Boban Stojanovic: Ein Gesetz, das mehr Rechte für Menschen aus LGBT-Community einräumt, ist sicherlich sehr willkommen. Damit solch ein Gesetz auch greifen kann, muss ein kulturelles Klima kreiert werden, das dies zulässt. Der Balkan ist immer noch recht arm und seine Demokratie steckt in den Kinderschuhen. Die Leute beschäftigen sich immer noch mit dem Leben der Anderen und diese Tatsache zeigt, weshalb Vorurteile gegenüber Menschen existieren, u.a. auch gegenüber der LGBT-Gemeinschaft. Genau diese Tatsachen spiegeln die Ergebnisse des Referendums in Kroatien wieder: der juristische Rahmen ist gut, dennoch muss noch intensiv am Verständnis der Bevölkerung gearbeitet werden, dass alle dieselben Rechte bekommen. Auch wenn ein Gesetz für Gleichberechtigung in Kroatien nicht verabschiedet wurde, ein großes und wichtiges Thema ist somit auf dem Tisch.
Weshalb ist Homophobie immer noch so dominant in Europa, auch in Frankreich, dem Land von "Liberté, Égalité, Fraternité"? Wie viel Freiheit haben Homosexuelle wirklich?Ich denke, dass die Rechte für LGBT ein neues Druckmittel für einen "Kalten Krieg" zwischen den Staaten ist. Ich glaube nicht, dass Putin homophob ist, aber ich glaube, dass er seine Macht dem Westen damit signalisiert, indem er die Gay-Parade und Rechte für LGBT verbietet. So verhält es sich auch mit der Obrigkeit in Serbien. Es ist sehr schwierig, sich mit LGBT-Personen zu identifizieren. Man kann jemanden verstehen, der einem anderen Glauben nachgeht oder einer anderen Nation angehört. Man kann sich mit Menschen mit Behinderung identifizieren. Aber keiner, der nicht LGBT ist, möchte darüber nachdenken, wie es ist, sexuell "anders" orientiert zu sein. Rechte für LGBT sind die Spitze der Freiheit. Und es ist zwingend erforderlich, sie in Verbindung mit Sex zu bringen. Mit Themen, die man nicht öffentlich diskutieren möchte. Man darf nicht vergessen, dass Europa in dieser Hinsicht immer noch recht konservativ ist.
GQ: Sie leben in Belgrad, der Hauptstadt Serbiens. Bilder der ersten Gay Parade im Jahre 2010, bei der 150 Teilnehmer von Hooligans und Ultranationalisten zum Teil schwer verletzt wurden, sind immer noch präsent. Weshalb haben Sie sich dennoch zum Outing entschlossen?Das war die einzige Möglichkeit. Ich bin von Natur aus ein sehr offener Mensch und liebe es, mich mit Menschen über viele Dinge zu unterhalten. Ich liebe es, darüber zu reden, wenn ich verliebt bin, jemanden liebe, wenn ich in einer Beziehung etwas Schönes erlebe oder eben nicht. Ich liebe es, über all die Dinge zu reden, worüber sich Menschen unterhalten. Hätte ich mich nicht geoutet, müsste ich lügen, mich verstecken - und so ein komplizierteres Leben führen.
Wie waren die ersten Reaktionen seitens der Familie und Freunde?Meine sexuelle Neigung habe ich nie versteckt, ich wußte nur nicht, wie ich sie nennen sollte. Als Teenager wurde der Begriff "Homosexueller" benutzt, der für mich recht medizinisch klang. Ich wußte, dass ich normal war, aber die Umwelt signalisierte mir, dass es etwas Widernatürliches sei und sich um eine Störung handle. Mein erstes richtiges Coming Out hatte ich bei der Schwester meines Onkels. Ich verfasste zwei Tage und zwei Nachte ein Pseudo-Tagebuch, in dem ich niederschrieb: "Ich glaube, ich bin homosexuell." Ich gab es ihr zu Lesen. Sie meinte, das hätte sie schon längst gewußt und dass es für sie OK sei. Als ich allerdings die Gay Pride 2013 organisierte, rief sie mich an, um mir mitzuteilen, dass sie sich meiner schäme: Ich hätte es nicht öffentlich machen dürfen, denn jetzt bekommt sie es auf der Strasse zu spüren.
Hat Ihr Outing auch Auswirkungen auf Ihre engere Familie?Da ich als Aktivist sehr präsent bin, leben meine Eltern in ständiger Angst und sind den Unterdrückungen der Umwelt ausgeliefert. Meine Mutter habe ich seit fast neun Jahren nicht mehr gesehen. Sie kann es nicht akzeptieren, dass ich mich öffentlich geoutet habe und ständig in den Medien zu sehen bin. Sie empfindet es als eine Art Schande.
Wie halten Sie die Repressalien aus? Muss man als Homosexueller Angst haben, in Serbien zu leben?Ich fürchte mich die ganze Zeit. Aber die Angst ist auch ein Teil meines Lebens geworden, so dass ich sie nicht mehr realisiere. Ich gehe nicht aus, wenn wichtige Fußballspiele oder andere große öffentliche Events laufen. Ich passe auf, wer mir entgegen kommt und wechsel die Straßenseite, wenn mir eine Menschengruppe verdächtig vorkommt. Ein Leben unter nicht endender Kontrolle ist sehr repressiv. Die Message lautet: Es ist OK zwischen den eigenen vier Wänden gay zu sein. Und dennoch wurde ich vor kurzem zweimal in meiner eigenen Wohnung von einer nationalistischen Gruppe angegriffen. Sie beschmutzten die Wände mit Graffiti und warfen ein Molotov-Cocktail an mein Schlafzimmer-Fenster, in der Hoffnung, mich aus meiner Wohnung zu treiben, um mich zusammenschlagen zu können.