In den vergangenen Jahren hat sich antirassistische Literatur als neues Sachbuch-Genre etabliert: Anleitungen zum antirassistischen Denken, Plädoyers, nicht mehr mit Weißen über die eigene „schwarze Identität“ zu sprechen, und Kinderbücher, die über weiße Privilegien aufklären wollen, sind keine Seltenheit mehr. Dass die antirassistische Pädagogik dabei längst gesellschaftstauglich ist, zeigt die Faszination, die der postmodernen Identitätsintrospektion in der gesamten westlichen Welt entgegengebracht wird.
Die namhaft verlegten Mixturen aus Bedienungsanleitung und Wehklage bekommen dabei meist Attribute wie „mutig“, „kritisch“ und „entlarvend“ verliehen, obwohl sie ihrer meist jungen, akademischen Leserschaft nur das sowieso Erwartete vorsetzen: Rassenmystifizierung im Zeichen der Antidiskriminierung für die einen, Läuterungsliteratur zur lustvollen Selbstanklage für die anderen.
Mit „Selbstporträt in Schwarz und Weiß“ ist nun in deutscher
Übersetzung ein Buch erschienen, das sich den abgenutzten Rastern der
Debatte über die Bedeutung von Schwarz- und Weißsein entzieht. Der
Untertitel „Unlearning Race“ sollte nicht zu der Erwartung verleiten,
der amerikanische Autor
Thomas Chatterton Williams habe hier nur ein weiteres Lehrbuch über den
Umgang mit Rassismus geschrieben. Stattdessen steht „Unlearning Race“
vielmehr für einen Erkenntnisprozess, den Williams selbst durchgemacht
hat.
„Unlearning race“
Als Sohn eines schwarzen Vaters und einer weißen Mutter schreibt Williams seine Memoiren, ausgehend von der Erfahrung der Geburt seiner Tochter – einem Schlüsselereignis, zu dem er immer wieder zurückkehrt. Ihm sei es sein Leben lang selbstverständlich erschienen, dass bereits „ein Tropfen schwarzen Blutes“ einen Menschen schwarz mache und seine Identität somit grundlegend determiniere. Entsprechend groß sei der Schock gewesen, als seine französische Frau ein blauäugiges, blondes Mädchen mit elfenbeinfarbener Haut zur Welt brachte.
Williams’ Buch erzählt auf sehr intime Art von der eigentlich banalen Einsicht, dass es sich bei „race“ um eine Fiktion handelt. Kaum einer würde dieser Aussage widersprechen – und doch macht Williams darauf aufmerksam, dass „race“ im Zuge aktuellen antirassistischen Denkens erneut obersten Rang einnimmt. Was also einmal das Metier klassischer Rassisten war, zeigt sich heute auch in anderem Gewand: Gerade in den USA ist es nicht ungewöhnlich, von spezifisch „schwarzer Erfahrung“ und „schwarzem Bewusstsein“ zu sprechen, als gehe die ohnehin selten eindeutige Hautfarbe und Herkunft eines Menschen mit einem besonderen ontologischen Status einher.
Fälschlicherweise wird geglaubt, man könne den Rassismus bekämpfen, ohne seine Prämissen – die Vorstellung intrinsischer Wesenhaftigkeit der „race“ – abzulehnen. Nicht nur in den USA ist die antirassistische Vorstellung von der Undurchlässigkeit verschiedener Identitäten fester Bestandteil zeitgemäßer Politik: Im Erstreben von Quoten für Menschen mit Migrationshintergrund oder einer Erhebung zusätzlicher „Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten“ – wie es im aktuellen Wahlprogramm-Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen heißt – kehrt das Denken in Rassekategorien auch hierzulande in politisch korrekter Form wieder.
Einem rein konstruktivistischen Verständnis von Identität hängt Williams trotzdem nicht an, wenn er „race“ als bloßes Hirngespinst bloßlegt: Ihm geht es trotz aller existenzialistischen Theatralik nicht darum, dass sich der Einzelne über körperliche Gegebenheiten hinaus frei entwerfen kann, sondern um die Frage, wie mit den naturbedingten Unterschieden umgegangen werden soll. Die gängigen linken Topoi sowohl eines grotesken Fundamentalkonstruktivismus als auch einer essenzialistischen Identitätsfestlegung meidet Williams. Seine Idealvorstellungen einer Zukunft fernab von „race“ erinnern an die radikal individualistischen Träume von Martin Luther King und nicht an den derzeit wiederkehrenden „Black is Beautiful“- und „Black Power“-Kult eines rassischen Kollektivgeists.
Gegen bequemes Lagerdenken
Williams kritisiert die Bequemlichkeit des Lagerdenkens, er schreibt, er wisse, „dass es für Angehörige historisch unterdrückter Gruppen fast erleichternd sein kann, Belege für Vorurteile oder Respektlosigkeit zu finden“. Der Wille, weiter von seiner Opferposition und der vermeintlichen Erbsünde des weißen Rassismus zu zehren, hat sich verselbstständigt, wenn das langsame Verschwinden von tatsächlichem Rassismus nur dazu führt, überall Rassismus in geringeren Dosen zu wittern.
Noch dazu erweckt der Konflikt um „race“, weiße Privilegien und schwarze Benachteiligung nicht selten den Eindruck einer sich im Kreis drehenden Scheindebatte: „Selbstporträt in Schwarz und Weiß“ bestärkt diesen Eindruck, wenn Williams von seinen Erfahrungen als Wahlkampfhelfer für Barack Obama berichtet und feststellt, dass von der schwarzen Verbundenheit nicht viel übrig bleibt, sobald die soziale Kluft zutage tritt. Die soziale Frage kommt bei Williams leider nur kurz vor, obwohl das der springende Punkt wäre: Aus der Einsicht in die Überflüssigkeit identitärer Verortung müsste die Notwendigkeit erwachsen, Gerechtigkeitsfragen wieder dort zu stellen, wo sie sich nicht nur auf Scheingefechte um Anerkennung und Repräsentation kaprizieren.
Thomas Chatterton Williams: Selbstporträt in Schwarz und Weiß. Aus dem Englischen von Dominik Fehrmann. Edition Tiamat, 184 S., 24 €.
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