Wissenschaftler fordern, dass westliche Frauen weniger Klimasünder gebären sollen. Manche Philosophen empfinden die Geburt als ein Verbrechen. Rebecca Sandbichler hält mit ihren drei Kindern dagegen.
Meine Schuld ist 87 Zentimeter groß, wiegt 11,5 Kilo und ihr Lächeln bringt die Polkappen zum Schmelzen. Ich rede von meiner kleinen Tochter. Sie ist mein drittes Kind und wenn man dem amerikanischen Wissenschaftler Travis Rieder glaubt, haben mein Mann und ich der Welt mit dieser exzessiven Familienplanung pro Kind (!) sechsmal mehr Schaden zugefügt als wir mit einem ökologischen Lebensstil je gutmachen könnten.
Kinder sind Klimakiller
Ich verstehe seine Sorge, denn nur ein einziger seiner kleinen Landsleute wird als Erwachsener jährlich mehr als 16 Tonnen CO2 in die Atmosphäre blasen, ein Deutscher immerhin mehr als zehn Tonnen. Für den Philosophie- und Bioethik-Professor an der John Hopkins Universität Baltimore ist meine Gebärmutter der Ort, wo über unseren Planeten entschieden wird: „Ein Kind in die Welt zu setzen, verschlimmert den Klimawandel und wenn wir uns nicht zusammenreißen, wird es auch für das Kind nicht so großartig ausgehen.“
Rieder will darum „sanften“ Druck auf Paare ausüben, lieber nur ein Kind zu bekommen, wenn die westliche Gesellschaft schon nicht bereit sei „ihre Spielzeuge aufzugeben“. In einer Arbeit über Bevölkerungskontrolle rechnet er vor, dass nur ein leichter Geburtenrückgang um ein halbes statistisches Kind pro Frau uns immerhin ein Fünftel der benötigten CO2-Einsparungen bis 2050 bringen könnte.
Nachwuchs könnte zum Statussymbol werden
Demzufolge will er Frauen über Verhütung besser aufklären, große Familien finanziell benachteiligen und mediale Kampagnen für das Vater-Mutter-Kind-Modell starten. Er selbst lebt es konsequent: Weil seine Frau sich immer eine große Familie wünschte, hat das Paar weitere Kinder nach seiner ersten Tochter adoptiert.
Für seine Fachkollegin Rebecca Kukla, Ethikerin an der Georgetown Universität, ist absehbar, dass besonders unterprivilegierte Frauen mit ungewollten Schwangerschaften geächtet würden. Denn Reiche nähmen die finanziellen Nachteile für Großfamilien in Kauf, während ärmere Familien in „einer der intimsten Entscheidungen eines Menschen“ eingeschränkt wären.
Wir können auf andere Klimasünden verzichten
„Eine große Familie zu haben, würde zum Statussymbol in so einem System“, schreibt Kukla. Auch fürchtet sie, dass die Unterstützung für die bereits geborenen Kinder mit der Zeit wegfallen könnte. Diese Dynamik ist von Chinas früherer Ein-Kind-Politik bekannt, in der ärmere Chinesen ihre Zweit- und Drittkinder nicht zur Schule oder zum Arzt schickten – weil sie die hohen Geldstrafen für deren schlichte Existenz nicht bezahlen konnten.
Sie fordert darum, zuerst in weniger existenzielle Verhaltensweisen der Menschen einzugreifen, um den Klimawandel zu verlangsamen. Geburtenkontrolle ist offensichtlich relativ machtlos im Verhältnis zum Leid, das sie erzeugt. Menschen wollen Kinder, sogar unter widrigen Umständen. Amerikanerinnen gebären zum Beispiel deutlich mehr Kinder als deutsche Frauen; obwohl sie von bezahltem Mutterschutz, Elterngeld und günstiger Kinderbetreuung nur träumen dürfen.
Geld statt Gebären
Wenn nicht Bestrafungen, dann könnten Belohnungen vielleicht helfen, dachten sich wachstumskritische Zukunftsforscher des Club of Rome deshalb. Sie schlugen im Herbst vergangenen Jahres vor, den kinderlosen Frauen in Industrienationen zum 50. Geburtstag eine Prämie von 80.000 Dollar auszuzahlen.
Die Idee ist nicht nur eine Beleidigung des weiblichen Charakters und könnte soziale Ungleichheiten verstärken, sie ist sogar umweltschädlich. Unsere Klimaprobleme haben wir ja auch, weil wir sinnloses Zeug kaufen. Und was macht eine kinderlos gebliebene Frau um die 50 womöglich mit einem unverhofften Haufen Geld? Richtig.
Leiden wir von Geburt an?
Sogenannte Antinatalisten, also Geburtsgegner, argumentieren jedoch nicht nur ökologisch. Diese philosophische Denkschule hält die Zeugung eines Kindes gar für ein Verbrechen am unschuldigen Individuum: Es sei eine Bürde, Mensch zu sein und leben zu müssen auf einer Welt, die von Klimakatastrophe und Massenaussterben geprägt ist. Sie sagen, es sei moralisch besser, garantiertes Leid zu vermeiden, als einem ungeborenen Kind seine geringe Chance auf Glück zu verwehren.
Ich widerspreche der antinatalistischen Behauptung, dass erlebtes Leid schwerer wiegen soll als Glück. Ein Kind verursacht tatsächlich nicht nur ökologisch, sondern auch nervlich viel Leid. Zum Beispiel, wenn es seine Müslischale in voller Absicht auf den Boden wirft.
Aber das Glück über ein lustiges Wort – sie sagt „Blubba“ statt Luftballon – und diese unbändige Lebensfreude eines tobenden Kindes können es damit hundertmal aufnehmen.
Ich bin ein sabbernder Sack Glück in solchen Momenten. Und ich behaupte, nie stärker den Sinn des Menschseins gespürt zu haben als dann. Dass wir für unser Dasein alle sterben müssen, dachte ich mir schon.