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Neues Planetarium: Warum in Halle um Sigmund Jähn gestritten wird | MDR.DE

Ein Thema polarisiert in der Händel-Stadt: Das Planetarium und die Frage, ob nach Sigmund Jähn benannt werden soll - oder eben nicht. Der 2019 verstorbene Kosmonaut aus dem Vogtland flog 1978 als erster Deutscher ins All - vor allem als Ostdeutscher.

Gleicher Namenszusatz wie beim alten Planetarium

SPD, Linke und Mitbürger im Hallenser Stadtrat sind dafür, das Planetarium nach Sigmund Jähn zu benennen. Kay Senius, der neben seiner Stadtratstätigkeit für die SPD auch der Vorsitzende des Kulturausschusses ist, sagte MDR KULTUR, es sei der gleiche Namenszusatz wie beim alten Planetarium. Den wolle man beibehalten.

Sigmund Jähn ist eine Symbolfigur der Ostdeutschen und damit auch der gesamtdeutschen Raumfahrt als erster deutscher Kosmonaut.


Herausgehobener Repräsentant des DDR-Staates?


Einspruch kommt von der CDU-Fraktion im Hallenser Stadtrat. Für Ulrike Wünscher, CDU-Stadträtin, war Sigmund Jähn ein herausgehobener Repräsentant des DDR-Staates. Er habe seine Leistungen nur vollbringen können, weil er systemkonform gewesen sei. Die CDU-Fraktion votiert für den Namen "Planetarium Halle"- ganz ohne Namenszusatz, wie es auch der Leiter des Planetariums selbst befürwortet.

Für die Menschen in Halle ist die Verknüpfung von Sigmund Jähn mit einem Planetarium nicht neu. Denn 1978 wurde auf der Peißnitzinsel das Raumflug-Planetarium eröffnet, das genau diesen Namenszusatz trug: Sigmund Jähn. Es behielt seinen Namen auch nach der Deutschen Einheit. Doch 2013 richtete das Hochwasser großen Schaden im Gebäude an. Und so wurde der Bau, der der Ostmoderne zugeordnet wurde, schlussendlich abgerissen. Als Ersatz-Neubau entsteht auf dem Holzplatz in Halle ein neues Planetarium. Eröffnet werden soll es noch dieses Jahr.


Ersatz oder Neubau?


Ob es nun ein Ersatz oder ein Neubau ist, darüber sind sich auch die unterschiedlichen Parteien im Streit uneins. Während die Seite, die gegen Sigmund Jähn als Namenszusatz votiert, von einer Neubenennung spricht, sieht die Seite, die den Kosmonauten gerne als Namenspatron hätte, diesen Namen als Kontinuität für ein Planetarium in der Stadt. Selbst der Baustellen-Titel: "Ersatz-Neubau" trifft hier keine deutliche Aussage.

Im Namensstreit meldete sich Ende vergangenen Jahres eine Stimme auf Landesebene zu Wort: die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker. Sie spricht sich gegen Sigmund Jähn als Namensgeber aus. Neumann-Becker sorgt sich, dass mit der Fortschreibung eines Geschichtsbildes eines Sigmund Jähn, der in den Weltraum geflogen sei, dessen SED- und NVA-Karriere einfach mal so weglassen würde - 30 Jahre nach der Deutschen Einheit.


"Und ich glaube, dass wir uns da auch in eine geschichtliche Lüge begeben. Und deshalb habe ich an dieser Stelle mich zu Wort gemeldet und beabsichtige damit überhaupt nicht, jemanden zu verletzen, sondern diese Diskussion zu führen."

Birgit Neumann-Becker, Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Als IM registriert


Es ist eine Diskussion über die Systemnähe eines 2019 verstorbenen Kosmonauten, der nach seinem Weltraumflug zum Helden der DDR gemacht wurde. Er wurde früh SED- und NVA-Mitglied, war dort am Ende sogar General-Major. In seiner Funktion als Flieger und Kosmonaut hatte er engen Kontakt mit der Stasi und wurde auch selbst engmaschig überwacht. Weiterhin wurde er von der Staatssicherheit - ob wissentlich und willentlich oder nicht ist nicht nachweislich dokumentiert - als IM registriert. Das zeigen Dokumente der Stasiunterlagenbehörde, die der Redaktion vorliegen.

Nach seinem Raumflug bekam Sigmund Jähn Ehrungen und Würdigungen und ließ sich vom DDR-Staat vereinnahmen. Wie viel Überzeugung bei dem Kosmonauten im Spiel war und wie sehr er unter Druck gesetzt wurde, ist im Rückblick schwer zu sagen.

Für Birgit Neumann-Becker würde man viel zu kurz springen, wenn man seine politische Rolle allein am Wirken für die Staatssicherheit festmachen würde. Es sei wichtig zu schauen, welche Funktionen Sigmund Jähn in der DDR ausgeübt habe und wie er dort auch funktioniert habe als Funktionär, so Neumann-Becker.


Jähn von einem Freund beschrieben


Wer sich noch gut an ihn erinnern kann, ist der Astronaut Reinhold Ewald. Denn Sigmund Jähn war Mentor und väterlicher Freund für den in Mönchengladbach geborenen Astronauten während seiner Trainingszeit in den 90er-Jahren im Sternenstädtchen in Russland. 1997 flog der heutige Professor für Astronautik und Raumstationen Ewald ins All. Er erlebte Jähn als sehr geradlinigen Menschen, der das Scheinwerferlicht eher gemieden und die Fähigkeit gehabt habe, zu verschwinden, so Ewald, wenn er die Dinge in Bewegung gebracht hatte.

Zu der fehlenden Distanzierung von Sigmund Jähn nach der Deutschen Einheit sagt Reinhold Ewald: "Wenn man da also eine Erwartungshaltung hätte, dass da jemand, der die Wende erlebt, als General der Nationalen Volksarmee sich danach hinstellt und sagt: 'Ich wusste schon immer, dass das falsch war.' Wenn man das erwartet, da war man bei Sigmund am Falschen. Aber er hat auch tatsächlich gesagt: Ich war Teil in einem System, was mir ermöglicht hat, meine Leidenschaft des Fliegens und auch später das Erlebnis des Allfluges zu machen und das kann ich nicht verleugnen."


Persönliche Haltung zum System entscheidend


Wie politisch kann und muss ein Kosmonaut sein? Und wie beurteilt man Lebensleistungen, die in einem repressiven System erbracht wurden? Man muss differenzieren, sagt der renommierter Hallenser Wissenschaftler Gunnar Berg, dessen Amtszeit als Vize-Präsident der Leopoldina in Halle vergangenes Jahr endete. Für den ehemaligen Physikprofessor der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg steht die Lebensleistung von Sigmund Jähn nicht im Zweifel, die müsse nicht diskutiert werden, das sei der Weltraumflug. Aber ganz entscheidend sei für ihn die persönliche Haltung in einem System wie der DDR.


"Und da hat Jähn - sowohl schon vor seinem Raumflug als erst recht natürlich danach als Repräsentant der DDR-Diktatur - in der Öffentlichkeit gewirkt. Und ich meine, dass eine Person, die das gemacht hat, nicht für eine Ehrung - und es geht hier um eine Ehrung - infrage kommt."

Gunnar Berg, ehemaliger Physikprofessor

Anders argumentiert Kay Senius von der SPD-Fraktion im Hallenser Stadtrat. Für ihn und seine Mitantragsteller gehe es darum, eine persönliche Lebensleistung zu würdigen und diese in den Vordergrund zu stellen. Themen wie das Engagement im DDR-System hätten für ihn dann eine Bedeutung, wenn durch das persönliche Zutun des Betreffenden andere Personen unmittelbar Schaden erlitten hätten. Und dafür gebe es bei Sigmund Jähn im Moment nach seiner Kenntnis keine Anhaltspunkte.


Kritische Würdigung im Planetarium


Auch wurde der Antrag der SPD und Linken mittlerweile ergänzt: Es soll eine kritische Würdigung der Rolle von Sigmund Jähn in der DDR im Planetarium geben. Am Mittwoch wird im Kulturausschuss in Halle weiter diskutiert. Es ist eine Diskussion, die zeigt, dass die Debatte über das Erbe der DDR noch nicht vorbei ist.

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