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Schneller in die Tiefe: Neue Bohrverfahren sollen Erdwärme anzapfen

Schneller in die Tiefe: Neue Bohrverfahren sollen Erdwärme anzapfen


Mit künstlichen Blitzen und Mikrowellenstrahlen sollen Bohrungen schneller in große Tiefen vorstoßen können. Die Kosten für die Nutzung von Geothermie sollen damit sinken.


Geothermie, die Wärme im Erdinneren, kann einen erheblichen Beitrag zu einer CO₂-armen Stromversorgung leisten – bislang allerdings nur auf dem Papier. In der Realität gibt es zwar einige Kraftwerke. Die finden sich aber meist in vulkanisch aktiven Gebieten wie Indonesien, Italien und Island.

Dort liegen heiße Gesteinsschichten, günstig sind 90 Grad Celsius heiß und heißer, nahe der Oberfläche. In vielen anderen Regionen muss aber mehrere Kilometer tief gebohrt werden, um solche Schichten zu erreichen. Das ist aufwändig und teuer. Für solche Bohrungen kommen schnell zweistellige Millionenbeträge zusammen.

Bessere Bohrverfahren könnten helfen, die Kosten zu senken. Daran arbeiten verschiedene Forschungsteams. Sie wollen weg vom Bohrmeißel, der Gestein mechanisch zertrümmert und dabei selbst rasch verschleißt. Entsprechend oft muss er ausgetauscht werden, was bei hunderten oder tausenden Metern Bohrgestänge eine langwierige Sache ist. Stattdessen setzen die Teams auf berührungslose Gesteinszerstörung.
Blitzschlag ins Gestein

Das kann mit kurzen elektrischen Pulsen geschehen. Beim PPGD-Verfahren (für: Plasma Pulse Geo Drilling), das an der ETH Zürich entwickelt wird, werden 200 bis 500 Kilovolt Hochspannung angelegt. „Die Pulse müssen unter 500 Nanosekunden kurz sein, dann entsteht kein Kurzschluss, sondern die Ladung geht ins Gestein und erzeugt darin eine Art Blitz“, sagt der leitende Wissenschaftler Martin Saar. Die schlagartige Wärmeausdehnung und der Plasmadruck brechen das Gestein mechanisch von innen auf, „als ob man mit einem Löffel durch Eiscreme fährt und sie heraushebt.“

Es entstehen Bruchstücke, die bis zu einen Zentimeter groß sind. Wie beim konventionellen Bohren werden sie von der Bohrspülung, die permanent durch Gestänge und Loch zirkuliert, nach oben geschafft.

Die Grundlagen sind seit Jahrzehnten bekannt, aber kommerziell angewendet wird die Methode bisher nicht. Denn es muss nicht nur der Bohrmeißel entwickelt werden, sondern etliche weitere Technologien. Dazu gehört ein Generator, der in Sekundenbruchteilen die extremen Spannungen bereitstellen kann. Weiterhin müssen die Energiepulse bis zum Grund des Bohrlochs gebracht werden, was spezielle Kabel erfordert. „An jeglichen Übergängen kann es zu Rückkopplungen kommen“, sagt Saar. Das erschwere die Arbeiten. Auch die Bohrspülung muss so zusammengesetzt sein, dass sie nicht zu leitend ist. „Sonst blitzt es in der Spülung und nicht im Gestein“.


Der Forscher ist überzeugt, dass sich die Mühe lohnt. „Beim PPGD hält der Bohrkopf länger, ehe er gewechselt werden muss“, erklärt er. Während eines Austauschs macht die Bohranlage keinen Fortschritt, die hohe Miete läuft aber weiter. Am Ende, so die Hoffnung, ist der angepeilte Gesteinshorizont schneller und damit preiswerter erreicht. Hinzu kommen laut Saar weitere technische Vorteile, etwa dass die Bohrung präziser zur Seite abgelenkt werden kann. Vor allem aber ist der Energiebedarf insgesamt geringer: Herkömmliche Bohrverfahren zerbrechen das Gestein mittels mechanischem Druck, PPGD muss nur die – wesentlich geringere – Zugfestigkeit überwinden, um es zu zerbröseln.

Das Team hat zahlreiche Simulationen gerechnet und Experimente gemacht, darunter mit Partnern der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG in Bochum. In drei bis fünf Jahren, hofft Saar, könnte eine Demonstrationsanlage die ersten tiefen Löcher bohren.

Etwas schneller will das slowakisch-amerikanische Unternehmen GA Drilling sein, zumindest mit einer hybriden Variante. Sie verwendet ebenfalls Elektroschocks, um Gestein zu zerkleinern, kombiniert die Methode jedoch vorerst mit einem gewöhnlichen, mechanischen Bohrmeißel. Schon im kommenden Jahr soll „Plasmabit Hybrid“ erstmals eingesetzt werden. Langfristiges Ziel bleibt die reine Plasmabohrung, doch die brauche länger, sagt Firmenchef Igor Kocis.

Der Name des Unternehmens GA Drilling leitet sich ab von „Geothermal Anywhere“ – es will Geothermie an möglichst vielen Standorten ermöglichen. Dazu gehört eine verbesserte Bohrtechnik, die sich laut Kocis vor allem in größerer Tiefe auszahlt. Wegen des zunehmenden Aufwandes, steigen die Kosten mit jedem weiteren Kilometer überproportional. „Plasmabit Hybrid“ soll dreimal so schnell bohren wie herkömmliche Anlagen und bis zu acht Kilometer erreichen, das reine „Plasmabit“-System fünfmal so schnell sein und bis zehn Kilometer kommen. Dort herrschen Temperaturen von rund 400 Grad, die eine besonders reiche Ausbeute versprechen.

Die Firma beruft sich auf Kooperationen mit Industrie- und Forschungspartnern und erfolgreiche Tests. Ob die avisierten Ziele erreicht werden, muss sich noch zeigen.
Gestein verdampfen

Noch ambitionierter ist das Ziel der US-Firma Quaise. Sie möchte zehn, zwanzig Kilometer tiefe Löcher in bis zu 500 Grad heißes Gestein treiben. Dort ist die Energiedichte so hoch, dass damit einstige fossil betriebene Kraftwerke zu neuem, klimafreundlichem Leben erweckt werden könnten, argumentiert das Unternehmen. Die Energiewende würde damit erheblich beschleunigt.

So heiße und tiefe Gesteinsschichten zu erschließen, erfordert neue Wege. Normale Bohrmeißel aus Hartmetall würden wegen der Hitze versagen. Quaise will dort, wo die konventionelle Technik an ihr Limit kommt, Mikrowellenstrahlung einsetzen, die das Gestein regelrecht verdampft.

Die Idee dazu hatte Paul Woskov vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er hat jahrelang, neben weiteren Forschern, Mikrowellen mit einem Gyrotron erzeugt, um damit Plasma für Kernfusionsexperimente zu heizen. 2008, so erzählt er in einem Artikel des MIT, wurde er auf eine Ausschreibung aufmerksam, in der es um neue Bohrtechniken gehen sollte. Woskov machte Experimente: schmolz, ja dampfte mit Mikrowellen Löcher in Gesteine als wären sie aus Eis. Weil sie eine andere Wellenlänge haben als Laserstrahlen sind sie besser für größere Löcher geeignet, während Laser eher für Schneidarbeiten prädestiniert sind.

Quaise will die patentgeschützte Idee kommerzialisieren. Das Konzept sieht vor, die Mikrowellenstrahlung durch ein Rohr in die Tiefe zu schicken, bis zum „Bohrer“. Das herausgelöste Material soll mit einem Gasstrom, Luft oder Stickstoff, an die Oberfläche geschafft werden.

Es gibt einige Schwierigkeiten, wie das „Journal of Petroleum Technology“ berichtet. Wenn etwa die Bohrung abknickt, könnte das ungünstig für die Wellenausbreitung sein, die geradlinig erfolgt. Weiterhin ist der Mikrowellenstrahl empfindlich für zu viel Wasser, auf das man auf dem Weg in die Tiefe immer wieder stößt, etwa in Bruchzonen. Anfragen des Tagesspiegels zur Technologie hat das Unternehmen nicht beantwortet.

Quaise hält derweil an seinem Plan fest, in diesem Jahr das erste größere Bohrloch zu erstellen. 2026 soll das erste Kraftwerk mit Energie aus besonders heißen Schichten laufen, zwei Jahre darauf dann das erste große fossile Kraftwerk auf Dampf aus geothermalen Quellen umgestellt werden.

Erschienen am 12. Februar 2024.


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