Wenn Sie diesen Newsletter erhalten, und sich freuen, freuen viele andere Schwed_innen und ich uns über den Zahlungseingang auf unserem Konto: Am 25. jeden Monats wird den meisten Angestellten ihr Gehalt überwiesen. Auch Studierende erhalten nun ihr CSN, eine Art elternunabhängiges Bafög. Viele Rechnungen müssen dementsprechend auch erst nach diesem Datum bezahlt werden.
Mir gefällt diese Regelung so gut, dass ich mir selbst den Anteil meiner Einnahmen aus meiner Selbstständigkeit immer am 25. überweise. Fällt der Tag auf ein Wochenende, kommt das Gehalt schon am Freitag! Und ist der 25. gar selbst ein Freitag gibt es beim im Schweden traditionellen After-Work in der nächstgelegenen Kneipe noch einmal mehr Grund zum Feiern: Der Lönedag ist zum Beispiel in meiner Firma ein beliebtes Partymotto.
Dann wird sich einmal richtig etwas gegönnt, das teure (in Göteborg von 3 bis 9 Euro der halbe Liter) Bier und das ebenfalls etwas hochpreisigere Abendessen. "Wie kannst du dir dieses Leben mit einem deutschen Gehalt überhaupt leisten?", fragen mich hin und wieder Leute, oder sie denken, weil Lebensmittel und andere Waren in schwedischen Geschäften deutlich teurer sind als in Deutschland, fiele auch mein schwedisches Gehalt üppiger aus.
Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Das Honorar für eine freie Journalistin ist bei einer schwedischen Zeitung meist etwas höher als bei einer deutschen, aber in meinem Nebenjob als Copywriterin verdiene ich deutlich weniger als ich es in Deutschland tun würde. Dafür ist der Stundenlohn einer Reinigungsfachkraft oder Kellnerin fast genauso hoch. Und das, obwohl Schweden keinen Mindestlohn hat.
Wem jetzt schon die Kinnlade herunterfällt, für den räume ich mit dem größten Vorurteil auf, dass mir immer wieder von Deutschen begegnet: Auch im Durchschnitt verdienen Schwed_innen weniger als Deutsche, nämlich rund 3600 Euro (brutto) in Schweden vs. 3975 Euro (brutto) in Deutschland. Es bleibt zwar mehr netto vom brutto in Schweden übrig als in Deutschland, dafür ist Konsum durch die höhere Mehrwertsteuer deutlich teurer. Der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen fällt mit 370 Euro in Schweden vs. 568 Euro in Deutschland geringer aus. Statt Mindeslohn gibt es die Kollektivavtal, einen branchenspezifischen Einheitslohn. Die Gewerkschaften handeln ihn jedes Jahr neu aus und er steigt automatisch mit der Erfahrung in einem Beruf. Der Vorteil liegt darin, dass die Gehaltsverhandlung so nicht nur individuell in der eigenen Verhandlungsstärke liegt, sondern in einer kollektiven Anstrengung geschieht. Student_innen erhalten nicht nur ein elternunabhängiges Bafög, sondern auch zusätzlich eine staatliche Hilfe von ein paar hundert Euro, die sie nicht zurückzahlen müssen.
Eine viel egalitärere Gesellschaft? Auch in Schweden hat den höchsten Durchschnittslohn, wer in der Bank-, Finanz- und Versicherungsbranche arbeitet und den niedrigsten die Mitarbeiter der Heimlieferantendienste, die älteren Menschen das Essen bringen. Das Beispiel Creative vs. Reinigungskraft zeigt aber schon, dass das Statusdenken in Schweden weniger vorhanden ist als in Deutschland.
Weniger Konsum und Luxussteuer statt höheren LöhnenWie können wir uns unser dekadentes Leben in Schweden also finanzieren? Ein verändertes Konsumverhalten: Gezielt aufs Lunchangebot zu gehen als irgendetwas zu essen zu kaufen, brav eine Lunchbox vorbereiten anstatt überhaupt unter der Woche auswärts essen zu gehen, Alkoholgenuss, Club- und Kulturbesuche als Luxus anstatt Alltag und lieber ein paar wenige, teurere Kleidungs- und Möbelstücke kaufen, als immer wieder Wegwerfware.
Meine Lieblingsteile sind allesamt aus dem Secondhand-Laden, viel billiger als in Deutschland und von viel besserer Qualität. Wenn ich mit Freunden wandern gehe, hat außer von Juni bis August sowieso kein Wirtshaus zum Einkehren offen, aber Sitzunterlagen, Thermoskanne, geschmierte Brote und Bullar habe ich immer dabei. Die Natur ist umsonst- aufgrund des Allemansrätts kann man mit Zelt oder Hauswagen allerorts eine Nacht umsonst blieben.
Wer jetzt einwendet, das sind typische Argumente ohnehin schon mit den Ressourcen Zeit und sicherem Wohnraum ausgestatteter Menschen, der hat Recht. Menschen wie ich können hier in Schweden gut leben, wenn sie eine Wohnung finden, aber ein reglementiertes Mietsystem, dass einen teuren Schwarzmarkt und Verknappung fördert, macht es nicht allen leicht. Zudem war die Arbeitslosenquote 2020 bis 2021 mit 9,4 Prozent sogar noch höher als in den Vorjahren. Sie liegt im europäischen Vergleich schon länger ziemlich hoch.
Die Moral von der Geschicht: Ohne Job ziehst du am besten nach Schweden nicht. Wer doch zum Studium kommt, seine bereits erfolgreiche, eigene Firma umzieht oder hier Urlaub machen will, der kann gern meine Tipps berücksichtigen oder vielleicht auch in Deutschland mal skandinavisch geizig leben ausprobieren.
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