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Dr. Roboter, zur Visite bitte!

Simon fühlt sich krank. Er gibt die Symptome in eine App auf seinem Smartphone ein und bekommt sofort eine Diagnose mit anschließender Therapieempfehlung. Ergebnis: Er muss operiert werden. Im Krankenhaus führt ein intelligentes System vollautomatisch die Operation durch. Als Simon im Aufwachraum seine Augen öffnet, schenkt ihm bereits ein Pflegeroboter Wasser ein und klärt ihn über die weiteren Maßnahmen auf.

So oder so ähnlich könnte sie aussehen: die Zukunft der Medizin. Wegbereiter dieser Revolution ist die künstliche Intelligenz (KI). Sie erhält immer stärker Einzug in das Gesundheitswesen und gehört in einigen Bereichen bereits zum Alltag.

In Bremen entwickeln Wissenschaftler etwa ein sogenanntes Exoskelett für Schlaganfall-Patienten. Exoskelette sind äußere Stützstrukturen, die sich einsetzen lassen, um teilweise gelähmten Menschen wieder Bewegungen zu ermöglichen. „Ist etwa der Arm eines Patienten nach einem Schlaganfall gelähmt, so kann das System diesen unterstützen", erklärt Frank Kirchner. Der Informatiker leitet das Projekt am Robotics Innovation Center, das am Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Bremen angesiedelt ist.


Zum Aufbau der Exoskelette erarbeiteten die DFKI-Wissenschaftler innovative Methoden im Leichtbau sowie in der Antriebstechnologie und der Regelungstechnik. Ein System zur Auswertung von Bio-Signalen ermöglicht es zudem, die Bewegungsintention des Anwenders zu berechnen. Laut Kirchner könnten die Systeme schon in zwei Jahren auch in der Praxis angewandt werden. "Allerdings müssen gerade im medizinischen Bereich viele Qualifizierungs- und Zertifizierungsprozesse durchlaufen werden."

Das DFKI in Bremen ist auch an dem Projekt "Modest" (Rollator-Modul zur Haltungs-Erkennung und Sturz-Prävention) beteiligt. Gemeinsam mit Ärzten der Fachabteilung Geriatrie des Klinikums Bremen-Nord entwickeln die Experten ein Verfahren, das Menschen an die richtige Körperhaltung erinnern soll, wenn sie mit dem Rollator unterwegs sind. Ein kleines Computersystem am Rollator erkennt dabei eigenständig, ob der Nutzer eine falsche Haltung eingenommen hat. Ist das der Fall, so erfolgt eine Rückmeldung.


Diese intelligenten Roboter-Systeme sind jedoch nur ein Teil der Medizin 4.0. Computer werden nämlich immer besser darin, riesige Datenmengen zu analysieren und darin Muster zu entdecken. Ein Bereich, der damit revolutioniert werden könnte, ist die Früh-Diagnose von Krankheiten: Maschinen können inzwischen in Scans aus dem Computertomografen oder Röntgenbildern Anzeichen einer Krankheit oft besser und schneller entdecken als Menschen.

Felix Nensa ist Oberarzt am Universitätsklinikum Essen im Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie. Als Leiter der Arbeitsgruppe KI hat er es schon jetzt mit künstlichen neuronalen Netzwerken zu tun. In der Klinik wird derzeit etwa bei der Bestimmung des Knochenalters mit KI-Systemen gearbeitet. Zuvor wurden die Röntgenaufnahmen mühsam per Hand mit einem Knochenatlas verglichen, nun unterstütze eine KI. "Die manuelle Auswertung erfolgt teilweise weiterhin, doch die KI nimmt mehr und mehr Arbeit ab", sagt Nensa.


In einer Studie der Universitätsklinik Heidelberg hat etwa ein Computerprogramm Hautkrebs zuverlässiger erkannt als Ärzte. Die Forscher haben das Programm zunächst mit mehr als 100 000 Bildern von verschiedenen Hautveränderungen gefüttert.

Die Maschine gewinnt

Mithilfe der zahlreichen Bilder hat die künstliche Intelligenz gelernt, gutartige Muttermale von bösartigem Hautkrebs zu unterscheiden. In der Studie trat das System dann gegen rund 60 Hautärzte auf der ganzen Welt an. Die Experten erkannten anhand von Fotos durchschnittlich fast 87 Prozent der Krebsfälle; die künstliche Intelligenz kam auf eine Trefferquote von 95 Prozent. Bei einer ähnlichen Studie des Stanford Artificial Intelligence Laboratory im vergangenen Jahr hatten Ärzte und KI noch gleich gut abgeschnitten. Sobald die Dermatologen in der Studie der Universität Heidelberg mehr über die Vorgeschichte der Patienten wussten, schnitten sie besser ab. Die Quote des Computerprogramms erreichten sie allerdings auch dann nicht. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass künstliche Intelligenz in Zukunft die Diagnose von Hautkrebs vor allem bei Risikopatienten verbessern könnte.


Das Projekt "Doctor Hazel" in den USA geht noch einen Schritt weiter: In Zukunft soll der Patient einfach ein Foto des betreffenden Muttermals schießen und dann in eine App hochladen. Laut den Entwicklern soll dann in Sekundenschnelle eine Rückmeldung erfolgen, ob ein weiterer Arztbesuch empfehlenswert ist oder nicht. Möglich macht dies eine KI, die zuvor unzählige Bilder von Muttermalen analysiert hat, ähnlich wie es auch bei der Studie aus Heidelberg der Fall war. Die Erfinder erhoffen sich, dass Ärzte durch ihre App "weniger Zeit für Routine-Diagnosen aufwenden müssen" und so mehr Zeit für ihre Patienten hätten. Diese Schlussfolgerung hält Radiologe Felix Nensa für einen Trugschluss. "Immer weniger Ärzte müssen immer mehr Menschen versorgen", sagt er mit Blick auf den demografischen Wandel. Die KI könne in Zukunft also eher dafür sorgen, dass die Versorgung auf einem guten Niveau bleibe.


Laut einer Studie der Beratungsfirma Roland Berger wird sich der weltweite digitale Gesundheitsmarkt bis 2020 mehr als verdoppeln. Das Volumen wächst demnach auf mehr als 200 Milliarden Dollar (circa 170 Milliarden Euro). Investoren haben das Potenzial längst erkannt und stecken Unsummen in Firmen, die Gesundheits-Apps für Smartphones entwickeln. Die Programme können Blutdruck und Körpertemperatur erfassen oder erste Diagnosen erstellen. Die App Ada eines Berliner Start-ups hat nach eigenen Angaben schon drei Millionen Anwender. Sie stellt dem Nutzer Fragen zu den Symptomen und vergleicht die Antworten mit ähnlichen Fällen. Am Ende stehen dann eine mögliche Diagnose und weitere Handlungsempfehlungen. Doch nicht nur Start-ups arbeiten an der Revolution der Gesundheitsbranche. Auch Pharmaunternehmen, Versicherungen und Technologiekonzerne mischen bei dem Thema mit. So stellen oft Firmen wie Google, IBM oder Microsoft die Infrastruktur für die Computersysteme zur Verfügung.


Gerade Informationen im Gesundheitsbereich sind besonders sensibel, weshalb sie eines besonderen Schutzes bedürfen. Für die größte Ärztevereinigung in Deutschland, den Marburger Bund, hat die Sicherheit von Patientendaten höchste Priorität. Es müsse sichergestellt werden, dass die Informationen umfassend geschützt sind, sagt Sprecher Hans-Jörg Freese. Auch der Berufsverband weiß um das große Potenzial der Digitalisierung im Gesundheitswesen, warnt aber vor zu viel Euphorie. "Künstliche Intelligenz kann Ärzte bei der Diagnosestellung und der Therapieauswahl unterstützen - aber niemals ersetzen", sagt Freese. Der ärztliche Sachverstand und die direkte Interaktion zwischen Arzt und Patient seien weiterhin unabdingbar. Laut Freese müssten nun vielmehr die Voraussetzungen für die digitale Zukunft in den Krankenhäusern geschaffen werden. "Dafür müssen von der Politik genügend Mittel zur Verfügung gestellt werden." Der Marburger Bund fordert daher, in den nächsten sechs Jahren insgesamt zehn Milliarden Euro in die Modernisierung und die IT-Sicherheit von Krankenhäusern zu investieren.

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