Herr Decker, am Dienstagabend werden Sie auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung Bremen mit anderen Forschern über Populisten in Europa diskutieren. Sind Populisten tatsächlich auf dem Vormarsch, oder ist das eher ein subjektives Gefühl?
Frank Decker: Seit Mitte der 2000er lässt sich in der Tat ein deutlicher Anstieg in den Wahlergebnissen verzeichnen. Auch bei den letzten Europawahlen gab es noch mal einen leichten Zuwachs, wenngleich nicht so stark wie befürchtet.
Woran liegt es, dass populistische Parteien seither Konjunktur haben?Das hängt mit krisenhaften Entwicklungen zusammen, die sich seit den 2000er-Jahren zugespitzt haben, etwa dem islamistischen Terrorismus, den Flüchtlingsbewegungen oder der Finanz- und Eurokrise. All das hat den Populisten in die Hände gespielt.
Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Rechts- und Linkspopulisten?
Populismus kann sich mit unterschiedlichen Ideologien verbinden. Auffällig ist, dass man in Europa eine klare Aufteilung sehen kann. In den west- und nordeuropäischen Ländern dominieren eher rechtspopulistische, in den südeuropäischen Ländern linkspopulistische Parteien. Daneben bilden die mittelosteuropäischen Länder eine weitere abgrenzbare Gruppe. Hier prägen nationalkonservative Kräfte mit populistischem Einschlag das Bild.
Woher kommt diese Trennung?
In West- und Nordeuropa haben wir wettbewerbsstarke Wohlfahrtsstaaten. Diese Länder sind auf Arbeitsmigration angewiesen. Gleichzeitig sind sie durch ihr Wohlfahrtssystem attraktiver für Flüchtlinge. Das führt zu Wohlfahrtschauvinismus - also der Meinung, dass wohlfahrtsstaatliche Leistungen den Einheimischen vorbehalten sein sollten. Und deshalb sind Rechtspopulisten dort stark. Die mittelosteuropäischen Länder leiden umgekehrt unter starker Abwanderung und stemmen sich dennoch - oder gerade deshalb - gegen jegliche kulturfremde Zuwanderung.
Und in Südeuropa?
Da diese Länder eher wettbewerbsschwach sind, fühlen sie sich als Leidtragende des Finanzkapitalismus. Gerade die Eurokrise hat hier ideologisch den linkspopulistischen Parteien in die Karten gespielt. Es gibt übrigens zwei Länder, in denen die Trennlinien gewissermaßen mitten durchs Land verlaufen.
Welche?
Zum einen Italien. Hier haben wir einen wirtschaftsstarken Norden und einen schwächeren Süden. Das andere gespaltene Land ist Deutschland. Man sieht, wenn man die Wahlergebnisse der AfD vergleicht, dass der Osten Deutschlands große Ähnlichkeiten mit anderen mittelosteuropäischen Ländern aufweist.
Apropos AfD in Ostdeutschland: Björn Höcke darf offiziell rechtsextrem genannt werden. Trotzdem hat seine Partei in Thüringen jede fünfte Stimme bekommen. Was bedeutet das für unsere demokratische Gesellschaft?
Wenn die AfD ein Viertel der Stimmen erhält, lässt sich das politisch nicht ignorieren. Am Beispiel unserer Nachbarländer kann man studieren, wie die Rechtspopulisten, sobald sie an die Macht gelangen, die Demokratie nach ihren eigenen Vorstellungen umbauen. Davon sind wir in der Bundesrepublik, Gott sei Dank, noch ziemlich weit entfernt. Auf Bundesebene stagniert die AfD bei 13 oder 14 Prozent. Damit kann eine Demokratie umgehen.
Im Zuge der Thüringen-Debatte kam auch wieder die Theorie auf, das politische Spektrum entspräche der Form eines Hufeisens, sprich Links- und Rechtsextreme seien einander näher als der gemäßigten Mitte. Ist diese Hufeisentheorie mittlerweile nicht überholt?
Ja, ich würde schon sagen, dass die Partei Die Linke in das demokratische System hineingewachsen ist. Das kann man daran ablesen, dass nicht nur die SPD und die Grünen bereit sind, mit den Linken zu koalieren, sondern auch die CDU mit ihnen zusammenarbeitet. Zumindest auf kommunaler Ebene.
Können populistische Parteien auch als Korrektiv fungieren, oder sind sie per se schlecht für die Demokratie?
Wenn die zuerst genannte These stimmen würde, dann müsste der Populismus wieder verschwinden, sobald seine Korrektivfunktion erfüllt ist. Das tut er aber nicht. Stattdessen wird er von Wahl zu Wahl stärker. Er verfestigt sich. Aus Protestwählern werden Einstellungswähler. Den anderen Parteien wird es schwerfallen, diese Wähler zurückzugewinnen. Deswegen ist es Unsinn, wenn Friedrich Merz behauptet, mit ihm könne die AfD halbiert werden.
Das heißt, es bringt nichts, wenn die Union unter einer neuen Führung wieder weiter nach rechts rückt?
Das wird für die Union eine schwierige strategische Frage sein. Empirische Befunde zeigen, dass es durchaus möglich ist, Wähler von den Rechtspopulisten zurückzugewinnen, wenn man sich seinerseits nach rechts bewegt. Allerdings würde die Union dafür einen hohen Preis zahlen: Sie könnte ebenso viele oder vielleicht noch mehr Wähler aus der Mitte verlieren.
Wie kann man Populisten den Wind aus den Segeln nehmen?
Man muss bei den Ursachen ansetzen. Was hat dazu geführt, dass diese Parteien so stark geworden sind? Zwei Gründe sind hier aus meiner Sicht maßgeblich. Zum einen driften unsere Gesellschaften sozial und ökonomisch auseinander - die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Zum anderen gibt es die kulturelle Dimension, die vor allem an der Migrationsfrage aufgehängt wird. Auch dieses Thema wird uns die nächsten Jahre und Jahrzehnte weiter begleiten.
Und wie sollte darauf reagiert werden?
Wir müssen diese Themen politisch so bearbeiten, dass der Populismus weniger Angriffsflächen hat. Dazu brauchen wir erstens innerhalb der Gesellschaft wieder mehr Solidarität und Zusammenhalt. Und zweitens müssen wir eine Diskussion darüber führen, wie viel Migration wir wollen und was wir den Migranten an Identifikation mit der sie aufnehmenden Mehrheitsgesellschaft abverlangen.
In ihrem Buch „Der neue Rechtspopulismus" identifizieren Sie Flüchtigkeit und Unberechenbarkeit als Wesen des Rechtspopulismus. Sind diese Attribute noch gültig?
Ich denke, ja. Eine Partei, die sich als Anti-Partei definiert, wird natürlich immer nach Themen suchen, die aus ihrer Sicht gerade besonders populär sind. Von daher ist ein gewisser Opportunismus ein Wesensmerkmal der Populisten. Im Europaparlament kann man zudem sehen, dass die Fraktion der Rechtspopulisten die geringste Abstimmungsdisziplin aufweist. Diese orientieren sich eben stärker an partikularen, nationalen Interessen.
Da wir von der EU sprechen: Großbritannien hat gerade die EU verlassen. Was kann Populismus für die Zukunft der Union bedeuten?
Bei allen Unterschieden gibt es zwei Punkte, die die Rechtspopulisten Europas einen: Sie sind gegen islamische Zuwanderung, und sie lehnen es rigoros ab, dass Nationalstaaten in einem europäischen Staat aufgehen. Sie wollen also keine Vertiefung der europäischen Integration, sondern möchten Zuständigkeiten der EU am liebsten auf die nationale Ebene zurückverlagern. Was sie allerdings nicht fordern, ist der Austritt aus der Union. Insofern bleibt der Brexit ein Sonderfall. Die EU muss trotzdem dafür sorgen, dass sie an Akzeptanz gewinnt. Das wird schwierig, weil das Interessengefälle in der Gemeinschaft groß ist. Wie könnte es angesichts der immensen Wohlstandsunterschiede auch anders sein? Diese anzugleichen dürfte Jahrzehnte dauern, wenn es überhaupt gelingt.
Das Gespräch führte Rebecca Sawicki.
Frank Decker
ist Politologe und hat eine Professur an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn inne. Am Dienstag, 10. März, wird er im Bremer Atlantic Hotel über Populismus in Europa sprechen.
Zur SacheDer Begriff Populismus
Obwohl der Wortstamm des Begriffes Populismus das lateinische Wort für Volk (Populus) ist, wird mit dem Begriff im politischen Kontext meistens eine propagandistische Argumentationsstrategie anstelle tatsächlicher Volksnähe assoziiert. Auffällig ist, dass Populisten durch die Verwendung der Begriffe „wir" und „die" eine Kluft zwischen dem „einfachen Volk", zu welchem sie sich zählen, und der vermeintlichen Elite „die da oben" schaffen. Charakteristisch ist außerdem, dass Fakten verdreht sowie Vorurteile und Ängste geschürt werden. Obwohl im Alltag primär von Rechtspopulisten gesprochen wird, kann sich Populismus mit allen politischen Ideologien verbinden.