit Island eine Resolution in den UN-Menschenrechtsrat eingebracht habe zur Dokumentation und zur Rechenschaftspflicht der Gewalttaten des iranischen Regimes gegenüber der protestierenden Zivilgesellschaft vor Ort, sei das ein klares Beispiel für feministische Außenpolitik gewesen, sagt Lunz.

Der Resolutionstext enthielt nämlich explizit einen Hinweis auf die „Gender-Dimension" der Gewalttaten. Die Vereinten Nationen (UN) hatten im November 2022 einem Antrag Islands und Deutschlands stattgegeben, wonach die Gewalt des iranischen Regimes gegenüber Demonstrierenden von unabhängigen Expert:innen untersucht werden sollte.

Ein weiteres konkretes Beispiel sei Geld, um internationale antifeministische Netzwerke zu bekämpfen, so Lunz. Eine Gruppe aus Aktivist:innen und Expert:innen aus unterschiedlichen Ländern habe besprochen, wie eine internationale Bewegung die Rechte von Frauen und LGBTI-Personen bedrohe und wie sie dagegen vorgehen könnten. So beschrieb eine Expertin aus Irland, wie Aktivist:innen dort 2019 das Recht auf Abtreibung durchgesetzt hätten.

Auch in Schweden war die feministische Außenpolitik als ein Werkzeug gedacht. Das Land steht weltweit oft im Ruf, eine Vorreiterrolle beim Thema Gleichberechtigung einzunehmen. Doch war das wirklich ausschlaggebend dafür, auch in der Zusammenarbeit mit anderen Ländern Frauen und Mädchen stärker in den Fokus zu nehmen? Ann Towns hat als Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Göteborg zu feministischer Außenpolitik in der internationalen Politik explizit in Bezug auf Schweden im Umgang mit anderen Ländern geforscht.

„Feministische Außenpolitik ist am Ende der Versuch, ein Werkzeug zu haben, eine Analysemöglichkeit, um sie dann auf bestehendes Handeln anzuwenden."

Kristina Lunz, Co-Gründerin CFFP

Warum gerade ihr Heimatland Frauen und Mädchen als Ausgangspunkt für politische Entscheidungen und die Zusammenarbeit mit anderen Ländern besonders berücksichtige, erklärt sie so: „Es war auch Teil der sozialdemokratischen Regierung. Sie waren laut dem damaligen Staatsminister Stefan Löfven ausdrücklich eine feministische Regierung." Diese Beobachtung wird durch die Tatsache gestützt, dass die neue schwedische Regierung - ein konservatives Bündnis unter Führung der Moderaten Partei mit Unterstützung der rechten Schwedendemokraten - bereits kurz nach der Wahl im Herbst 2022 das Wort „feministisch" aus ihrer Politik gestrichen hat.

Towns hat schon bemerkt, dass die Regierung „die Terminologie sehr schnell entfernt hat". Als Beispiel nennt sie: „Die Botschafterin für die Gleichstellung der Geschlechter und Koordinatorin der feministischen Außenpolitik wird jetzt einfach Botschafterin für Geschlechtergleichstellung genannt." Und dabei sei es kein Zufall, dass der Begriff Feminismus wegfalle. Ihrer Meinung nach wäre es in der Politik nicht salonfähig zu sagen, man sei gegen die Gleichstellung der Geschlechter.

Stattdessen könne man sich gegen feministische Politik, gegen Feminismus oder gegen eine feministische Außenpolitik positionieren. Diese gehöre noch immer in den Bereich der umstrittenen Politik, meint Towns. Auch Kristina Lunz bereitete die Entscheidung der schwedischen Regierung Bauchschmerzen. „Das ist ein typischer Teil des Rechtsrucks, dass zuerst Frauenrechte und Feminismus niedergemacht werden. Es kann nicht sein, dass Schweden das macht. Das ist ein großer Verlust. Aber es ist nicht das Ende der feministischen Außenpolitik. "

Schwedische Aktivistinnen hatten die feministische Außenpolitik oft mit der Friedensbewegung verknüpft. Das größte Land des Nordens sollte demnach eine Rolle in der Welt einnehmen, in der es zuhört und sich diplomatisch einsetzt, erklärt Gabrielle Irsten, schwedische Friedensaktivistin im Verein „Svenska freds". Diese eher vermittelnde Rolle ist für sie Teil der weniger patriarchalen Außenpolitik. Die Entwicklung Schwedens von der neutralen Position hin zu einer stärkeren Verteidigungsmacht passt für sie zum jüngsten Wahlergebnis: „Nationalismus, Sexismus und Militarismus gehen oft Hand in Hand."

„Man begann, die Rolle des Mannes und andere Gender-Rollen zu diskutieren, es gab tatsächlich Veränderungen. Wer das als PR-Gag abtut, möchte selbst nur Aufmerksamkeit."

Gabrielle Irsten, Friedensaktivistin

Während Militärausgaben erhöht würden, würden sie für Geflüchtete gesenkt, fehlten sie in Gesundheitssystem und Klimaschutz. Ihrer Meinung nach ginge durch einen Nato-Beitritt Schwedens Funktion als sogenanntes allianzfreies Land, das in Kriegen auf keiner Seite stehen möchte, verloren. Für Kristina Lunz dagegen ist es kein Widerspruch zur feministischen Außenpolitik, sich kurzfristig auf die Seite der Ukraine zu stellen und sie bei der Selbstverteidigung zu unterstützen. Denn diese gehe über das kurzfristige Denken hinaus.

Langfristig wollen die Akteur:innen der feministischen internationalen Zusammenarbeit mit ihrer Politik aber eine Transformation erreichen, dank der die Gesellschaft auf der ganzen Welt ohne Gewalt auskommt. Weiterhin fordern sie eine Unterstützung der geflüchteten Frauen beim Wiederaufbau und eine Form der humanitären Hilfe, die Probleme von Frauen explizit im Blick hat. Dazu gehören zum Beispiel Schutz vor Vergewaltigung als Kriegswaffe oder häuslicher Gewalt nach Kriegen. Oder Geflüchteten-Unterkünfte nach Bedürfnissen stillender Mütter einzurichten und dafür zu sorgen, dass es dort friedlich zugehe. Also all das, was auch Wallström ursprünglich anstrebte.

In Schweden scheint ihr Erbe, trotz neuer Regierung, weiter zu bestehen. Für Gabrielle Irsten bleibt es mehr als ein PR-Gag: „Es ist so viel mehr Geld an Frauenrechtsorganisationen geflossen, man fing an, innerhalb der feministischen Bewegung die Rolle des Mannes und andere Gender-Rollen zu diskutieren, es gab tatsächlich Veränderungen - wer das als PR-Gag abtut, möchte selbst nur Aufmerksamkeit." Auch Towns gibt sich nicht nur pessimistisch. Schließlich habe man acht Jahre lang eine feministische Außenpolitik betrieben. Das heißt auch, dass es im Ministerium ein stark verankertes Bewusstsein für Ungerechtigkeiten gibt. Sie glaubt nicht, dass man „jetzt sofort eine Kehrtwende machen" könne. Ein versöhnlicher Ausblick.



Dieser Text erscheint parallel auf der Online-Plattform „Deine Korrespondentin". Er wird hier als Teil einer Kooperation mit der Frankfurter Rundschau veröffentlicht.

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