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So profitieren wir vom Euro-Drama, stern.de

11. November 2011

Die andere Seite der Krise: So profitiert Deutschland vom Euro-Drama

Es ist nicht alles Krise im Drama um den Euro. Während anderswo Regierungen stürzen, profitiert Deutschland von der Schuldenkrise seiner Nachbarländer. Und macht dabei einen guten Schnitt.

Von Peter Neitzsch

Die Griechen machen Schulden. Der deutsche Steuerzahler muss dafür zahlen. Das ist, kurz gesagt, die Wahrnehmung, die viele von der aktuellen Schuldenkrise haben. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die Wahrheit ist auch: Deutschland profitiert wie kein zweites Land weltweit von der Krise in der Eurozone - wenn alles gut geht.

Das hat drei Gründe:

1. Deutschland kann sich Geld zum Nulltarif leihen

2. Das den Griechen, Iren und Portugiesen geliehene Geld bringt gute Zinsen und ist vom griechischen Schuldenschnitt nicht betroffen

3. Weil Deutschland Mitglied in der Eurozone ist, bleiben deutsche Exporte billig

Geld leihen fast ohne Zinsen

Während andere Länder unter der Schuldenlast ächzen, bekommt Deutschland derzeit Kredite zum Schnäppchenpreis. Schuldpapiere mit einer kurzen Laufzeit von sechs Monaten wurden diese Woche von den Anlegern bereits zu einem Zinssatz von 0,08 Prozent gekauft. Deutschland kann sich derzeit fast umsonst verschulden.

Das dürfte insbesondere Finanzminister Wolfgang Schäuble freuen, denn der Bundeshaushalt wird dadurch deutlich entlastet: Von rund einer Billionen Euro Schulden des Bundes wurden 2011 etwa ein Viertel, nämlich 275 Milliarden Euro umgeschuldet - zu deutlich günstigeren Bedingungen. "Derzeit können wir Kredite für den Bund zu sehr günstigen Konditionen aufnehmen", sagt ein Sprecher der Finanzagentur des Bundes stern.de. Die Finanzagentur managt die Schulden des Bundes und nimmt dafür neue Kredite auf.

Die Bundesrepublik erhält derzeit das Geld, das Griechenland nicht bekommt. "Im internationalen Vergleich hat Deutschland zwar einen hohen Schuldenstand, aber auch eine gute wirtschaftliche Performance", sagt Volkswirt Andreas Haufler, Professor für Wirtschaftspolitik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Es wird erwartet, dass Deutschland seine Schulden auf jeden Fall begleichen kann." Um deutsche Staatsanleihen zu bekommen, sind die Anleger deshalb bereit, enorme Zinsabschläge in Kauf zu nehmen.

1,6 Milliarden Euro mehr im Bundeshaushalt

"Die Marktpreise für Schuldpapiere des Bundes haben 2011 zum Teil historische Tiefstände erreicht", sagt der Finanzagentur-Sprecher. Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit wurden am Donnerstag dieser Woche mit einem Zinssatz von 1,77 Prozent gehandelt, der weit unter der Inflationsrate liegt. Deutschland bot den Anlegern bei der letzten Ausgabe der Papiere im Oktober einen Zinssatz von 2,25 Prozent. Zum Vergleich: Anfang 2010 musste der Bund für zehnjährige Anleihen noch fast vier Prozent Zinsen garantieren. Bei einem Kredit von fünf Milliarden Euro macht das eine Zinsersparnis von 75 Millionen pro Jahr.

"2011 müssen wir trotz einer höheren Gesamtverschuldung voraussichtlich weniger Zinsen zahlen als im vergangenen Jahr", sagt der Finanzagentur-Sprecher. In der Summe müssen aus dem Bundeshaushalt so 1,6 Milliarden Euro weniger für den Schuldendienst aufgebracht werden als 2010. Geld, das nun für andere Dinge zur Verfügung steht.

Rettungskredite mit ordentlicher Rendite

Griechenland zahlt derzeit mehr als das Doppelte für seine Schuldverschreibungen. Das gilt auch für die Hilfskredite, die dem Land von den anderen Staaten der Euro-Gruppe gewährt wurden. 65 Milliarden Euro wurden auf diesem Weg bereits an Griechenland überwiesen. Die Zinsen fließen direkt in die Haushalte der Geberländer.

Und als größter Gläubiger im Rahmen des Rettungspakets verdient Deutschland kräftig mit an den griechischen Schulden: Bis heute steht Athen bei den Deutschen mit 13,45 Milliarden Euro in der Kreide und zahlt pünktlich seine Zinsen. "283,4 Millionen Euro Zinszahlungen hat die Bundesrepublik bereits von Griechenland erhalten", sagt ein Sprecher des Finanzministeriums auf Anfrage von stern.de.


Deutschland diktiert die Bedingungen für den Kredit

Auch zum Euro-Rettungsschirm, der über Irland und Portugal aufgespannt wurde, steuert die Bundesregierung mit 29 Prozent der Kreditsumme den größten Anteil bei - und kassiert prozentual am meisten Zinsen. Allerdings fließen die Zinsen der Iren (Kredit: 26 Milliarden Euro) und der Portugiesen (Kredit: 17,7 Milliarden Euro) nicht direkt an die Geberländer, sondern werden mit den Kosten des Rettungsschirms verrechnet.

Dafür trägt Deutschland auch all die Risiken, die ein Kreditgeschäft mit sich bringt. Könnte man argumentieren. Beispielsweise, wenn der Schuldner ausfällt. Wirklich alle Risiken? Nicht ganz. Denn Deutschland diktiert auch die Bedingungen, zu denen das Geld zurückgezahlt wird. Anders als private Anleger haben die Eurostaaten respektive die Bundesrepublik einen mächtigen politischen Hebel: den Ausschluss aus der Eurozone oder - in letzter Konsequenz - gar aus der Europäischen Union.

Dass Portugal und Irland ihre Schulden begleichen, gilt ohnehin als wahrscheinlich. Aber die Griechen? Volkswirt Haufler ist zwar skeptisch aber er sagt: "Es ist auch möglich, dass die Forderungen aus dem Rettungspaket alle bedient werden." Auch wenn das derzeit natürlich noch Spekulation sei.

Konkurrenzfähig dank Einheitswährung

Nicht nur der deutsche Staat, auch die Unternehmen hierzulande profitieren von der Krise in den Nachbarländern. "Angesichts der weltweiten Unsicherheit - auch mit Blick auf die USA und Japan - ist Deutschland in der Krise ein sicherer Hafen für ausländische Anleger", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Haufler. Von den Investitionen würden deutsche Firmen profitieren - "selbst wenn der Dax gerade in Mitleidenschaft gezogen wird."

Auch die Gemeinschaftswährung macht sich in der Krise bezahlt: Anders als die Schweiz zahlt Deutschland mit Euro - ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Weil die Anleger in den Schweizer Franken flüchteten, haben sie dafür gesorgt, dass sich die Schweizer Währung und Produkte aus der Schweiz enorm verteuern. Mit hohem Aufwand versucht die Schweizer Notenbank seitdem, den Kurs des Franken zum Euro stabil zu halten. Den Deutschen bleibt das erspart.

"Die deutschen Exporteure profitieren vom Euro - auch in der Krise", sagt Haufler. Dadurch könnten sie Waren anbieten, die sich in den vergangenen Jahren weniger stark verteuert hätten als in den Nachbarländern. "Hätte Deutschland noch die D-Mark, würde die Währung aufgewertet werden." So läuft der Exportmotor weiter und der Treibstoff dafür ist der Euro.

Fazit: Wenn es nicht zum großen Crash kommt und nicht noch weitere Länder in den Schuldenstrudel gerissen werden, können wir die Krise auf der Habenseite verbuchen.




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