„Cinderella gesucht!", vermeldete die Polizei München jüngst während des Oktoberfestes auf Twitter. Dazu gab es das Foto eines lächelnden Polizisten, der einen Schuh in der Hand hielt - offenbar wurde dessen Besitzerin gesucht. „Jetzt ist es so weit. Eben wird auf der Wiesnwache die erste offizielle Anzeige wegen Verlusts der Muttersprache aufgenommen", heißt es in einem weiteren Tweet der Münchner. Eher belanglose und humorvolle Beiträge dieser Art werden auf Facebook und Twitter immer häufiger auch von Polizeibehörden gepostet. Die Sprache: zumeist jung und direkt, bunte Smileys, Wörter in Großbuchstaben oder absichtliche Rechtschreibfehler.
Beim Publikum kommt das offenbar an: Allein der Twitter-Account des Polizeipräsidiums München hat mehr als 455 000 Follower, der Account der Polizei Berlin mehr als 413 000. Bundesweit betreiben Polizeibehörden nach einer Erhebung des Medienmagazins „Zapp" 159 Twitter-Accounts, 138 Accounts bei Facebook, 25 bei Instagram und acht bei Youtube.
Bremer Polizei mit 33 000 Followern auf FacebookSeit 2015 hat auch die Bremer Polizei einen eigenen Facebook-Kanal mit knapp 33 000 Followern. Derzeit wird der Auftritt von vier Mitarbeitern der Pressestelle gepflegt, künftig ist aber eine eigenständige Betreuung geplant. „Ein neues Team, bestehend aus Polizeibeamten und Angestellten, wird sich zukünftig um die Online-Kommunikation und Social-Media-Auftritte kümmern", sagt Polizeisprecher Nils Matthiesen.
Twitter soll ab Anfang 2019 betreut werden. Die Bremer Beamten nutzen die Plattform derzeit eher für Fahndungsaufrufe, Informationen zu Großereignissen oder um erfolgreiche Aktionen wie jüngst die Razzia gegen die organisierte Kriminalität zu vermelden. Matthiesen berichtet von einer positiven Resonanz der Nutzer, die bereits zu Fahndungserfolgen beitragen konnten. Das soziale Netzwerk berge aber auch Probleme, wie etwa die konkrete Namensnennung bei Fahndungen in den Kommentaren, sagt Matthiesen.
Das Land Niedersachsen geht beim Thema Social Media noch einen Schritt weiter: In dem Pilotprojekt „Digitales Community Policing" berichten bereits zwölf Beamte auf ihren persönlichen Accounts über „ihre Community vor Ort - in Ergänzung zu ihrer reellen Aufgabenwahrnehmung", wie es bei der Polizei Niedersachsen heißt. Durch die Präsenz soll der Bürgerdialog gestärkt werden - auch durch eine andere Ansprache: „Einen behördlichen Sprachgebrauch werden die Fans und Follower auf Facebook und Twitter bei der Polizei Niedersachsen daher - lageangepasst - nur im Einzelfall vorfinden." Ein Projekt, das zukünftig auch in Bremen denkbar wäre: „Das ist auf jeden Fall ein interessanter Ansatz, den wir mit Interesse beobachten", sagt Nils Matthiesen.
Die Charmeoffensive der Polizei stößt aber auch vermehrt auf Kritik. „Durch die Präsenz in sozialen Netzwerken versucht die Polizei, sich ein jugendlicheres Gesicht zu geben und Sympathieeffekte zu erzielen. Die dort verwendete Sprache suggeriert jedoch manchmal eine soziale Nähe, die sonst nicht da ist", sagt Rafael Behr. Der 60-Jährige ist Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg. Seine Schwerpunkte sind Kriminologie und Soziologie, zudem leitet er die Forschungsstelle Kultur und Sicherheit.
Viel Kritik zu umstrittenen Polizei-TweetsBesonders die umstrittenen Polizei-Tweets etwa zu den Einsätzen beim G 20-Gipfel oder der Kölner Silvesternacht 2015/16 brachten den Behörden viel Kritik ein. „Die Polizei kommentiert den Beginn eines Ereignisses oft sehr schnell und emotional, es dauert dann aber recht lange, bis die Aussagen bestätigt oder revidiert werden." Der Experte rät dabei zu schnellerer Genauigkeit und fortlaufenden Updates. Laut dem Polizeiwissenschaftler haben einige Polizeistellen aus den früheren Fehlern gelernt und deshalb das Vier-Augen-Prinzip eingeführt.
„Insgesamt ist bei der Polizei aber ein Trend zum Rigorismus und zu einem rustikalen Auftreten erkennbar. Es besteht die Gefahr, dass Polizeistellen nur noch solche Meldungen bei sozialen Medien veröffentlichen, die sie in einem erfolgreichen oder freundlichen Licht erscheinen lassen", sagt Behr. Eigenwerbung sei nicht verboten, selektive Berichterstattung sei aber ein Problem. "Die Polizei muss objektiv berichten und sie muss kritisierbar bleiben", findet Behr.
Auch die Polizei Bremen will auf den sozialen Plattformen möglichst „bürgernah" und „bei entsprechendem Anlass auch humorvoller" kommunizieren. „Trotzdem steht über allem das Neutralitätsgebot", sagt Matthiesen. Deshalb wurden intern Regeln für die Arbeit in sozialen Netzwerken aufgestellt.
Dass auch die Polizei mit dem jungen und hippen Sprachstil irgendwann an die Grenzen stößt, konnte beim Oktoberfest beobachtet werden: Nicht einmal eine Stunde nach der Cinderella-Meldung wurde ein Wiesn-Besucher bei einer Schlägerei derart verletzt, dass er später starb. „Aus Pietätsgründen beenden wir unseren Twitter-Marathon Wiesnwache an dieser Stelle", schrieben die Beamten daraufhin. Es folgten wieder rein sachliche Meldungen.
Mal lustig und emotional, mal sachlich und autoritär - diese Gratwanderung ist laut Polizeiwissenschaftler Rafael Behr nicht einfach. „Es kann passieren, dass sich die Polizei vom Neutralitätsgebot entfernt. Um bei Social Media erfolgreich zu sein, gehen einige dieses Risiko ein", sagt der Experte. Er rechnet daher damit, dass durch Richtlinien oder Gesetze die Arbeit der Polizei in sozialen Netzwerken reguliert werden wird.
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