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Wasserstoff? Nein, Eisen könnte Energieträger der Zukunft werden

Ausgerechnet das Allerweltselement könnte helfen, das Speicherproblem für Wind- und Sonnenenergie zu lösen. Womöglich ermöglicht es sogar ein zweites, klimafreundliches Leben für Kohlekraftwerke.


Wasserstoff wird vielfach als Wundermittel der Energiewende gehandelt. Erzeugt mittels klimafreundlichem Strom kann der Energieträger transportiert und gelagert werden, um ihn genau dann zu nutzen, wenn Bedarf besteht. Doch das Gas ist leicht flüchtig und entzündlich, was den Umgang erschwert. Eine Alternative könnte Eisen sein.

Mehrere Forscherteams ergründen, wie das vierthäufigste Element auf der Erde zur Energiespeicherung genutzt werden könnte. Erste Versuche, darunter in einer Brauerei, sind vielversprechend. Am Ende könnte es sogar den geächteten Kohlekraftwerken eine Renaissance ermöglichen – als klimafreundliche Variante.

„Iron fuel“, wie es in der internationalen Fachsprache genannt wird, basiert auf zwei wichtigen chemischen Reaktionen, der Oxidation und der Reduktion. Ersteres ist nichts anderes als Verbrennung: Eisenpulver wird mit Sauerstoff gemischt und entzündet. Im Gegensatz zu einem einzelnen Eisenklumpen haben die unzähligen Partikel des Pulvers eine viel größere Oberfläche, auf der die Reaktion stabil ablaufen kann. Dabei wird viel Wärme frei, die genutzt werden kann. Übrig bleibt Eisenoxid, also Rost.
   
Um daraus wieder frische Eisenpartikel zu machen, ist die Reduktion erforderlich. Dazu wird Wasserstoff durch das Eisenoxid geleitet. Es reagiert mit den Sauerstoffatomen im Eisenoxid und verbindet sich mit ihnen zu Wasser. Übrig bleibt Eisenpulver, das erneut verbrannt werden kann.

Wird der Wasserstoff mithilfe klimafreundlich erzeugten Stroms hergestellt, entsteht ein Kreislauf, bei dem das Eisenpulver als Energiespeicher fungiert. Auf diese Weise könnte der Strom- und Wärmebedarf im großen Stil gedeckt werden, ohne fossile Rohstoffe einzusetzen, rechnete Jeffrey Bergthorson von der McGill University in Montreal (Kanada) 2018 im Fachjournal „Progress in Energy and Combustion Science“ vor. Diverse Detailfragen seien aber noch zu klären.

Daran arbeiten Forscher sowie das studentische Team „Solid“ der TU Eindhoven in den Niederlanden. Nach etlichen Labortests haben sie Ende Oktober die erste Anlage in industrieller Umgebung gestartet in der Bavaria Brauerei in Lieshout. Beim Brauen wird viel Wärme benötigt, diese kommt nun auch aus der Verbrennung von Eisen.

Es handele sich um ein feines Pulver, die Körnchen im Schnitt nur 40 Mikrometer groß, berichtet Sofie Scheij vom Team Solid. „Es wird als Schüttgut gelagert und lässt sich einfach handhaben.“ Ein Vorteil gegenüber vielen anderen Energiespeichern.
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Die Anlage verbraucht rund 60 Kilogramm Eisen pro Stunde und liefert bis zu 100 Kilowatt Wärmeenergie. „Wir wollen die Leistung weiter steigern und planen bereits eine Anlage mit einem Megawatt“, sagt Scheij. In vier Jahren will das Team die 10-Megawatt-Grenze überschreiten. „Außerdem wollen wir vom experimentellen Aufbau wegkommen und eine Anlage designen, die sich vermarkten lässt.“ Unterstützt werden die Forscherinnen und Forscher dabei von Industriepartnern, die im Metal Power Consortium zusammenarbeiten.

„Die Technologie ist vielversprechend und in jedem Fall wert, sie genauer zu erforschen“, sagt Uwe Riedel, der das Institut für CO2-arme Industrieprozesse des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) leitet. Der Wirkungsgrad, der laut Bergthorsons Kalkulationen bei rund 40 Prozent liegt, dürfte in der Praxis zwar nicht erreicht werden, sagt der DLR-Forscher. „Aber um 35 Prozent könnten möglich sein.“

In der Welt der Erneuerbaren, wo für eine stabile Energieversorgung mehr Umwandlungsschritte nötig sind, sei das ein recht guter Wert. „Außerdem zeigt sich, dass nicht unbedingt der Wirkungsgrad darüber entscheidet, ob sich eine Technologie durchsetzt, sondern eher die Kosten.“ Die seien bei Eisen voraussichtlich geringer. Wasserstoff erfordert spezielle Druckbehälter und Kühltechnik, Eisenpulver könne in Big-Bags transportiert werden.

Riedel hält den Eisenzyklus für grundsätzlich machbar, aber auch hier sei auf Sicherheit zu achten, etwa was die Verbrennung des feinen Materials betrifft. Die große Oberfläche der vielen Partikel ist dafür günstig, sie erhöht aber auch die Gefahr einer Staubexplosion, wenn eine Zündquelle in der Nähe ist. „Das Problem ist aus der Kohlestaubfeuerung bekannt und beherrschbar“, sagt der DLR-Forscher. „Wenn wir es da im Griff haben, schaffen wir das auch bei Eisen.“

Die zweite Gefahrenstelle ist der Wasserstoff, der für die Reduktion benötigt wird. Er kann mit Sauerstoff reagieren, wie jeder vom Knallgasexperiment aus dem Chemieunterricht weiß. „Wasserstoff wird für viele Anwendungen in der Energiewende benötigt, den sicheren Umgang damit müssen wir ohnehin beherrschen und werden es auch“, gibt sich Riedel optimistisch. Es sei an der Zeit, den Energiespeicher Eisen – beziehungsweise Metalle allgemein – und dessen Potenzial genauer zu ergründen, sagt er.
   
Dazu haben die TU Darmstadt, die Universität Mainz, das DLR sowie das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) einen großen Forschungsantrag beim Land Hessen gestellt. „Neben den Ingenieurwissenschaften beziehen wir auch die Natur-, Politik- und Wirtschaftswissenschaften mit ein“, sagt Christian Hasse von der TU Darmstadt, einer der führenden Forscher des Vorhabens.

Das Konsortium denkt international: Die Reduktion des Eisenoxids, also das Aufladen des Speichers, sollte in südlichen Ländern erfolgen. Dort kann wesentlich mehr Solarstrom erzeugt werden als hierzulande, der dann per Elektrolyse Wasser aufspaltet und so den benötigten Wasserstoff bereitstellt.

Anstatt nach Wegen zu suchen, wie das gefährliche Gas nach Europa kommt, wird es vor Ort verwendet und nur das Eisen wird verschifft. Doch auch diese Lieferketten müssen aufgebaut werden und zuverlässig arbeiten, daher werden die sozioökonomischen Aspekte schon jetzt erforscht.

Den Forschergruppen, die an „iron fuel“ arbeiten, geht es nicht nur um Wärme für Brauereien oder ähnliche Betriebe. Ziel ist es, die Technologie so weit zu entwickeln, dass die Eisenfeuerung in heutigen Kohlekraftwerken genutzt werden kann, um wetterunabhängig und bedarfsgerecht Strom zu produzieren – ergänzend zu den erneuerbaren Quellen. Wissenschaftler wie Hasse und Riedel sind überzeugt, dass der künftigen Energieversorgung ein solcher Mix guttäte und man keine Technologie von vornherein ausschließen sollte, um den Ausstieg aus fossilen Rohstoffen zu erreichen.

Dies haben führende Energieforscher um Andreas Dreizler, TU Darmstadt, kürzlich in einem Positionspapier eingefordert. „Thermochemische Energieumwandlungstechnologien (Verbrennungstechnologien) sind erwiesenermaßen zuverlässig und robust“, heißt es da. „Durch die weitere Nutzung von Gasturbinen in der Stromwirtschaft lassen sich bewährte Anlagen für die Energiewende nutzen und die Nachteile eines disruptiven Technologiewechsels vermeiden.“ Dies erhöhe die Versorgungssicherheit und halte die Kosten für die Systemtransformation überschaubar.

Ob es für die deutschen Kohlekraftwerke, wo das letzte 2038 vom Netz gehen soll, einen nahtlosen Übergang zu einem zweiten, klimafreundlichen Leben geben könnte, ist offen. Die technischen Hürden sind hoch. „Wir sehen nicht nur Deutschland“, sagt Hasse.

Weltweit sind mehr als 2000 Kohlekraftwerke in Betrieb, über 1300 weitere Anlagen sind geplant. „Wenn wir etwas für das Klima tun wollen, müssen wir diese auf nachhaltige Brennstoffe umstellen.“ Die dafür benötigte Eisenmenge sei kein Problem, das habe das Team durchgerechnet. Es sei genug vorhanden, um den Kreislauf zu füllen, im Folgenden werde das Material ständig recycelt.

Sollten sich die Versprechungen der Technologie erfüllen, könnten also statt Öltanker bald Eisenfrachter über die Weltmeere fahren – die womöglich selbst durch die Verbrennung von Eisenpulver angetrieben werden. Auch daran wird bereits geforscht.


Erschienen am 16. November 2021.



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