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Flieger, grüß mir Rio! - SPIEGEL ONLINE

19. Mai 2014

Backpacker-Route in Brasilien: Drachenfliegen, Caipirinha-Partys oder eine Zugfahrt durch den Dschungel: Brasilien ist ein Abenteuer für Backpacker. Das WM-Gastgeberland lässt sich eigentlich auch ohne großes Budget entdecken - allerdings nicht gerade zur WM-Zeit.

Von Peter Neitzsch

Ungeduldig starren die Männer in den Nebel: Die Wolkenwand ist schlecht fürs Geschäft. Es ist 13 Uhr, und in nur einer Stunde wird der Luftraum wieder für die Hubschrauber freigegeben. Dann müssten die Drachenflieger am Boden bleiben, die Drachen wieder abgebaut werden, und die Touristen, die fürs Hanggliding bezahlen, bekämen ihr Geld zurück. Doch alle haben Glück.

Die Wolkendecke zieht sich zurück und gibt den Blick auf den Regenwald frei, der von diesem Felsen hoch über Rio de Janeiro wie ein gigantisches Brokkolifeld aussieht. "Da der Strand", ruft einer, und dann geht es schon los. Die kurze Einweisung: "Einfach laufen, nichts anfassen!" Im Sekundentakt rennen die Tandemspringer über die Rampe: ein Schritt ins Leere, und schon kreist das Fluggerät über einem unvergleichlichen Panorama.

Unter den Steuermännern der Drachen ist auch Juan Rodriguez. Er ist schon an Dutzenden Orten weltweit gesprungen, Rio aber sei einzigartig, sagt er: "Nirgendwo sonst gibt es so unterschiedliche Landschaften auf so engem Raum." Vom Tijuca-Nationalpark - dem größten innerstädtischen Regenwaldgebiet der Erde - über die Skyline der Hochhäuser bis hinaus aufs offene Meer sind es nur ein paar hundert Meter. Nach einigen Runden in der Luft landet Rodriguez den Drachen routiniert am Strand.

Händeschütteln, Schulterklopfen, Bilder und Videos auf CD brennen - rund 90 Euro hat der Spaß gekostet. Der Abholservice vom Hostel ist bereits im Preis inbegriffen. Ob Drachenfliegen, Wandern, Kanufahren, Surfen oder Tauchen - für Rucksackreisende mit Abenteuersinn ist Brasilien ideal. Und in Rio de Janeiro lässt sich fast all das an nur einem Ort erleben.

Eine Tour von Rio in den Süden

Party- und Backpacker-Hauptquartier ist hier das Viertel Ipanema: "In den letzten Jahren sind neue Hostels wie Pilze aus dem Boden geschossen", sagt Arthur Meier, Manager des 2004 gegründeten Adventure Hostels. Der Brasilianer mit den deutschen Wurzeln freut sich zwar auf die WM-Partyzeit, sagt aber: "Viele Hostels verlangen dann das Doppelte vom normalen Preis." In Rio kostet ein Schlafplatz im Mehrbettzimmer gewöhnlich um die 50 Reais, zur WM sind es eher 100 - rund 33 Euro also.

Auch sonst dürfte ein Last-Minute-Trip nach Brasilien nicht ganz billig werden: "Flüge zur Weltmeisterschaft sind leider sehr teuer", sagt Alexander Günter von der Flugvermittlung Shangri La. Mit sehr viel Glück sei noch ein Schnäppchen für 1200 Euro drin, die meisten Angebote seien aber deutlich teurer. "Außerhalb der WM sind Flüge nach Brasilien schon für 700 Euro zu haben." Den Trip vielleicht doch lieber auf 2015 verlegen?

Um das Land mit dem Rucksack zu entdecken, reicht es völlig aus, das erste Hostel von Deutschland aus zu kontaktieren - viel mehr muss man nicht planen. Die Bars der Hostels sind ohnehin die besten Informationsbörsen: Ein Ort, den jeder Backpacker empfiehlt, der schon mal dort war, ist die Ilha Grande. Eineinhalb Stunden dauert die Fahrt mit dem Shuttle-Bus von Rio gen Süden, danach geht es mit dem Boot weiter auf die Insel.

Maria Cristína de Oliveira ist vor 15 Jahren auf die Ilha Grande gekommen. Bereut hat sie das nie: "Hier gibt es so viel schöne Natur und Gäste aus aller Welt." Wie die meisten der rund 6000 Einwohner lebt die Köchin in Vila do Abraão, dem einzigen Ort auf der ehemaligen Gefängnisinsel. Wer die einsamen Buchten und Strände entdecken will, muss zu Fuß gehen oder ein Boot nehmen: "Das einzige Auto gehört der Feuerwehr", sagt de Oliveira stolz. Nach der Hektik der Großstadt eine willkommene Abwechslung.

Per Zug über 67 Brücken und Tunnel

Nächster Stopp auf der Route nach Süden ist Paraty - ein kleines Kolonialstädtchen mit historischem Zentrum und Unterkünften und Restaurants ringsum. Alles richtig gemacht hat, wer im Backpacker's House eincheckt: Dort wird nicht nur das beste Frühstück der Stadt serviert, sondern auch am Abend landestypisch gekocht. Dazu gibt es gratis Caipirinha und Gitarrenmusik auf der Terrasse. Wenn dann noch eine Gruppe feierwütiger Argentinier für eine Poolparty sorgt, ist der Abend gelungen.

In Brasilien decken Busgesellschaften wie Itapemirim, Viação und Pluma alle wichtigen Strecken zu einem günstigen Kurs ab. Nimmt man den Nachtbus, spart man zudem das Geld für die Übernachtung. Mitunter empfiehlt es sich aber - wegen der schieren Größe des Landes - zu fliegen. Allein die Busfahrt von Paraty nach São Paulo dauert sechs bis sieben Stunden. Die Millionenmetropole ist nicht nur das Wirtschaftszentrum, sondern auch das kreative Herz Brasiliens - voller Clubs, Theater, Galerien und Independent-Kinos.

Ein weiteres Highlight im Süden ist die Fahrt mit dem Sierra Verde Express, der täglich um 8.15 Uhr den Hauptbahnhof von Curitiba verlässt. Die Fahrt beginnt mit trister Vorortoptik, doch die Landschaft wird rasch bergiger und die Vegetation dichter: Bäume und Palmen sind mit Moos und Flechten, Lianen und Orchideen bewachsen. 67 Brücken und 13 Tunnel später erreicht der Zug Morretes. Die Aussicht während der dreistündigen Fahrt ist gigantisch, das Ticket für die dritte Klasse kostet 40 Reais (13 Euro).

Rückfahrt über die Iguaçu-Wasserfälle

Weiter südlich in Joinville erinnert nicht nur die Fachwerkarchitektur an die deutschen Wurzeln der Region - vor allem im 19. Jahrhundert siedelten sich hier in großer Zahl deutsche Auswanderer an. Heute wird in der "deutschen Markthalle" Fassbier der Marke "Schornstein" ausgeschenkt. Eine andere Biersorte heißt "Eisenbahn". Doch die deutsche Sprache hat nicht nur in folkloristischen Markennamen überlebt: In Orten wie Blumenau und Pomerode wird zum Teil noch heute Deutsch gesprochen.

Die Ilha de Santa Catarina ist die südlichste Station der Reise. Von der Veranda des Backpacker Sunset kann man den Fischen in der Lagune beim Springen zusehen und den Menschen beim Stand-up-Paddeling. Auf der anderen Seite, an der Praia Mole, brandet der Atlantische Ozean gegen die Küste, und die meterhohen Wellen ziehen Surfer aus aller Welt an.

Der perfekte Ort, um Kräfte zu tanken für den Rückweg - der auf jeden Fall über die Iguaçu-Wasserfälle führen sollte. Die gewaltigsten Fälle der Welt am Dreiländereck zwischen Brasilien, Argentinien und Paraguay sind der krönende Abschluss einer Backpacker-Tour durch Brasiliens Süden.




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