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Kieferschäden durch Medikamente

Lücke im Gebiss: Wird nichts unternommen, droht bei einer Nekrose Zahnausfall


Weiße Punkte oder Schwellungen im Mund deuten darauf hin, dass etwas nicht stimmt. Oft sind sie so winzig, dass man sie kaum erkennt oder ihnen keine Bedeutung beimisst. Doch was da hell durch die Schleimhaut schimmert, ist frei liegender Knochen. "Solche Kiefernekrosen begegnen uns im Klinikalltag immer häufiger", berichtet Professor Michael Ehrenfeld, Direktor der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie an der Uni München. Mit dem Fachbegriff Nekrose bezeichnen Mediziner das Absterben von Zellen. Greift man nicht ein, bleibt irgendwann ­toter, bröseliger Knochen zurück.

Nebenwirkung wird Krankheit

Was aber setzt dem Kiefer derart zu? Paradoxerweise sind es vor allem ­­Medikamente, die eigentlich die Knochenstruktur stärken sollen: Bisphosphonate und der Antikörper-Wirkstoff Denosumab. Sie werden gegen Osteoporose oder zur Behandlung von Skelettmetastasen verschrieben, etwa bei Prostata- oder Brustkrebs. "Diese Arzneien sind sehr wirksam und werden zu Recht häufig eingesetzt", betont Ehrenfeld. Allerdings haben sie eine Nebenwirkung, die mittlerweile als eigenes Krankheitsbild bekannt ist: Kiefernekrosen.

Arzneien bremsen Knochen

Der Grund dafür ist das Gebiss, erklärt Dr. Sven Otto von der Universität München, der seit rund zehn Jahren zu der Krankheit forscht und an den neuen Behandlungsleitlinien mitgearbeitet hat. "Durch die Zähne hat der Knochen eine Verbindung zur Außenwelt, die das Eindringen von Bakterien ermöglicht." Diese Keime würden nicht effektiv bekämpft, weil Medikamente den Knochenstoffwechsel bremsten und weitere Veränderungen verursachten. Es kommt schnell zu chronischen Entzündungen. Der Patient spürt Schmerzen, später lockern sich die Zähne und fallen aus, im schlimmsten Fall faulen ganze Stücke des Kieferknochens weg. Der schlechter durchblutete Unterkiefer ist deutlich häufiger betroffen.

Weil Tumorpatienten die Arzneimit­tel hoch dosiert erhalten, kommt es bei rund 20 Prozent von ihnen zu einer Nekrose. Bei Osteoporose ist das Risiko deutlich geringer, es steigt aber mit der Dauer der Einnahme und beträgt 0,1 bis zwei Prozent. Ein generell höheres Risiko haben zudem Patienten, die ­­unter Krankheiten wie Diabetes oder rheumatoider Arthritis leiden oder eine lang andauernde Kortison-Therapie machen müssen.

Knochenfraß muss nicht sein

Doch zu einer Nekrose muss es nicht kommen, da sind sich Experten einig. "Zum einen entwickelt längst nicht jeder Patient die Krankheit. Zum anderen lässt sie sich gut vermeiden und behandeln", sagt Professor Jürgen Hoffmann, ärztlicher Direktor der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universitäts- Kopfklinik in Heidelberg.

So können Menschen, die Medikamente gegen Knochenschwund benötigen, eine Menge für ihre Zahngesundheit tun. "Entscheidend ist, dass Patienten regelmäßig zum Zahnarzt gehen und beim kleinsten Anzeichen einer Nekrose in die Klinik wechseln", sagt Ehrenfeld. Außerdem sollten Betroffene bei jedem Zahnarztbesuch angeben, dass sie die entsprechenden Medikamente einnehmen. Nur so kann der Arzt das Risiko berücksichtigen und zum Beispiel größere Eingriffe mit der Gabe von Antibiotika kombinieren, um bakteriellen Infektionen vorzubeugen.

Wenn möglich, sollten Patienten zuerst anstehende Gebisssanierungen durchführen lassen, bevor sie eine Bisphosphonat- oder Antikörper-Therapie beginnen. Das bedeutet etwa: Zahn­fleischentzündungen behandeln oder kranke Zähne ziehen lassen.

Tipps zur Vorbeugung von Kieferschäden

Das Risiko für eine Kiefernekrose lässt sich verringern. Die wichtigsten Experten-Ratschläge:

Mundhygiene: Mindestens zweimal täglich Zähne putzen. Einmal täglich die Zwischenräume reinigen, mit Zahnseide oder Interdental-Bürstchen Zahnarztbesuche: Wie oft jemand zur Zahnreinigung gehen sollte, ergibt sich aus dem individuellen Risiko. Einmal jährlich ist jedoch das Mindeste. So kann der Arzt eine Nekrose schnell erkennen Nikotinverzicht: Wer nicht raucht, hat ein geringeres Nekorse-Risiko als Raucher
Behandlungsmethoden

Kommt es dennoch zu einer Kiefernekrose, kann sie auf zwei Arten therapiert werden: konservativ oder chirurgisch. Bei der konservativen Art behandeln Zahnärzte mit Spülungen und Antibiotika. Ein Ansatz, der sich nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre allerdings nicht bewährt hat. "Nur etwa 15 Prozent der Nekrosen bekommt man so in den Griff", sagt Kie­­fere­xperte Hoffmann. Denn das Problem ist nicht auf die Oberfläche beschränkt-. Bei Menschen mit schlechtem Allgemeinzustand wird die Methode trotzdem angewendet. "Viele Patienten sind sehr krank oder durch eine Krebstherapie geschwächt und wollen keine weiteren Operationen", sagt Dr. Oliver Ristow von der Uni Heidelberg, der täglich Nekrosen behandelt.

Für alle anderen Patienten hat sich europaweit die chirurgische Behandlung durchgesetzt. Dabei öffnen Ärzte den Kiefer und schaben den Knochen aus, bis das tote Gewebe entfernt ist. Danach bedecken sie ihn mit Schleimhaut und Fett- oder Muskelgewebe. So behandelt, heilen rund 90 Prozent der Kiefernekrosen ab.

Arzneien trotzdem nehmen

"Wer um das Risiko weiß, kann der Problematik also gut und frühzeitig begegnen", sagt Ehrenfeld und betont, dass niemand Angst vor den Medikamenten haben muss. Das ist auch den Spezialisten der Universität Heidelberg wichtig: Die Wirkung dieser Medikamente überwiege ihre Risiken bei Weitem.

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