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Erwachsen geworden

„Killerspiele sollten in der Größenordnung von Kinderpornografie eingeordnet werden, damit es spürbare Strafen gibt", sagte einmal der längst vergessene CSU-Politiker Günther Beckstein nach einem Amoklauf. Das ist nun zwölf Jahre her und scheint aus einer anderen Welt zu stammen. Computer- und Videospiele haben den Wandel vom oft geächteten Nischenprodukt zum - Zitat Angela Merkel - „Kulturgut" vollzogen. Sie sind heute nicht mehr nur ein Thema für ein paar spezialisierte Computerfreaks - sondern sie sind Alltag für viele Menschen, schaffen Arbeitsplätze und sind mit 3,3 Milliarden Euro Umsatz zu einem ernst zu nehmenden Wirtschaftsfaktor geworden.

Ein Blick nach Köln dieser Tage genügt, um sich den Stellenwert der Branche vor Augen zu führen. Hunderttausende begeisterte Videospielfans treffen bei der Gamescom auf Entwickler, Journalisten und Politiker. Profi-Gamer wie „Mo Aubameyang" von Werder Bremen kämpfen während der Messe um Prestige und Preisgelder. Die Gamescom ist das weltweit größte Event für Computer- und Videospiele und feiert in diesem Jahr unter dem Motto „Vielfalt gewinnt" den zehnten Geburtstag. Die Stadt Köln begeht das Jubiläum mit einer aufwendigen Illumination am Rheinufer: Rund 7000 Leuchtstoffröhren sollen allabendlich markante Kölner Bauwerke in Szene setzen, darunter auch mehrere Rheinbrücken. Hinzu kommt ein Festival mit bekannten Musikern wie etwa Fünf Sterne Deluxe und Kettcar.


Auf der Gamescom wird es zudem eine besondere Premiere geben. In der Demo zu dem Strategiespiel „Through the Darkest of Times" eines Berliner Entwicklers dürfen erstmals Hakenkreuze in einem Spiel gezeigt werden. Der Spieler übernimmt dabei eine Widerstandsgruppe im Dritten Reich, muss Ressourcen für Missionen sammeln und die Moral unter den Mitgliedern hochhalten, ohne von der Gestapo geschnappt zu werden. „Die Kennzeichen werden eindeutig im historischen Kontext verortet, und eine Verharmlosung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus ist in keiner Weise zu erkennen", heißt es in der Begründung der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), verantwortlich für die Altersfreigabe bei Videospielen.

Die Darstellung der Propaganda-Symbole ist möglich, da die oberste Landesjugendbehörde ihre Rechtsauffassung kürzlich geändert hat. Wichtig ist hierbei der rechtliche Begriff der Sozialadäquanz. Zukünftig können Symbole verfassungswidriger Organisationen in Einzelfällen in einem Spiel verwendet werden, sofern dies „der Kunst oder der Wissenschaft, der Darstellung von Vorgängen des Zeitgeschehens oder der Geschichte" dient. „Hier zeigt sich, dass Games nicht nur Kunst und Kulturgut sein, sondern sich auch pädagogisch wertvoll mit Zeitgeschichte auseinandersetzen können", sagt die Geschäftsführerin der USK, Elisabeth Secker.


Bis zu dieser Akzeptanz und Professionalisierung war es ein weiter Weg. Ob Debatten um sogenannte Killerspiele oder eine vermeintliche geistige Verarmung - die Branche kämpft seit jeher um Anerkennung als eigenständige Kunstform. Mit allen Rechten, aber auch mit allen Pflichten. Gerade die manchmal extreme Gewaltdarstellung war vielen Politikern und Kritikern lange ein Dorn im Auge, weshalb die Hersteller ihre Spiele für den deutschen Markt häufig zensierten. Mal wurde das Blut grün eingefärbt, mal ganze Levels entfernt. Dass Zensur auch zu besonders grotesken - bis hin zu unfreiwillig komischen - Ergebnissen führen kann, konnte im vergangenen Jahr bei dem Ego-Shooter „Wolfenstein II: The New Colossus" beobachtet werden. Im Spiel haben die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen und die Weltherrschaft an sich gerissen. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines Widerstandskämpfers, der das Nazi-Regime stürzen will. In der deutschen Version wurden jedoch fast sämtliche Hinweise auf den Nationalsozialismus gestrichen: Alle verfassungsfeindlichen Symbole wurden ersetzt, der Spieler kämpft gegen ein namenloses „Regime", Verweise auf die Judenverfolgung gibt es nicht mehr. Auch Adolf Hitler taucht in dem Spiel auf, heißt jedoch in der deutschen Version „Herr Heiler", sein Oberlippenbart wurde kurzerhand wegretuschiert.


Ob sich an dieser Praxis etwas ändert, bleibt abzuwarten. Doch mit der neuen Rechtsauffassung sind Games mehr den je im kulturellen und politischen Diskurs angekommen. Dazu gehört auch, dass die Branche sich vermehrt mit gesellschaftskritischen Fragen konfrontiert sieht. Jüngstes Beispiel ist der Vorstoß der Weltgesundheitsorganisation, zukünftig exzessives Spielen als eigene Krankheit anzuerkennen (wir berichteten). Die Ankündigung stieß in der Szene auf massiven Widerstand. Gerade für eine Branche, die in ihrer kurzen Geschichte unter ständigem Rechtfertigungsdruck stand, sind diese Fragen und Probleme unbequem. Sie gehören aber zum Erwachsenwerden dazu.

Auch die mögliche Verwendung von Hakenkreuzen oder SS-Runen in Spielen wird bereits kritisiert. In einem Brief an Bundesjustizministerin Katarina Barley warnt Annelie Buntenbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund davor, die geltenden Verbote für Computerspiele aufzuweichen. Man laufe sonst Gefahr, „ein schleichendes und unkritisches Etablieren von NS-Symbolen auf allen digitalen Plattformen" zu ermöglichen. Eine so weitreichende Änderung könne und dürfe nicht ohne eine Befassung des Bundestags erfolgen.

In Sachen Gleichberechtigung gibt es bereits seit längerer Zeit Kritik. 2016 waren etwa in der Fußballsimulation Fifa erstmals auch Frauenteams steuerbar, was damals einen wahren Kulturkampf mit Boykottrufen zumeist männlicher Spieler nach sich zog. Ein Grund für die immer noch wenigen weiblichen Charaktere könnte sein, dass laut dem Verband der deutschen Games-Branche lediglich 27 Prozent der Beschäftigten bei Spielefirmen Frauen sind - obwohl bereits fast die Hälfte aller Videospieler weiblich ist. „Wir versuchen in unseren Spielen, vermehrt starke weibliche Charaktere abzubilden", sagt Maike Steinweller, Head of Communications bei der deutschen Spielefirma Wooga in Berlin. Laut Steinweller hat sich die Branche in der jüngsten Zeit gewandelt, stereotype Frauenbilder werden weniger. „Es gibt aber noch Nachholbedarf." Besonders unter den Spiele-Entwicklern gebe es wenig Frauen. „Aber je diverser die Entwickler-Teams sind, desto mehr Perspektiven bieten dann auch die fertigen Spiele", so Steinweller.


  Zur Sache

Alterskennzeichnung von Spielen

Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) ist zuständig für die Prüfung von Computerspielen in Deutschland. Ein Prüfgremium für ein Spiel besteht aus vier Jugendschutz-Sachverständigen und einem ständigen Vertreter der obersten Landesjugendbehörden. Als Pädagogen, Journalisten, Sozialwissenschaftler oder Mitarbeiter in Jugendämtern haben sie nach Angaben der USK Erfahrungen in der Kinder- und Jugendarbeit. Nach dem Prüfverfahren bekommen die Spiele eines von fünf Kennzeichen. Neben der Freigabe ohne Altersbeschränkung (ab null Jahren) gibt es Altersgrenzen ab sechs, zwölf, 16 und 18 Jahren (keine Jugendfreigabe). Jedes Spiel darf nur gemäß der Altersfreigabe verkauft werden, sonst drohen Strafen bis zu 50 000 Euro.

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