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Silikon-Kapitalismus - Google, hupf!

Als ich vor ein paar Jahren anfing, mich mit dem digitalen Kapitalismus und seinen Unternehmen zu beschäftigen, war die Stimmung ganz anders als heute. Occupy Wall Street war gerade geräumt worden, geblieben waren die Hoffnungen, die mit den sozialen Netzwerken verbunden waren. Social Media war ein kollektiver Rausch - und nicht nur Social Media, sondern generell der Glaube an die Technik, das Digitale. Der Kater zu dieser Stimmung kam ein paar Jahre später, und gleich mehrfach - und, wie so oft, leider auch etwas verspätet. Dem Teil der Linken, der sich euphorisch mit neuen Technologien und ihren angeblichen Möglichkeiten beschäftigte, leuchtete erst spät, wenn überhaupt, ein, dass das progressive Potenzial des Digitalen vor allem darin lag, sie zu blenden. Viele andere hatten sich erst gar nicht damit beschäftigt.


Heute lassen sich nur noch die wenigsten von den Glücksversprechen des Silicon Valley blenden. Selbst Apple-Gründer Steve Wozniak glaubt - im Gegensatz übrigens zum linken Feuilleton - nicht mehr an selbstfahrende Autos, und ehemalige Heilsversprecher wie Elon Musk wirken endlich auch auf meine Mitmenschen wie zugedröhnte Hasardeure und nicht mehr wie die Voranschreitenden in eine wunderbare Zukunft. Aber so schön es ist, dass der Lack ab ist, wir müssen uns dringend ausmalen, wie eine gute Zukunft aussieht, eine, in der Fortschritt mit technologischen Entwicklungen gleichgesetzt wird und die Teilhabe an diesem nicht nur einigen wenigen ermöglicht wird. Erste Schritte in diese Richtung wurden 2018 schneller getan, als ich das am Anfang des Jahres für möglich gehalten hätte, was aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass der Weg steinig - um es mal freundlich auszudrücken - werden wird.

Doch selbst ich, die ich eher zum Pessimismus neige, bin milde optimistisch. Das beste Rezept für eine bessere Zukunft - und auch das nachhaltigere Konzept als der Digitalhype der vergangenen Jahre - sind positive Alternativen, mit denen wir ausprobieren können, wie es anders sein könnte, die aber im Hier und Jetzt erprobt, verbessert, verändert werden. Nichts gibt mehr Hoffnung als konkrete, bereits verwirklichte Mini-Utopien. Daran glaube ich fest. Besonders interessant sind in der Hinsicht die Plattform-Genossenschaften - Platform Coops im Englischen genannt -, alternative, digitale Unternehmen, die sich dem jahrhundertealten Modell der Arbeitergenoss*innenschaft verpflichtet fühlen, bei dem die Arbeiter*innen alles zu gleichen Teilen gemeinsam besitzen. Gleichzeitig werden hier Alternativen zu den aggressiven gewinnorientierten Start-ups nicht nur gedacht, sondern probiert.

Eine genauso konkrete Utopie ist gelebte Solidarität. Solidarisch waren viele der streikenden Amazon-Arbeiter*innen, die sich mittlerweile auch europaweit koordinieren. Auch die Google-Mitarbeiter*innen, die sich gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz wehrten, wurden von vielen ihrer Kolleg*innen nicht alleine gelassen: Am 1. November 2018 um 11.10 Uhr zur jeweiligen Ortszeit fand weltweit der sogenannte Google Walkout statt. Mehr als 20.000 Google-Arbeiter*innen nahmen teil. So eine Aktion ist nicht nur wichtig, weil sie zeigt, dass die digitale Ideologie Risse bekommen hat, sondern auch, weil sie praktisch erlebbar macht, wie ein besseres Morgen aussehen könnte, wenn wir nämlich zusammenstehen, das Gefühl alleine zu sein, das Gefühl, dass wir alle Konkurrent*innen auf einem kalten Markt sind, kurz außer Kraft gesetzt sind.

Wichtig ist es auch, ab und zu einen Kampf zu gewinnen, und im vergangenen Jahr gelang das gleich zwei Mal gegen den scheinbar übermächtigen Gegner Google. Bisher war es vor allem Google sehr gut gelungen, sich als Kämpfer für eine bessere Zukunft zu präsentieren und zu verschleiern, dass es eine besonders aggressive, alle Lebensbereiche durchdringende Variation eines herkömmlichen Monopolisten ist. 2018 wurde klar, dass Google schon längere Zeit mit dem US-Verteidigungsministerium zusammenarbeitet, und jüngst lieferte Google die sehr gehypte künstliche Intelligenz für das sogenannte Project Maven des Verteidigungsministeriums. Nach massiven Protesten der Google-Mitarbeiter*innen wird dieser Vertrag nicht mehr verlängert.

Und auch die Berliner*innen können einen Sieg gegen den Giganten vermelden: Nach dessen Ankündigung, im von der Verdrängung bereits ordentlich gebeutelten Stadtteil Kreuzberg seinen weltweit siebten Campus einrichten zu wollen, formierte sich erfolgreicher Protest. Der Campus wird nicht gebaut. Siege sind wichtig für die Moral. Das ist in diesen Tagen in Kreuzberg spürbar, auch wenn es wie eine günstige Binsenweisheit klingt. Aber nur wenn wir merken, dass es sich überhaupt lohnt, für eine Zukunft ohne (oder mit weniger) Google, Facebook und Co. zu kämpfen, nur wenn wir wissen, dass sie nicht übermächtig sind, trauen wir uns den Weg dahin überhaupt zu.

2019 müssen wir aber vor allem größer denken, denn eine Welt ohne Facebook, Amazon, Google, Microsoft und Apple ist nur denkbar, wenn wir die Eigentumsfrage stellen, also die Frage danach, wie wir diese Unternehmen entmachten wollen, aber auch, wie wir sie demokratisieren können. Als Twitter kurz vor der Pleite stand, überlegten ein paar waghalsige Aktivist*innen, das Unternehmen genossenschaftlich zu kaufen und so mal auszuprobieren, wie demokratische Mitbestimmung bei einem international aufgestellten Social-Media-Unternehmen hätte aussehen können. Das hat leider nicht geklappt, da hätten wir aber schon mal ganz praktisch für die Zukunft üben können, wie wir mit mächtigeren Klassenfeinden als Amazon, Google, Facebook verfahren wollen. Wobei ich als Verfahren die Enteignung zukunftsweisender fände als den Kauf.

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