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Feature

Die Aufrechten

Linke Buchhandlungen machten einst Front gegen den Mainstream - einige tun das noch immer.

Die nach Prinzessin Charlotte von Preußen benannte Straße in der Potsdamer Innenstadt protzt geradezu mit ihren verspielten Fassaden aus dem 18. Jahrhundert, unter postkartenblauem Himmel ist die Porschedichte beträchtlich. Als der Student Uwe Sonnenberg hier im Mai 2002 mit drei Freunden den Buchladen Sputnik eröffnete, stand, wenn man so will, ein Wort der mexikanischen Zapatistas Pate: Fragend gehen wir voran! Buchhändlerisches Know-how haben die drei nicht, dafür den Ehrgeiz, in ihrer Stadt einen Anlaufpunkt für die breit ausdifferenzierte kritische Gegenöffentlichkeit zu schaffen: „Es war der klassische Gedanke eines linken Buchladens als Kommunikationszentrum“, erklärt Sonnenberg. Zwei Wochen lang schaut er den Kollegen vom Buchladen „Schwarze Risse“ im Berliner Mehringhof über die Schulter, das muss als Crash-Kurs reichen. Für die Erstausstattung, ein paar Dutzend Bücher, gewähren linke Verlage lange Zahlungsziele. Dass der Sputnik im alternativen Hausprojekt „Charlottenstraße 28“ andockt, ist kein Zufall. Sonnenberg und seine Freunde kommen aus der Potsdamer Hausbesetzer-Szene, die Anfang der 1990er Jahre, im wildwuchernden Übergang zwischen alter und neuer Ordnung, eine Hochzeit erlebt: Das Holländerviertel etwa, heute ein touristischer Magnet, sollte noch 1989 nach dem Willen der SED-Oberen komplett abgerissen werden – statt der Bagger kamen die Instandbesetzer. Einige sind geblieben; auch die Aktivisten aus der Charlottenstraße unterschrieben 2009 einen Erbbaupachtvertrag, an den diverse Sanierungsauflagen gekoppelt sind.

Offener, heller, zugänglicher ist der rund 100 Quadratmeter große, mit einem gusseisernen Holzofen ausgestattete Buchladen im Zuge der Renovierung geworden. Zum ehrenamtlich arbeitenden Kollektiv gehören heute 13 Frauen und Männer aus ganz unterschiedlichen Lebens-Kontexten: Studierende, junge Wissenschaftler, Selbständige, nicht wenige von ihnen haben Kinder. Jule Hoffmann kam vor zehn Jahren als Kundin, heute ist sie für eine Schicht pro Woche dabei: „Ich habe eh einen Großteil meiner Freizeit hier verbracht – und bin hängen geblieben.“ Mit der Ausweitung des Kollektivs hat sich auch die Ausrichtung des Sortiments verändert - zu Politik, Philosophie, Kultur, Soziologie und Geschichte kamen Gender, Belletristik oder Graphic Novels. „Anfangs war vieles von den Vorlieben der vier Gründer dominiert“, sagt die Landschaftsarchitektin Maria Topp, ebenfalls seit 2006 im Laden. „Je mehr Menschen dabei sind, desto mehr Themen können sichtbar werden.“ Dienstagsabends, zum wöchentlichen Plenum, wird über die Einteilung der Schichten, nötige Nachbestellungen, anstehende Vertreterbesuche beraten; häufig sind Ausstellungen, Veranstaltungen oder Büchertische vorzubereiten. Während im Keller der Charlottenstraße 28, im Umsonstladen, Gebrauchsgegenstände den Besitzer wechseln, versteht sich der Sputnik als Umschlagplatz für Ideen, Durchlauferhitzer für alternative Lebens- und Gesellschaftsentwürfe. Deutlich mehr als ein wenig Sand im Getriebe der luxussanierten Potsdamer Innenstadt, die von manchem als „Preußisch Disneyland“ belächelt wird. „Trotz der schicken Fassade sind wir ein Ort der Subversion“, sagt die Studentin Eliah Wolff. „Das Schaufenster ist auch ein Fenster zu unserer gedanklichen Welt.“

Gut möglich, dass Uwe Sonnenberg ohne die Arbeit im Sputnik nicht in die Welt der Bücher eingetaucht, nicht Historiker geworden wäre. In diesem Frühjahr ist im Wallstein Verlag seine Studie „Von Marx zum Maulwurf“ über den linken Buchhandel im Westdeutschland der 70er Jahre erschienen. Ein spannendes Stück Kulturgeschichte der alten BRD: Der 1970 gegründete, mit dem Erstarken der Frauen-, Ökologie- und Bürgerinitiativbewegung Anfang der Achtziger sanft entschlafene Verband des linken Buchhandels, mit dessen Kürzel „VLB“ heute nur noch das „Verzeichnis lieferbarer Bücher“ in Verbindung gebracht wird, vereinigte zu seinen Hochzeiten bis zu 200 kollektiv betriebene Buchhandlungen, Verlage, Druckereien, Vertriebe und Auslieferungen. Konstitutiv für die Projekte war der egalitäre Anspruch in Lohn-, Entscheidungs- und Besitzstrukturen; basisdemokratische Diskussion zählte mehr als möglicher Profit. Nicht wenige der Läden wichen im Anything goes der 80er und 90er Modegeschäften und Schuhsalons. Doch ob nun Heinrich Heine (Hamburg), Jos Fritz (Freiburg), die Schwarze Geiß (Konstanz) oder die Buchhandlung zur schwankenden Weltkugel (Berlin), ob Großstadt-Szeneviertel oder Provinz: Noch immer arbeiten einstige VLB-Läden und später entstandene Projekte, politisch hellwach, gegen den Mainstream. Das Türschild „Wegen Demo geschlossen!“ wird man allerdings vergeblich suchen.

Der „Rote Stern“ in Marburg, 1969 zunächst als „fliegender Büchertisch“ gegründet, ist ein Kind der Studentenbewegung und gehört heute zu den ältesten kollektiven Buchhandlungen der Republik. Ulrich Raulff, dem wir eine erhellende Expedition durch die „wilden Jahre des Lesens“ verdanken („Wiedersehen mit den Siebzigern“, Klett-Cotta 2015), besorgte einst als Aushilfe den Marburger Mensa-Büchertisch, Michael Lemling wurde hier zum Buchhändler umgeschult. Als Ulrich Hogh-Janovsky, heute mit fast 62 Jahren einer der Dienstältesten, 1979 ins Kollektiv einstieg, fiel eine richtungweisende Entscheidung: Das Haus am Grün wurde, nach langen Debatten, gekauft und umgebaut. „Aus dem Bewegungsladen ist peu á peu ein Wirtschaftsbetrieb geworden.“ Mit der Kinderbuchhandlung Lesezeichen filialisierte man in die Oberstadt. Ende der 1980er Jahre wurden – Stichwort „Kapitalneutralisierung“ - die GmbH-Anteile an den Verein Extremes Lesen e.V. übertragen, alle Mitarbeiter der Buchhandlung sind dort automatisch Mitglied. Über wichtige Weichenstellungen, etwa die Höhe der Gehälter, wird lange diskutiert; Personalfragen müssen einstimmig entschieden werden. „Wir sind unsere eigenen Chefs“, sagt Hogh-Janovsky, der stolz ist, dass der Rote Stern Kernideale der Gründerzeit ins neue Jahrtausend gerettet hat, darunter die Vier-Tage-Woche für alle. Wirtschaftlich ist man in der Uni-Stadt Marburg nach Lehmanns die Nummer Zwei. Also alles gut? Das Gros der zehnköpfigen Belegschaft ist schon lange dabei, demnächst erreichen die ersten das Rentenalter. „Eigentlich müssten wir junge Leute in den Laden holen, aber wir können uns das finanziell nicht leisten. Wir sind da relativ festgenagelt.“

Als der Buchladen Osterstraße 1978 startete, galt Eimsbüttel als das linke Zentrum Hamburgs. Heute ist es ein schickes Viertel, in dem sich viele Genossen von einst, die mittlerweile Grüne oder SPD wählen, in schönen Altbauwohnungen eingerichtet haben. Wichtige Kunden, noch immer; inzwischen stehen bereits deren Enkel auf der Matte. Torsten Meinicke, der schon während seines Geschichtsstudiums beim Göttinger Buchladen Rote Straße ausgeholfen hat, arbeitet seit 20 Jahren in der Osterstraße. Er führt den Laden – „bei Einheitslohn und relativ gleichberechtigten Strukturen“ – mit Doris Claus und Gerlinde Schneider. Aus der Utopie des „gemeinsam leben, kämpfen, arbeiten“ ist ein kräftezehrender Fulltimejob mit verbindlichen Öffnungszeiten geworden. „Man weiß, dass so ein Laden nicht mehr über Schnoddrigkeit und Arroganz funktionieren kann“, sagt Meinicke. „Vor 20 Jahren war es verpönt, Bücher als Geschenk einzupacken.“ Heute gehört das zum Service – wie der eigene Web-Shop. Die engagierte Stadtteilbuchhandlung, die eben auf die Shortlist des vom Senat ausgelobten Hamburger Buchhandlungspreises gewählt wurde, verfügt auch über ein gut sortiertes Krimi-Regal und Kinderbücher, unterscheidet sich jedoch durch ihren explizit politischen Anspruch: Schwerpunkte sind etwa die Geschichte des Nationalsozialismus und der Shoa; auf Ereignisse wie Fukushima, islamistische Gewalt oder die Gentrifizierung vor der eigenen Haustür reagiert man mit thematischen Schaufenstern. „Natürlich könnte der Laden nicht existieren, wenn Anwälte und Ärzte nicht ihre Loseblattwerke und Fachbücher bei uns bestellen würden“, räumt Meinicke ein. Dennoch sieht sich der Mittfünfziger selbst als linken Buchhändler, „ohne Gänsefüßchen“. Die Liebe zum selbstbestimmten Arbeiten bleibt für ihn und seine Mitstreiterinnen ein hohes Gut.

Wer von „Hypezig“ spricht, meint auch die wundersame Wandlung des Leipziger Westens vom Problemviertel zum Trendquartier. Die Gegend um die Karl-Heine-Straße ist längst ein Biotop für Lebenskünstler, Studenten und junge Kreative. Vieles ist hier in Bewegung, fast alles möglich. Genau deshalb liebt Mario Freidank, der lange in Potsdam lebte und dort auch im Sputnik-Kollektiv arbeitete, diese Meile; genau hier sollte die Buchhandlung andocken, die er vor fünf Jahren mit René Wiegel gründete. Drift heißt der Laden, ein Statement in Zeiten, „in denen Algorithmen entscheiden, was Suchmaschinen für uns finden“. Drift setzt eher aufs „vorsätzliche Verirren“, auf Abweichung von der Norm. Auch bei der Ladeneinrichtung, die ein befreundeter Möbeltischler und eine Schweißerin in Teamarbeit entwarfen; die 16-Quadratmeter-Fläche wirkt luftig und transparent, dennoch so gemütlich, dass man bei einem fair gehandelten Kaffee gern im Kinoklappstuhl hängen bleibt. Angesichts des limitierten Raums ist kluge Auswahl gefragt: Zum Sortiment gehören neben Belletristik, Fach- und Sachbüchern zu Geschichte, Feminismus, kritischer Gesellschafts- und Kulturtheorie auch emanzipatorische Kinderbücher und Graphic Novels. „Debattenqualität“ rangiert vor Verkäuflichkeit, es darf auch mal dauern, bis ein gutes Buch im Regal landet. Auch Drift wird von einem Kollektiv geführt; noch kann keiner der neun jungen Frauen und Männer vom Laden leben. „Man muss den Spagat zwischen Studium oder Job und unserer Herzensangelegenheit hinbekommen“, erklärt Anne Hofmann. Die Driftler üben ihn mit nicht nachlassender Energie: Sie organisieren Lesungen und Büchertische, unterstützen Neugründungen wie die im DLL-Umfeld angesiedelte Zeitschrift „Politisch Schreiben“ und kooperieren mit zahlreichen Initiativen und Vereinen aus dem links-alternativen Spektrum der Stadt. Auch gezielte Leseförderung in Leipzigs freien Kindergärten gehört zum ehrgeizigen Programm. Schlicht und einfach: Eine „hervorragende Buchhandlung“, eine, die man – würde man sich’s nur trauen – auch gern betriebe. Das meinten auch die Juroren des Deutschen Buchhandlungspreises 2015. Die 7000 Euro sind vermutlich längst ausgegeben, aber – so what? „Wir sehen Bücher nicht nur als Ware“, sagt Mario Freidank, „ihr Inhalt macht etwas mit uns. Sie können ein Leben verändern.“

Buchladen Sputnik (Potsdam)
http://www.sputnik-buchladen.de

Buchhandlung Roter Stern (Marburg)
http://www.roter-stern.de

Buchladen Osterstraße (Hamburg)
http://www.buchladen-osterstrasse.de

Buchhandlung Drift (Leipzig)
http://drift-books.de