Das zweite Jahr in Folge leitet der Filmjournalist und gebürtige Münsteraner Christoph Terhechte das Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm (DOK Leipzig) 2021. Mit den Redakteurinnen von zeitgeschichte|online, Sophie Genske und Rebecca Wegmann, sprach er im Interview über die Branche im Angesicht der Pandemie, die vielbeschworene Krise des Kinos und die Bedeutung des Dokumentarfilms für unser heutiges Geschichtsbewusstsein.
zeitgeschichte|online: Seit Beginn Ihrer Zeit als künstlerischer Leiter richten Sie das Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm (DOK Leipzig) unter den erschwerten Bedingungen der Pandemie aus. Was haben Sie aus Ihrem ersten Festivaljahr für 2021 mitgenommen?
Christoph Terhechte: Das Festival in diesem Jahr war im Gegensatz zum Vorjahr nicht hybrid. 2020 wussten wir, dass wir mindestens starke Einschränkungen hinnehmen müssen, wenn nicht sogar mit einer Schließung rechnen. Wir sind dann gerade noch davon gekommen: Am 1. November war der Abschluss der letztjährigen Festivalausgabe und am 2. November begann der Lockdown. Wir hatten also keine Schließungen, dafür aber leere Kinos. Daher ergab die hybride Veranstaltung des Festivals Sinn. Viele Kinovorführungen - unter ihnen die Wettbewerbsvorführungen - waren im letzten Jahr so organisiert, dass man sie auch live streamen und sich anschließend an Q&A mit den Filmschaffenden beteiligen konnte.
Dieses Jahr haben wir darauf gehofft, die Kinos wieder füllen zu können. Ganz und gar gelang das nur im Fall des Kinos Regina, was die Corona-Vorschriften dementsprechend umgesetzt hatte. Andere beteiligte Kinos durften zwischen fünfzig und fünfundsechzig Prozent belegt werden. So oder so haben wir das Augenmerk wieder vorwiegend auf das Kino gelenkt, als dem Raum, in dem sich unsere Gäste begegnen können - Dafür sind und bleiben Festivals da.
Das hybride Element des DOK Leipzig 2021 war insofern nicht im Publikumsbereich, sondern im Fachbereich zu finden. Der Fachbereich DOK Industry, wo sich Branchenvertreter treffen und über neue Projekte austauschen können, ist in diesem Jahr komplett hybrid aufgestellt gewesen, weil wir davon ausgehend mussten, dass viele der Beteiligten nicht nach Leipzig werden anreisen können. Letztlich haben diejenigen, die in Leipzig waren, nacheinander und durcheinander verschiedene Meetings abgehalten, die je nachdem entweder in Person oder aber am Bildschirm stattfanden.
zeitgeschichte|online: Wie verlief die Vorbereitung des Festivals unter diesen Bedingungen?
Terhechte: Schwierig. Es ist immer schwierig, wenn man etwas plant, dessen Rahmenbedingungen nicht ganz klar feststehen, wo man schätzen und raten, sich auf Erfahrung verlassen muss, aber doch schief liegen kann. Es ist schwierig, ein kleines Team von sechzehn, siebzehn Leuten anzuleiten, die sich eigentlich kaum sehen, weil sie über weite Strecken im sogenannten Home Office arbeiten müssen und spontaner Austausch daher kaum stattfindet. Ein Mittel dagegen war in unserem Fall, dass ich das Chefbüro aufgegeben habe und einfach mitten ins Großraumbüro gezogen bin, damit ich dort wenigstens ein bisschen mitbekomme, was gerade los ist, und es die Leute leichter haben, mich anzusprechen oder mal ein adhoc-Meeting einzuberufen. Meist haben bei solchen Meetings dann allerdings doch wieder einige gefehlt, sodass man einen Computer aufstellen und sie über Zoom einbinden musste. Das sind keine idealen Bedingungen, um irgendeine Veranstaltung zu organisieren oder irgendein Büro zu managen. Und wir müssen uns wohl darauf einstellen, dass es noch eine Weile so bleibt.
zeitgeschichte|online: In diesem Jahr konnten auch einige Panels mit Filmschaffenden live gestreamt werden. Wir beobachten in unserer Fachrichtung, dass Online-Veranstaltungen großteilig zu einem größeren und deutlich internationaleren Publikum führen. Konnten Sie ähnliches beim DOK Leipzig feststellen?
Terhechte: Das stimmt auf jeden Fall. Ich gehe davon aus, dass sich auch nach Beendigung dieser Pandemie - wenn es denn ein Ende gibt - keine Normalität im Sinne des status quo ante herstellen wird. Sondern, dass wir umgelernt haben werden.
Ich habe vor Kurzem einmal in meinen Reisekalender von 2014 geguckt und bin erschrocken, wie viel ich unterwegs war und wie viel ich geflogen bin. Heute kann ich mir nicht mehr vorstellen, dahin zurückzukehren. Deswegen sind wir als Festival darauf angewiesen, Leute digital einzubinden. Das Zeit- und Kostenersparnis, die Möglichkeit spontan und aus dem Alltag heraus teilzunehmen sind wesentliche Faktoren, aufgrund derer mehr Menschen einzelne digitale Veranstaltungen wahrnehmen (können). Wenn es also darum geht, Recherchen für das nächste Jahr zu betreiben oder sich Projekte vorstellen zu lassen, dann ist es sinnvoller, an einigen Zoom-Sitzungen von zu Hause oder dem Büro aus teilzunehmen als irgendwo hinzufliegen.
...