Der Götakanal spukt schon lange auf unserer Reise-Wunschliste herum. Seit ich vor einigen Jahren einen Bericht über diesen historischen Wasserweg in Schweden gelesen habe, der Göteborg mit Stockholm verbindet, wollte ich ihn selbst einmal befahren. Und wenn, dann sollte das möglichst an Bord des historischen Flussdampfers Juno geschehen, des ältesten registrierten Passagierschiffs der Welt. Die Juno wurde 1874 in der Werft von Motala in Schweden gebaut, dort wo sie heute auf ihren Fahrten über den Götakanal den Vätternsee verlässt, um ihren Weg über Schleusen in Richtung Borensberg fortzusetzen. Mein Traum geht Anfang Juni in Erfüllung. Wir schiffen uns nach unserer Übernachtung im Radisson Blu Riverside Hotel in Göteborg am Packhuskajen ein und brechen auf zu einem viertägigen nostalgischen Flussabenteuer auf dem Götakanal.
Zusammen mit Passagieren aus aller Welt - sie kommen aus Schweden, Deutschland, der Schweiz, England und den USA - beziehen wir unsere winzigen, aber gemütlich ausgestatteten Kabinen für die nächsten drei Nächte. In unserer Kabine auf dem Deck A, dem obersten Deck der Juno, finden wir zwei Stockbetten vor, wobei ich mich neben dem Waschtisch ins untere Bett zwänge und Petar das obere Bett wählt. Nach anfänglichen Zweifeln schlafen wir darin in den drei Nächten an Bord erstaunlich gut. Die viele frische Luft, die wir unterwegs bekommen, trägt sicher ihr Übriges dazu bei. Wir folgen der Empfehlung der Crew und packen alles Nötige für die Reise aus unseren Koffern aus und verstauen es in den kleinen Schränken, die uns zur Verfügung stehen. Sogar unser Handy können wir aufladen und das sehr gute WLAN Netz an Bord nutzen - eines der wenigen Zugeständnisse an die moderne Zeit an Bord der Juno. Die Kabine besitzt eine Waschgelegenheit, die zum Zähneputzen und zur Katzenwäsche reicht. Duschen und Toiletten werden von allen Passagieren gemeinschaftlich genutzt. Es ist ein wenig wie eine Reise in einem Zugabteil, nur dass hier der Boden ab und zu etwas stärker schwankt. Die Kabinen sind etwas größer als die auf unserem Hausboot in Holland.
Eigentlich sind die Kabinen nur zum Übernachten gedacht. Dummerweise haben wir für die Reise nicht ausreichend warme Sachen mitgenommen. Schweden und die Fahrt auf dem Götakanal im Frühjahr können windig sein, und die Temperaturen in diesem Juni liegen offenbar unter denen „normaler" Jahre, wie man uns mehrfach versichert. Daher nutzen wir die Wärme unsere gemütlichen Kabine immer wieder, wärmen uns darin auf und lassen die schönen Landschaften und Dörfer entlang des Götakanals an uns vorübergleiten, indem wir sie durch die geöffnete Kabinentür bewundern. So sind wir vom Wind geschützt, dem sich unsere wärmer gekleideten Mit-Passagiere auf dem oberen Deck der Juno dick in Decken eingepackt aussetzen. Alternativ steht den Passagieren der Juno noch die Bibliothek als Aufenthaltsraum während der Fahrt zur Verfügung, allerdings bietet sie nicht für alle Platz. Der Speiseraum wird nur zu den Essenszeiten geöffnet.
Wie das mit historischen Wegen so ist, die sind nun mal schon etwas älter. Und da kann dann auch mal etwas nicht mehr so gut funktionieren. Bei unserer Reise war das die erste Schleuse in Lilla Edet. Unser Kapitän Albert Hakansson, ein echter Seebär, der eigentlich schon in Pension ist und die Juno nur während der Sommermonate durch die Seen Schwedens und den Götakanal steuert, lässt einem Containerschiff die Vorfahrt. Als wir mit unserem historischen Flussdampfer in die Schleuse einfahren wollen, heißt es plötzlich: „Nichts geht mehr!" Das Schleusentor lässt sich nicht mehr öffnen. Und wie das so ist: so etwas passiert immer kurz vor dem Wochenende. Murphy's Law! Am Freitagnachmittag ein kaputtes Schleusentor zu reparieren stellt sich als nicht so einfach heraus wie ursprünglich gedacht, so dass wir erst mit fast neun Stunden Verspätung weiter fahren können. Damit ist das Reiseprogramm, das wir von der Reederei für unsere Tour auf dem Götakanal bekommen haben, erst einmal nicht mehr einzuhalten. Überall dort, wo wir eigentlich Besichtigungen und Wanderungen machen sollten, kommen wir mitten in der Nacht an - oder was davon kurz vor Mittsommer in Schweden übrig ist. Die Nächte sind kurz hier am Götakanal Anfang Juni. Auf jeden Fall liegen die meisten Passagiere an diesen Orten im Bett. Unsere Crew weiß damit jedoch gut umzugehen und organisiert schnell tolle Ausflüge, die uns den Götakanal und die Seen, die die Juno durchquert, auf sehr angenehme Weise näherbringen. Katharina, die für das Unterhaltungsprogramm verantwortlich ist, zaubert immer wieder neue Ideen und Besichtigungsorte aus dem Hut und macht uns die Reise zu einem puren Vergnügen.
Besonders gut gefällt uns die Schleusentreppe bei Sjötorp. Hier muss die Juno Frischwasser aufnehmen und acht Schleusen nach oben klettern. Das gibt uns Passagieren Gelegenheit, das Götakanal Museum in Sjötorp zu besuchen, der Crew bei ihrer Arbeit in den Schleusen zuzuschauen und zu Fuß am Götakanal entlang zu wandern bis zur Schleuse 8, wo wir wieder ins Boot einsteigen können. Ein schöner und gemütlicher Aufenthalt, der uns das Leben am Kanal näherbringt. Wir beobachten, wie der Schleusenwärter mit dem Rad von einer Schleuse zur nächsten fährt, um diese für die Juno vorzubereiten, wie er Brücken öffnet, damit das Boot darunter durchfahren kann und ein Schwätzchen mit Wanderern und Radfahrern hält, die am Kanal entlang unterwegs sind. Gemächlich wandern wir am Kanal entlang und versetzen uns in die Zeiten, als dieser noch ein wichtiger Wirtschaftsweg von der West- an die Ostküste Schwedens war.
Insgesamt 58 Schleusen passiert die Juno auf ihrem Weg von West nach Ost. Darunter sind sogar einige, die per Hand geöffnet werden, wie die Schleuse bei Tatorp. Ab und zu müssen wir warten, bis sich Brücken vor uns heben, damit wir durchfahren können. Dabei erstaunt es mich immer wieder, wie kurz die Warteschlangen der Autos an den Straßen-Fluß-Kreuzungen sind. Schweden ist ein dünn besiedeltes Land. Das fiel mir schon bei unserer Autoreise durch Smaland auf. Hier am Götakanal weiter im Norden wird das noch viel deutlicher. Auf unserer Bootsreise durch Schweden fahren wir über zwei der größten Seen des Landes: den Vänernsee im Westen und den Vätternsee, dessen Südufer wir bei Jönköping kennengelernt hatten. Den zweiten überqueren wir bei Nacht, nachdem uns Katharina beim Abendessen davor gewarnt hatte, dass die Überfahrt rauh werden könnte. Gut gerüstet mit Pillen gegen Seekrankheit lasse ich mich von den Wellen des Sees in den Schlaf wiegen. Petar, der sich mannhaft geweigert hatte, Tabletten zu nehmen, muss sich in seinem Bett über mir allerdings manchmal krampfhaft festhalten, um bei dem Seegang nicht aus dem Bett zu fallen. Wie gut, dass ich die kuschelige Koje neben dem Waschtisch gewählt habe.
Kurz hinter Ljungsbro steigen wir erneut an einer der Schleusen aus und wandern zum Vreta Kloster, das nicht weit vom Götakanal entfernt liegt. Während die Juno weiterfährt zur Schleusentreppe von Berg, schauen wir uns das romantische Kloster mit seinem Kreuzgang und der Kirche an, in der gerade der Bischof aufgeregt von der Gemeinde erwartet wird. Wir wollen nicht lange stören und wandern weiter nach Berg, wo die Juno inzwischen am unteren Ende der Schleusen auf uns wartet. Von hier überqueren wir den See Roxen - diesmal bei ruhigem Seegang - und durchqueren zwischen Norsholm und Mem das letzte Stück des 190 km langen Götakanals. In Söderköping halten wir ein Versprechen ein, das wir einer unserer Wirtinnen auf unserer Tour durch Smaland gegeben hatten: wir probieren die Eiscreme des Eisladens an der Schleuse des Ortes, wo die Juno zum letzten Mal während unserer Reise Frischwasser aufnimmt. Und diese ist tatsächlich so gut, wie sie es uns angekündigt hatte. Echt italienisch halt und „mit echter Milch", versichert uns der Eisdielen-Besitzer. Wer will, kann mit Katharina einen Spaziergang durch den Ort machen. Wir entscheiden uns, das schöne Abendlicht fürs Fotografieren zu nutzen und können die Juno in der Abendsonne aufnehmen. Wenige Kilometer danach verlassen wir den Götakanal und setzen unseren Weg in Richtung Stockholm über den Slätbaken See fort.
Inzwischen haben wir - wie uns der Kapitän stolz erklärt - die verlorene Zeit an der ersten Schleuse bei Lilla Edet wieder aufgeholt und liegen genau im Zeitplan. Darüber freuen wir uns sehr, lässt uns das doch ausreichend Zeit für einen Besuch der Wikingersiedlung in Birka, die vom 8. bis 10. Jahrhundert das wichtigste Handelszentrum der Wikinger in Schweden war. Birka liegt auf einer Insel im Mälaren See westlich von Stockholm. Wir schauen uns die rekonstruierten Wohnhäuser der Wikinger und das Museum an, in dem gezeigt wird, wie die Wikinger in jener Zeit lebten.
Auf unserem Weg nach Stockholm machen wir noch einen Abstecher zum Schloss Drottningholm, dem Wohnsitz der schwedischen Königsfamilie. Das Schloss liegt am Ufer des Mälarsees und die Juno dreht eine Schleife davor. Wer das Schloss besuchen möchte, muss allerdings einen Ausflug von Stockholm aus buchen, denn wir legen nicht hier an.
Ein wenig wehmütig verfolgen wir die Route der Juno durch die letzten Schleusen, die den Mälarsee mit seinem Süßwasser vom Salzwasser der Ostsee trennen. Eine spannende Reise, die uns in vergangene Zeiten zurückversetzt hat, geht ihrem Ende entgegen. Vier genussreiche Tage an Bord und an Land zeigten uns Schweden aus einer außergewöhnlichen Perspektive. Besonders gut hat uns das Reisen mit dem historischen Flussschiff Juno gefallen, das uns einiges an Flexibilität abverlangt hat. War unsere kleine Kabine anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, entwickelte sie sich im Laufe der Reise zu einem Nest, in dem wir uns wohlfühlten. Die anderen Passagiere hatten wir in den vier Tagen immer besser kennengelernt, und der Abschied am Kai von Gamla Stan in Stockholm fiel schwer. Ganz besonders aber hatten wir die gute Betreuung durch die Besatzung der Juno zu schätzen gelernt, die uns die Reise zu einem puren Vergnügen machte und sich hervorragend um unser Wohlergehen bemühte. Eines war uns während unserer Flussreise klar geworden: eine Reise auf dem Götakanal ist keine Reise zu bestimmten Reisezielen, sondern eine Reise, auf der der Weg das Ziel ist - die Durchquerung Schwedens auf dem historischen Wasserweg zwischen Göteborg und Stockholm.
Quelle: eigene Recherchen vor Ort. Wir bedanken uns bei Strömma für die freundliche Einladung zu ihrer Klassischen Kanalreise auf dem Götakanal. Unsere Meinung bleibt unsere eigene.
Text: © Copyright Monika Fuchs, TravelWorldOnline
Fotos: © Copyright Monika Fuchs, TravelWorldOnline