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Bundesaußenminister: Eine Urangst der Polen belastet den Maas-Besuch

Bundesaußenminister Heiko Maas besucht die KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Der SPD-Politiker rief vor seiner Reise zum Einsatz für Menschenrechte auf. | Quelle: WELT/ Laura Fritsch

Bei seinem zweiten Besuch im Nachbarland muss der Außenminister eine schwierige Gratwanderung meistern: Er darf einen sensiblen EU-Partner nicht düpieren - und muss Warschau trotzdem die Leviten lesen. Das hat auch mit Wladimir Putin zu tun.

Am Montag besucht Außenminister Heiko Maas (SPD) das ehemalige deutsche Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Im Anschluss wird er in einem nahe gelegenen Kloster mit seinem polnischen Amtskollegen Jacek Czaputowicz zusammentreffen. Die beiden Minister haben viel zu besprechen, das deutsch-polnische Verhältnis gilt seit der Machtübernahme der nationalkonservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit) Ende 2015 mindestens als schwierig.

Der Bau der Pipeline Nord Stream 2 etwa wird von polnischen Offiziellen immer wieder als Problem thematisiert. Das Projekt gefährde die Energiesicherheit der Europäischen Union, speziell ihrer ostmitteleuropäischen Mitglieder; die deutsche Seite wiederum sieht in der Justizreform, die von Warschau vorangetrieben wird, einen Abbau des Rechtsstaates.

Ob das auch von Maas angesprochen wird, ist fraglich. Bisher hat alle Kritik aus Berlin oder Brüssel nichts genützt. Für die PiS hat die Durchführung der Justizreform, ihre „Unterwerfung", wie die polnische Opposition sagen würde, höchste Priorität.

Sie ist mittlerweile weit gediehen. Parteichef Jaroslaw Kaczynski, Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro und auch Staatspräsident Andrzej Duda - alle drei sind Juristen - zeigen sich in der Angelegenheit unbeirrt und selbstbewusst.

Die Strategie: einen Schritt zurück, zwei nach vorn. Im vergangenen Jahr zum Beispiel unterzeichnete Duda zwei der ihm vorgelegten Gesetze zur Reform nicht, wenig später preschte die PiS dann wieder voran. So war die polnische Regierungspartei aus ihrer Sicht bisher ausgesprochen erfolgreich. Im Juli erst traf es das Oberste Gericht, etliche Richter wurden in den Zwangsruhestand geschickt.

Diese letzten Entwicklungen stellen institutionell einen enormen Machtzuwachs für die PiS dar und einen so deutlichen Eingriff in die Gewaltenteilung, dass Maas es ansprechen müsste. Ein Vorankommen in der Sache, also Zugeständnisse der polnischen Regierung, ist jedoch nicht zu erwarten.

Im März erst war Maas zu seinem Antrittsbesuch in Warschau, wo er neben Czaputowicz auch Duda und Premierminister Mateusz Morawiecki traf. Für den Minister war es die zweite europäische Hauptstadt, die er ansteuerte - nach Paris.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war bereits zweimal zu Besuch in Polen, im Mai 2017 und zuletzt im Juni dieses Jahres in Warschau, wo er zusammen mit seiner Frau Elke Büdenbender von Präsident Duda und dessen Frau Agata Kornhauser-Duda empfangen wurde. Zum Ehepaar Duda pflegt Steinmeier trotz der aktuellen deutsch-polnischen Differenzen ein gutes Verhältnis.

All das, wie auch der neuerliche Besuch von Maas, steht dafür, welche Wichtigkeit die deutsche Seite Polen beimisst - was in Warschau aufmerksam wahrgenommen wird. Polen ist mit einer großen Diaspora und beinahe 40 Millionen Einwohnern eines der bevölkerungsreichsten Länder der EU, seine Wirtschaft entwickelt sich dynamisch, mit 4,9 Prozent liegt ihr Wachstum deutlich über dem EU-Durchschnitt.

Eine Urangst der Polen in Bezug auf Deutschland

Zudem hat das ostmitteleuropäische Land einen Gestaltungsanspruch in der Region, zusammen mit den anderen Staaten der Visegrad-Gruppe - Ungarn, Tschechien und der Slowakei - wie auch gegenüber den baltischen Staaten und der Ukraine. Hier kann Polen ein Partner sein - auch mit Blick auf die Beziehungen zu Russland.

Dass Deutschland sich über die Interessen der Ostmitteleuropäer hinwegsetzen könnte und direkt Übereinkünfte mit Moskau trifft, ist eine Urangst der Polen. Maas wirkt dem mit seiner deutlichen Kritik an der russischen Politik entgegen.

Im Interview mit WELT AM SONNTAG lehnte der Bundesaußenminister nochmals eine De-facto-Anerkennung der russischen Besetzung der Krim ab; eine Verhandlung über das Ende der Sanktionen gegenüber Russland knüpfte er an eine Umsetzung des Minsker Abkommens. Mit diesen Tönen macht er sich in Polen glaubwürdig, auch wenn vonseiten der PiS eine Skepsis gerade gegenüber deutschen Sozialdemokraten bleibt.

Denn die SPD gilt in Polen allgemein als zu verständnisvoll gegenüber Russland; nicht zuletzt Gerhard Schröders Engagement für den russischen Energiekonzern Rosneft und das Pipelineprojekt Nord Stream 2 sowie sein Aufsichtsratsvorsitz in der Nord Stream AG haben diesen Eindruck zementiert.

Was Nord Stream 2 anbelangt, zeigt sich Deutschland ähnlich starrsinnig wie die PiS in Sachen Justizreform. Das Projekt wird trotz der Bedenken und Kritik nicht nur der Polen, sondern auch der Balten weiter durchgedrückt. Wie ein Kompromiss zustande kommen kann, weiß niemand.

Polen ist also wichtig, aber kann das Land auch ein starker Partner sein? Was Flüchtlinge aus dem Nahen Osten oder Nordafrika angeht, bleibt Warschau hart: Eine Verteilung im Rahmen eines europäischen Schlüssels wird kategorisch abgelehnt.

Auch eine verstärkte Integration der EU, wie von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron favorisiert, ist mit der PiS-Regierung kaum zu realisieren. Stattdessen pocht man in Warschau auf nationalstaatliche Souveränität.

Eine Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks, jenes deutsch-französisch-polnischen Forums, das zuletzt in Vergessenheit zu geraten schien, ist vor diesem Hintergrund kaum denkbar. Dabei wäre es in Zeiten, in denen der Brexit beschlossene Sache ist und die südeuropäischen Regierungen als verlässliche Partner ausfallen, umso wichtiger. Überdies stellt sich die Frage, wie Polen, das einen bisweilen autoritären Regierungsstil pflegt, in der EU ein verlässlicher demokratischer Partner sein kann.

Wäre all das nicht bereits genug an Konfliktstoff, könnte der polnische Außenminister Czaputowicz noch einen weiteren hinzufügen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er Maas auch noch mit den in der Vergangenheit immer wieder in Polen diskutierten Reparationsforderungen für von Deutschen während des Zweiten Weltkriegs begangene Verbrechen konfrontiert.

In der Vergangenheit hatte Czaputowicz bereits angekündigt, das Thema gegenüber seinem deutschen Kollegen anzusprechen. Für die Bundesregierung ist das Kapitel jedoch juristisch abgeschlossen. Die Konfliktfelder sind benannt, die Notwendigkeit für Dialog und Zusammenarbeit ist da. Es dürften schwierige Gespräche werden.

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