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Die unsichtbare Gefahr: Feinstaub

Foto: dpa

Von Neli Mihaylova

„Drei, zwei, eins", schreit der Moderator ins Mikrofon. Die Musik explodiert aus den überdimensionalen Lautsprechern, der Boden vibriert im Takt der Bässe. Auf Kommando werfen tausende Hände buntes Pulver in die Luft. Die Tanzenden verschwinden hinter riesigen Farbwolken, schreien, jubeln, springen. Kurz darauf folgt die nächste Farbexplosion.

Jedes Jahr feiern an dutzenden Orten in ganz Deutschland junge Leute die kommerzielle Variante des indischen Holi-Festes, die Feier, die den Frühjahrsbeginn markiert und den Winter vertreiben soll. Dabei werden pro Veranstaltung oft mehrere Tonnen Farbpulver in der Luft verteilt und ein Teil davon von den Teilnehmern eingeatmet.

Allergische Reaktionen, Atembeschwerden und Hautrötungen sind nach solchen Veranstaltungen nicht selten. Was aber weitaus gefährlicher ist, sind die Feinstaub-Partikel, die in die Lungen und Blutgefäße der Teilnehmer gelangen. Denn laut Untersuchungen des Bundesumweltamtes bestehen diese Farbpulver bis zu 70 Prozent aus Feinstaub. Doch was genau ist Feinstaub und wie gefährlich ist er wirklich?

Feinstaub bezeichnet winzige Teilchen, die so klein sind, dass sie nicht sofort zu Boden sinken, sondern eine gewisse Zeit in der Atmosphäre verweilen. Dazu gehören unter anderem Rußpartikel, Reifen- und Bremsabrieb, Sandkörnchen, Pollen, Mikroplastik, Salzkristalle, Glasstaub, oder eben die Farbpartikel beim Holi-Fest. Sie sind für das bloße Auge unsichtbar. Lediglich bei bestimmten Wetterlagen kann der Feinstaub in Form einer Dunstwolke gesehen werden.

Straßenverkehr ist Hauptquelle in Ballungsgebieten

Feinstaub entsteht vorwiegend durch menschliche Aktivitäten: Emissionen aus Kraftfahrzeugen, Kraft- und Fernheizwerken, Öfen und Heizungen in Wohnhäusern, bei der Metall- und Stahlerzeugung oder beim Be- und Entladen von Schüttgütern wie Erzen, Kohle oder Getreide. In Ballungsgebieten ist der Straßenverkehr die Hauptquelle des Feinstaubs. Aber auch Landwirtschaft und Tierhaltung tragen beträchtlich zur Feinstaubbelastung bei: 23 Prozent der Feinstaubverschmutzung in Deutschland geht auf landwirtschaftliche Quellen zurück. Vor allem Tierhaltung und Düngung, bei denen große Mengen Ammoniak freigesetzt werden, wirken sich auf die Belastung aus. Das Ammoniak reagiert mit anderen chemischen Substanzen in der Luft und bildet dabei winzige Staubteilchen.

Das Wetter hat einen großen Einfluss auf die Verteilung des Feinstaubs: Durch Inversionswetterlagen, bei denen die warme Luft oben auf die kalte Luft unten drückt, können die Feinstaubteilchen nicht in die obere Atmosphäre entweichen. Die Feinstaubkonzentration steigt unter solchen Bedingungen an. Regen hingegen hilft, die atmosphärische Belastung zu reduzieren, weil die Wassertröpfchen die kleinen Partikel binden und auf den Boden sinken lassen.

„Wenn man von Luftverschmutzung spricht, denkt man zunächst an die Smog-Bilder aus China. Aber Europa und Deutschland stehen nicht deutlich besser da", schildert Professor Dr. Jos Lelieveld, Direktor der Abteilung „Atmosphärenchemie" am Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie. Er erforscht seit Jahren die Feinstaubbelastung weltweit und hat dafür ein globales Atmosphärenmodell entwickelt. „Nach Hochrechnungen der Weltgesundheitsorganisation sterben in Europa jährlich etwa 170 000 Menschen vorzeitig an den Folgen der Feinstaubbelastung. In Deutschland sind es rund 34 000 Menschen pro Jahr", erklärt der Wissenschaftler.

Dass Feinstaub gesundheitsschädlich ist, haben zahlreiche Studien weltweit belegt. Die kleinen Partikel werden beim Einatmen aufgenommen und dringen je nach Größe unterschiedlich tief in die Atemwege ein. Sie sind für den Organismus Fremdkörper, die zum Teil auch schädliche Substanzen, wie Nickel oder bestimmte Kohlenwasserstoffe transportieren. Sehr kleine Feinstaubpartikel können dabei gefährlicher sein als größere, weil die kleinsten Teilchen ins Lungengewebe und Blut gelangen und nicht mehr ausgeschieden werden können. Der Körper reagiert auf diese Fremdkörper mit entzündlichen Reaktionen.

Und das hat Konsequenzen: „Feinstaub kann zu Schleimhautreizungen, Entzündungen der Atemwege, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Lungenkrebs führen", warnt Lelieveld.

Die Luftwerte in Deutschland haben sich verbessert

In der Regel ist nicht der Feinstaub allein für die Entstehung dieser Krankheiten verantwortlich. Allerdings erhöht er deutlich die Wahrscheinlichkeit ernsthafter Erkrankungen, insbesondere für Personen, die anderen Risikofaktoren, wie ständigem Stress, Zigarettenrauchen, ungesunder Ernährung und mangelnder Bewegung ausgesetzt sind.

Deutschland befindet sich bei der Reduzierung der Feinstaubbelastung auf dem richtigen Weg, meint Professor Lelieveld. „Die Luftwerte in den 60er und 70er Jahren, als es noch keine Filter für die Industrieanlagen gab, waren deutlich schlechter." Seitdem sind die Schwefeldioxidwerte um 95 Prozent zurückgegangen.

In vielen deutschen Städten, darunter Frankfurt, Wiesbaden, Darmstadt und Mainz, wurden in den vergangenen Jahren Umweltzonen eingeführt. Dort dürfen nur solche Fahrzeuge fahren, die mit einer grünen Plakette gekennzeichnet sind. Eine sinnvolle Maßnahme, findet Professor Dr. Joachim Curtius vom Institut für Atmosphäre und Umwelt der Frankfurter Goethe-Universität: „Die Einführung der Umweltzonen hat zu einer deutlichen Verringerung der durchschnittlichen Feinstaubbelastung beigetragen." Zudem werden auch wegen dieser Zonen moderne Fahrzeuge mit effektiven Partikelfiltern ausgerüstet.

Seit 2005 gibt es zudem europaweit Auflagen, die die zulässige Feinstaubbelastung regulieren. Die EU-Richtlinie sieht vor, dass in den Ländern der Europäischen Union an maximal 35 Tagen im Jahr über 50 Mikrogramm der großen Feinstaubteilchen, die sogenannten PM10, in einem Kubikmeter Luft schweben dürfen. In Deutschland wurde dieser Wert 2015 lediglich an drei der 374 Messstationen des Deutschen Umweltbundesamtes überschritten: in Berlin, Weimar und Stuttgart.

Die WHO empfiehlt jedoch, dass dieser Tagesgrenzwert auf höchstens drei Tage pro Jahr reduziert werden soll. Wenn man die WHO-Empfehlung berücksichtigt, wurden 2015 die Grenzen in Deutschland an nur 85 Messstationen eingehalten.

„Die EU-Richtlinie ist viel zu hoch gesetzt", meint auch Lelieveld. Untersuchungen der WHO hätten gezeigt, dass es keine Feinstaubkonzentration gebe, die nicht gesundheitsgefährdend sei. Australien, Kanada und die USA hätten deutlich niedrigere Grenzen. „Dass in Deutschland die EU-Werte meist eingehalten werden, heißt nicht, dass die Luft hier sauber ist", betont er.

Und auch Curtius plädiert für eine niedrigere Grenze der erlaubten Feinstaubbelastung: „Man kann dem Feinstaub nicht entgehen", sagt er. Dennoch könne die Politik einiges bewirken, um die Verschmutzung weiter zu reduzieren: die Anzahl der alten Dieselfahrzeuge senken, auf Elektromobilität und erneuerbare Energien setzen und das Ammoniak in der Tierhaltung durch Filter in den Ställen senken.

Jeder Einzelne kann etwas dazu beitragen, die Feinstaubverschmutzung zu verringern: weniger Auto fahren, auf das Heizen mit Holz und Laubverbrennung verzichten und nicht allzu oft grillen.


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