Es ist noch nicht lange her, da wurden Twitter und Facebook zu Heilsbringern für oppositionelle Kräfte in autoritären Staaten verklärt. Beim Arabischen Frühling nutzten nach dieser Lesart viele Aktivisten die sozialen Netzwerke, um sich untereinander auszutauschen und zu koordinieren. Informationen und Bilder konnten so zeitnah verbreitet werden und dadurch die Massen mobilisieren.
Die Möglichkeit, schnell Einfluss auf viele Menschen nehmen zu können, blieb aber auch den Regimen nicht lange verborgen. Heute zeichnet sich daher ein ganz anderes Bild: China, Russland oder Saudi-Arabien haben die Zeichen der Zeit erkannt und ihre Propaganda längst auch ins Internet und vor allem in die sozialen Medien verlagert. Hunderte Mitarbeiter verbreiten im Auftrag des Staates gezielt Falschinformationen im Internet oder versuchen kritische Stimmen mundtot zu machen - Propaganda 4.0 sozusagen.
Maulwurf bei TwitterAuch im aktuellen Fall des ermordeten saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi spielen diese Troll-Armeen eine Rolle. Wie die „New York Times" aufdeckte, wurde Khashoggi im Vorfeld auf Twitter massiv diskreditiert und unter Druck gesetzt. Das Regime schleuste laut den Recherchen gar einen eigenen Maulwurf bei Twitter ein, um unliebsame Kritiker ausfindig zu machen.
Die systematische Unterdrückung und Verfolgung von Kritikern ist nicht neu, hat mit dem Internet aber eine völlig neue Qualität bekommen. Autoritäre Staaten missbrauchen soziale Netzwerke, um massenhaft ihre eigene Version der Realität zu verbreiten, Menschen zu beeinflussen oder Chaos zu stiften. Das Perfide: Die Trolle werden vor wichtigen politischen Entscheidungen besonders aktiv. Russland soll etwa den US-Wahlkampf zugunsten Donald Trumps manipuliert haben, in Brasilien haben kürzlich Rechtspopulisten offenbar Tausende Whats- app-Gruppen mit Falschnachrichten geflutet.
Wahlen werden damit sicherlich noch nicht entschieden. Doch jede einzelne Stimme, die aufgrund falscher Informationen abgegeben wurde, schädigt die Demokratie nachhaltig. Und je professioneller die Troll-Armeen werden, desto größer wird auch ihr Einfluss. Erst vor einigen Monaten hat die „Internet Research Agency" - so nennt sich die russische Troll-Fabrik - größere Räumlichkeiten bezogen. In dem neuen Büro arbeiten laut der russischen Wirtschaftszeitung „Delowoi Petersburg" mehr als 800 Mitarbeiter.
Soziale Netzwerke sind hilflosGerade Facebook wirkt angesichts dieser Professionalisierung ohnmächtig und nicht gewillt, drastische Schritte zu unternehmen. Das Unternehmen bietet den Nutzern zwar die Möglichkeit, verdächtige Inhalte zu melden, doch oft dauert es Tage, bis diese dann gelöscht werden - wenn das überhaupt geschieht. Das ist zum einen historisch begründet: Seit den Anfängen wurde das Internet zu einem Ort der absoluten Freiheit verklärt. Die großen sozialen Medien sehen sich in dieser Welt als neutrale Orte, wo fast jede Aussage erst einmal erlaubt ist - sei sie auch noch so menschenverachtend oder schlicht falsch. Zum anderen werden die Netzwerke derart überflutet, dass die Moderatoren mit der Sichtung nicht mehr hinterherkommen.
Doch es gibt Anlass zur Hoffnung. Pünktlich zu den Zwischenwahlen in den USA am 6. November hat Twitter einen Datensatz mit zehn Millionen Twitter-Nachrichten veröffentlicht. Ein Großteil davon hat eine Verbindung zu der russischen „Internet Research Agency". Datenforschern und Journalisten soll es damit ermöglicht werden, die Mechanismen und Strategien der Trolle zu analysieren. Ein solcher Schritt war bis vor Kurzem noch undenkbar, zeigt aber zumindest den Willen von Twitter zu mehr Transparenz und Offenheit. Facebook ist davon noch meilenweit entfernt.
Desinformationen die Macht nehmenIn den Daten gibt es zwar mehrheitlich Tweets in russischer und englischer Sprache, aber auch fast 100 000 auf Deutsch. Die Ziele der Trolle sind klar: Diskussionen vergiften, Ängste schüren und damit schließlich die gesellschaftliche Spaltung vorantreiben. Die Reichweite der Trolle in Deutschland ist zwar noch begrenzt. Doch was zu Beginn als eine neue Errungenschaft für die freie Meinungsäußerung gefeiert wurde, stellt sich nun immer mehr als ein Problem für den sachlichen gesellschaftlichen Diskurs dar.
Was mit Blick auf den Datensatz aber auch klar wird: Mit recht einfachen Mitteln kann man Desinformationen ihre Macht nehmen. Quellen prüfen, Dinge hinterfragen und nicht einfach so hinnehmen - nie waren diese Fähigkeiten so wichtig wie heute.