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Wie Experten den Coronavirus einschätzen

Die Zahl der Infektionen mit dem neuen Coronavirus steigt täglich, auch in Europa gibt es nun erste Fälle. Infektiologen beunruhigt das allerdings wenig. Ein Überblick über die Gefährlichkeit und die Behandlung


Einkaufen mit Mundschutz: Menschen auf einem Markt in Fuyan versuchen, sich vor dem Coronavirus zu schützen

Bisher rund 2800 Infizierte, und 80 Tote, abgeriegelte Millionenstädte und täglich neue Verdachtsfälle aus aller Welt: Wer die Berichterstattung zu dem neuen Virus aus China verfolgt, bekommt schnell ein ziemlich mulmiges Gefühl. Professor Andreas Podbielski teilt es nicht. Der Mikrobiologe leitet das Institut für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene an der Universitätsmedizin Rostock und ist überzeugt: "Das Risiko, das von diesem Virus ausgeht, ist vergleichsweise überschaubar." Zwar weise es genetisch Ähnlichkeiten mit dem SARS-Erreger auf, der vor 17 Jahren eine Pandemie ausgelöst hat. Bisher aber deutet Vieles darauf hin, dass die neuartige Virusvariante weniger ansteckend und gefährlich ist.

Mit SARS verwandt

Die Ähnlichkeit ist kein Zufall. Beide Erreger gehören zur großen Familie der Coronaviren, die seit Mitte der 60er Jahre bekannt sind. Die Viren verdanken ihren Namen dem kronenartigen Aussehen, das sie unter dem Elektronenmikroskop aufweisen. Die meisten von ihnen sind nicht auf Menschen, sondern auf Tiere spezialisiert.

In der chinesischen Stadt Wuhan, in der das Virus erstmals aufgetaucht ist und in der es bis heute die meisten Infektionen gibt, wird ein mittlerweile geschlossener Fischmarkt als Ursprung vermutet. Dort wurden nicht nur Fisch und Meeresfrüchte, sondern auch Wildtiere wie Ratten, Schlangen, Krokodile und Zibetkatzen verkauft. Solche Märkte gelten als Brutstätte für Keime aller Art. "Allerdings gelingt es nur wenigen Viren, auf den Menschen überzuspringen", erklärt Podbielski.

Angriff auf die Atemwege

Coronaviren, die es dennoch geschafft haben, lösen bei Menschen meist eher harmlose Erkältungssymptome wie Husten, Schnupfen und leichtes Fieber aus. Allerdings gab es immer wieder Ausreißer, die sich als gefährlich entpuppten: Etwa die Lungenkrankheit SARS, mit der sich 2002/2003 rund 8000 Menschen infizierten und die ihren Ursprung ebenfalls in China hatte. Oder das MERS-Virus, das vor allem auf der arabischen Halbinsel vorkommt und erstmals 2012 auftrat.

Und nun also "2019-nCoV", wie die Behörden das neue Virus aus Wuhan nennen. Was alle drei gemeinsam haben: Die Viren können per Tröpfchen- oder Schmierinfektion von Mensch zu Mensch übertragen werden und greifen die Atemwege an. Schwere Infektion bis hin zu Lungenentzündungen und Organversagen können die Folge sein.

Behörden haben schnell gehandelt

Obwohl die aktuellen Zahlen und Maßnahmen drastisch klingen, gibt es auch positive Nachrichten. Zum einen agieren die chinesischen Behörden diesmal sehr viel schneller, entschlossener und transparenter als zu SARS-Zeiten. Um die Ausbreitung zu verhindern, wurden ganze Städte quasi unter Quarantäne gestellt. Dieses Vorgehen lobten sowohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als auch renommierte deutsche Experten wie der Leiter des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin, Professor Jonas Schmidt-Chanasit.

Mit internationaler Unterstützung ist es zudem binnen kürzester Zeit gelungen, das neue Virus zu identifizieren und einen Test für seinen Nachweis zu entwickeln. Außerdem gibt es mittlerweile Schätzungen, nach denen ein Infizierter 1,4 bis 2,5 Menschen ansteckt - für ein Virus ist das nicht besonders viel.

Zunächst weiterer Anstieg an Erkrankten erwaretet

Andreas Podbielski rechnet trotzdem damit, dass die Zahl der Fälle zunächst weiter ansteigen wird. "Vor allem, weil aufgrund der erhöhten Aufmerksamkeit nun auch Infektionen erfasst werden, die vorher vielleicht unbemerkt geblieben wären", sagt er. Darauf weisen auch die Autoren einer Studie hin, die im Fachmagazin Lancet erschienen ist und eine Reihe von Krankheitsfällen aus Wuhan analysiert. Aus ihr geht zwar hervor, dass schätzungsweise etwa drei Prozent der Infizierten sterben. Aber eben auch, dass viele Infizierte gar keine oder nur wenige Symptome aufweisen.

WHO: Weiterhin keine internationale Notlage

Wohl auch deshalb fallen die Einschätzungen der Behörden bisher eher beruhigend aus. Die WHO sieht noch keinen Grund, eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite auszurufen. Und die Europäische Infektionsschutzbehörde ECDC teilte am Wochenende mit, dass die europäischen Länder gut gewappnet seien. "Sie haben die Kapazitäten, einen Ausbruch zu verhindern und zu kontrollieren, sobald Fälle entdeckt werden", heißt es von der Behörde.

Auch das Robert Koch-Institut (RKI) geht davon aus, dass die Bedrohung in Deutschland als "sehr gering" einzustufen sei. Trotzdem gibt sich eine Sprecherin auf Nachfrage zurückhaltend: "Noch wissen wir sehr wenig über die genauen Übertragungswege und Eigenschaften des neuen Virus."

Ein Viertel der Fälle verlaufen schwer

Klar ist aber bereits, dass die meisten Todesfälle Menschen betreffen, die schon vor der Infektion mit dem Erreger gesundheitliche Probleme hatten. "Zur Risikogruppe gehören vorrangig alte, kranke und immunschwache Menschen", bestätigt Podbielski. Laut der WHO verläuft rund ein Viertel der Fälle schwer.

Das liegt auch daran, dass das Virus nicht gezielt therapeutisch angegangen werden kann. Allenfalls eine unterstützende Behandlung ist möglich, etwa in Form von Sauerstoffgabe oder Antibiotika gegen bakteriellen Begleitinfektionen. Laut RKI kann eine solche Behandlung aber sehr wirksam sein. Erste Meldungen aus China scheinen das zu bestätigen. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua vermeldete am Wochenende, dass sich der Zustand von elf infizierten Krankenhausmitarbeitern verbessert habe und das Virus nicht mehr nachweisbar sei. Und: die ganz überwiegende Zahl an infizierten Menschen überstehen die Krankheit ohne Behandlung unbeschadet.

Bis zu zwei Wochen Inkubationszeit

Das sind gute Nachrichten für Betroffene. Allerdings ermöglicht der oft milde Verlauf auch eine leichte Weiterverbreitung der Viren - zumal derzeit laut RKI von einer Inkubationszeit von bis zu zwei Wochen ausgegangen wird. In dieser Zeit spüren Infizierte noch keine Symptome, können die Krankheit aber bereits weitergeben. Außerdem lieben Erreger unsere globalisierte Welt und nutzen ihre Verbreitungswege. "Ein Infizierter im Flugzeug reicht ja schon aus, um die Erreger in andere Erdteile zu bringen", sagt Podbielski.

Genau das ist auch bereits passiert: In Frankreich gibt es mittlerweile drei bestätigte Fälle, ein Verdacht aus Berlin bestätigte sich hingegen nicht. Muss man sich nun in besonderer Weise schützen? "Nein", sagt der Experte, "normale Maßnahmen zum Infektionsschutz, etwa gründliches Händewaschen oder Handesinfektion, reichen gerade vollkommen aus." Das ist gerade ohnehin eine gute Idee, weil die Grippesaison in vollem Gange ist. Und nach allem, was bisher bekannt ist, sind die Grippe auslösenden Influenza-Viren deutlich gefährlicher als 2019-nCoV.

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