„Wir haben uns von der Natur, von Mutter Erde, entfremdet und auf dieser Grundlage beuten wir sie rücksichtslos aus – Wir müssen uns wieder harmonisch mit ihr verbinden!“, dieses Klischee ökologischen Denkens findet man an vielen Orten: unter Outdoor-Begeisterten und Hobby-Ornithologen, unter Back-Packern und Klima-Aktivistinnen, im Bio-Markt und in der Kantine.
Diese romantische Vorstellung einer Einheit von Mensch und Natur ist letztlich aber nur fehlgeleiteter Konsumismus, so kann man die provokative These von Timothy Mortons Buch „Ökologie ohne Natur“ auf den Punkt bringen. Morton arbeitet an der University of California in der Philosophie und Literaturwissenschaft und meint wir täten gut daran, „Natur“ gleich ganz aus unserem Vokabular zu streichen, um sie angemessener zu denken.
Öko-Mimesis als Instrument der „Wiedervereinigung“
Die Romantiker*innen bedienten sich in ihrer Rede über die Natur eines traditionsreichen rhetorischen Tricks, den Morton „Öko-Mimesis“ nennt. „Mimesis“, aus dem Altgriechischen, heißt so viel wie: Nachahmung, Nachbildung.
Ein treffendes Beispiel für Öko-Mimesis findet Morton in den Naturbeschreibungen des US-amerikanischen Philosophen David Abram:
„Die sinnliche Welt ist der besondere Boden, auf dem wir gehen, die Luft, die wir atmen. (…) „Für mich selbst ist es, während ich dies schreibe, die feuchte Erde einer halb versumpften Insel im Nordwesten Nordamerikas. Es ist dieser dunkle und steinreiche Boden, der die Wurzeln der Zedern und Fichten nährt, und der Erlen, die sich vor der Hütte erheben und deren letzte Blätter von den Ästen baumeln, bevor sie von den frühen Winterstürmen in den Himmel geschleudert werden..."
Die Liste solcher Beschreibungen bei Abrams ist unendlich, hat keinen Start- oder Endpunkt“ – „Öko-Mimesis“ par excellence.
Distanz und Konsumismus
„Ökologisches Schreiben will die gewohnten Unterscheidungen zwischen der Natur und uns aufheben“, pointiert Morton diese Diskursstrategie. Denker wie Abram gehen davon aus, dass der Raubbau an der Natur in unserer Entfremdung von ihr wurzelt. Durch die Aufhebung der Entfremdung (in der Mimesis) hoffen sie deshalb, einen Beitrag zur Beendigung dieses Gewaltverhältnisses zu leisten. Das Problem daran aus Mortons Perspektive: Schon alleine die Einbettung in die Natur zu thematisieren, hebe diese aber faktisch auf. Das „Ich“, das sich in der Natur wiederfindet, ist nicht das „Ich“, das uns davon erzählt:
„Öko-Mimesis bietet die Illusion einer falschen Unmittelbarkeit, die durch die versunkene und doch zurückgelehnte ästhetische Distanz, die sie verlangt, widerlegt wird.“
In diesem falsch wahrgenommenen Weltverhältnis findet Morton die Wurzel des Konsumismus. Denn der moderne flâneur, der durch die Einkaufspassagen streift und seinen Blick ziellos über das flimmernde Warenangebot gleiten lässt, beschreibe die „Einbettung“ in seine Umwelt nicht anders als der romantische Naturwanderer. Tatsächlich sei diese vermeintlich „natürliche Umwelt“ selbst ein Produkt der technologischen Gesellschaft: Erst, wer ein Feld nicht mehr bestellen müsse, könne über die Verbundenheit mit ihm sinnieren.
Ökologie ohne Natur? Mehr Kontrolle!
Das ist das Morton-Paradox der Öko-Mimesis: Wann immer wir uns also auf die Unmittelbarkeit unseres Eins-Seins mit der Natur besinnen, reproduzieren wir die Distanz, die wir überwinden wollten. Und zugleich kann sich die Naturverbundenheit, will sie politische Strategie sein und ein soziales Band stiften, nicht in bloßem, mystischen Schweigen ergehen – was wir an der Fülle ökologischer Literatur, Poesie und Philosophie sehen. Mortons Schluss daraus: Dann gibt es kein Eins-Sein mit der Natur. Radikaler noch: Die Natur als weltumspannende Totalität ist eine Phantasie.
„Wo immer wir nach ‚der‘ Natur suchen, stoßen wir nur auf eine lange metonymische Kette von Häschen, Bäumen, Sternen, Weltraum, Zahnbürsten, Wolkenkratzern…“
Für ein ökologisches Denken und eine ökologische Bewegung heißt das in Mortons Augen vor allem das: Mit der Anrufung unserer Natur-Verbundenheit und dem Appell an unseren Respekt gegenüber dieser Natur ist niemandem geholfen. Wenn die demütige Versenkung in die Natur in der Öko-Mimesis die diagnostizierte Entfremdung in der technologischen Gesellschaft nicht bricht, sondern zur Voraussetzung hat – braucht es dann nicht mehr Entfremdung, mehr Technologie, fragt Morton und folgert:
„Wir müssen uns dafür
entscheiden, die Natur auf dieser Seite der menschlichen sozialen
Praktiken einzubeziehen.“
Mehr Kontrolle also, statt weniger. Aber nicht mehr Kontrolle im Technologischen, wie es sich das Geo-Engineering erträumt – sondern radikaler: Die Ausdehnung des Technologischen auf andere Bereiche. Was, wenn wir uns dazu entschieden, die Produktion von Plastik, die Extraktion von Öl, Gas und Metallen zu stoppen und damit die Kontrolle auf die Wirtschaft auszudehnen, statt sie anonymen „Kräften des Marktes“ zu überlassen? Wir könnten vielleicht den Planeten erhalten – wenngleich wir die Sorge um „die Natur“ verloren hätten. Wir näherten uns dem Punkt, auf den Morton zusteuert: Die Ökologie mag ohne Natur sein, aber sie ist nicht ohne uns.