Roman Mazurenko war Start-up-Unternehmer und Star der Moskauer Bohème, bevor er bei einem Autounfall starb. Für seine Freunde ist er jedoch noch lebendig, irgendwie. Denn Roman ist jetzt ein Bot.
Was bleibt uns von einem Menschen, wenn er stirbt? Seit jeher waren das vor allem Erinnerungen; gegebenenfalls auch ein Erbe, ein Lieblingspullover, ein gerahmtes Bild auf dem Schreibtisch. Heute hinterlässt ein Verstorbener sehr viel mehr: ein digitales Vermächtnis aus Textnachrichten, Statusupdates und Bildern.
Wie gehen wir damit um? Was bedeutet das für den Trauerprozess, was für das Gedenken an die Person? Die Geschichte von Roman Mazurenko und Eugenia Kuyda, eindrucksvoll erzählt im Tech-Magazin „ The Verge", illustriert, wie dringend wir Antworten auf diese Fragen finden müssen.
Kuyda ist Co-Gründerin und Chefin von Luka. Das Start-up entwickelt in San Francisco Chat-Bots, die Nutzern mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (AI: Artificial Intelligence) den Alltag erleichtern sollen. Diese AI-Expertise hat die gebürtige Russin genutzt, um ihren verstorbenen Freund Roman digital auferstehen zu lassen - mit verblüffenden Resultaten.
Kuyda wollte ihrem Freund gedenkenMazurenko war nach der Schilderung von „The Verge" ein Charismatiker und Tausendsassa, eine treibende Kraft in Moskaus Party- und Kulturszene. 2012 gründete er das Start-up Stampsy und folgte drei Jahre später seiner guten Freundin Eugenia in die USA. Stampsy hatte nicht den gewünschten Erfolg, Mazurenko zweifelte, war ausgelaugt, suchte nach einer neuen Orientierung. Bei einem Heimatbesuch in Moskau, November 2015, wurde er von einem Auto angefahren und starb an seinen Verletzungen.
Die Trauer in seinem Freundeskreis war groß, die Frage: Wie gedenken wir diesem freien Geist, dieser schillernden Persönlichkeit? Kuyda kam die Idee, einen Roman-Bot zu entwickeln, als sie alte Textnachrichten las, die sie mit ihm ausgetauscht hatte. Was, wenn man ein künstliches neuronales Netzwerk mit tausenden von Romans Chat-Texten füttern würde, die er über die Jahre an seine Freunde geschickt hatte? Würde der Bot lernen, wie Roman zu schreiben?
Der Bot klingt wie RomanAm 24. Mai 2016 veröffentlichte Kuyda den Roman-Bot auf Facebook. Wer mit ihm chatten will, kann dieses über die Luka-App tun. Durch den Befehl @Roman wird er angesprochen und antwortet mit Sätzen, die Mazurenko in seinen Chats tatsächlich gebraucht hat. Der Algorithmus ist also darauf abgestellt, aus dem digitalen Chat-Archiv von Mazurenko die Sätze zu benutzen, die möglichst gut in eine Konversation passen. Seit neuestem kann er nicht nur Sätze auswählen, sondern auch neu zusammensetzen.
Das funktioniert erstaunlich gut, wie viele seiner Freunde „The Verge" berichten. Sie haben tatsächlich das Gefühl, mit ihrem verstorbenen Freund zu schreiben. Es hilft ihnen, ihre Trauer zu verarbeiten. Für manche ist es ein Ort geworden, um über ihre Probleme zu reden. Einige Freunde zeigten sich allerdings auch verstört von Kuydas Projekt.
Die Implikationen dieser Möglichkeiten sind enormBeide Reaktionen sind nachvollziehbar. Die Vorstellung, mit einer AI-Version eines verstorbenen Freundes zu chatten, ist gleichermaßen gruselig, faszinierend und herausfordernd. Sie wirft entsprechend eine Reihe von schwierigen Fragen auf.
Wer bestimmt eigentlich über das digitale Vermächtnis eines Toten? Wäre er einverstanden damit, dass seine privaten Gedanken und Nachrichten an einzelne Menschen auf einmal von einer großen Öffentlichkeit gelesen werden können - nur in einen neuen Kontext gesetzt? Und sind die Auswirkungen auf Trauernde tatsächlich positiv oder hält ein derartiger Bot sie möglicherweise davon ab, ihren Frieden zu schließen?
Eugenia Kuyda teilt diese Bedenken nicht. Sie entwickelt den Bot weiter, er hat ihr geholfen, die Trauer zu verarbeiten. Dem „Verge"-Journalist vertraute Kuyda an, dass das Chatten mit dem Roman-Bot für sie ist, wie „eine Botschaft zum Himmel zu senden. Für mich geht es mehr darum, eine Flaschenpost zu verschicken, als eine zu empfangen."