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Interview

"Zeit ist eine der wichtigsten Zutaten"

Die Zeit | 16.01.2014  Wahre Freundschaft: Ein französischer Bäckermeister bringt seinen deutschen Kollegen bei, wie man Baguette backt Was ist das Geheimnis eines französischen Baguettes? Der französische Bäckermeister Philippe Hermenier (42) lehrt das deutsche Bäckerkollegen am Nationalen Institut für Boulangerie-Pâtisserie in Rouen (Normandie).

DIE ZEIT: Herr Hermenier, kriegen Sie denn keinen Ärger, weil Sie den Deutschen kulinarische Landesgeheimnisse verraten?

Philippe Hermenier: Nein, nein, das ist kein Problem. Wir geben unser Savoir-faire gerne an unsere Nachbarn weiter. Es interessieren sich übrigens nicht nur die Deutschen für unsere Backkultur. Auch Japaner kommen zu mir, etwa weil sie zu Hause französische Spezialitäten anbieten wollen. Kleine Geheimnisse wird es in unseren Backstuben weiterhin geben: Manch ein Dorfbäcker würde keinesfalls sein Brioche-Rezept preisgeben.

ZEIT: Was ist denn das Geheimnis eines guten französischen Baguettes?

Hermenier: Für ein französisches Baguette de tradition brauchen Sie ein Mehl von sehr hoher Qualität. Der Müller spielt also eine bedeutende Rolle. Das ist entscheidend für die Farbe, Porung, Elastizität des Baguettes. Als nächstes sind der Bäcker und seine Arbeitsweise gefragt. Er muss wissen, wie viel Salz, Wasser und Hefe er hinzufügt. Wie er den Teig kneten muss.

ZEIT: Was ist beim Kneten so wichtig?

Hermenier: Dass man langsam und nicht zu viel knetet. Zeit ist eine der wichtigsten Zutaten für ein Baguette. Der Teig braucht immer wieder Ruhephasen, damit sich die Aromen entwickeln können. Wir haben viel Erfahrung, was die Fermentierung angeht. Das Baguette sollte eine luftige, gelbliche Krume mit Löchern und eine goldfarbene, kräftige Kruste haben. Am Schluss schneidet der Bäcker mit einer Rasierklinge die Teiglinge ein – wir nennen das die persönliche Unterschrift des Bäckers.

ZEIT: Viele Deutsche fragen sich: Warum kriegen wir als Brotnation selten gutes Baguette hin?

Hermenier: Die Qualität bei Ihnen ist gut, aber eben anders. Es gibt große Unterschiede in der Art, wie deutsche und französische Bäcker arbeiten. Teilweise verwenden wir verschiedene Öfen. Die deutschen Bäckereien sind oft größer und haben mehr Maschinen im Einsatz. Ein deutsches Baguette wird also schneller hergestellt als ein französisches. Wenn wir in Frankreich ein gutes Baguette de tradition backen wollen, brauchen wir dazu bis zu zehn Stunden. Die viele Handarbeit hat natürlich auch Nachteile: Wir brauchen mehr Personal.

ZEIT: Worüber staunen Ihre deutschen Kollegen am meisten in Ihren Kursen?

Hermenier: Über die verschiedenen Mehlsorten, mit denen wir arbeiten, während in Deutschland oft nur eine Mehlsorte verwendet wird. Dass wir dem Teig mehr Wasser zugeben als sie. Und sie wollen viel wissen darüber, wie wir die natürlichen Hefen einsetzen. Das können wir gut. Da steckt lange Erfahrung dahinter, die wir bereits den jungen Bäckern weitergeben. Ich selbst habe mit 15 das Bäckerhandwerk angefangen.

ZEIT: In beiden Ländern gibt es häufiger Brot-Discounter und Industrieware. Macht Ihnen das Sorgen?

Hermenier: Ein Großteil der Franzosen legt noch Wert auf ein gutes Baguette vom Bäcker nebenan. Aber tatsächlich kaufen viele aus Bequemlichkeit inzwischen industriell hergestelltes Baguette. Ich finde es schade, wenn Kinder die handwerklich hergestellten Brotsorten und deren guten Geschmack gar nicht mehr kennen.