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Die Metallfresser

Rheinpfalz am Sonntag | 25.09.2016
An der Wand stehen Plastikboxen voller getrockneter Blätter oder Pulvertütchen. Beschriftet sind die Behälter mit Pflanzen- und Ländernamen wie Neukaledonien, Gabun, China, Kreta. Aufgeklebte Fotos von den Blüten lassen erahnen, wie schön diese Pflanzen vor Ort aussahen, bevor sie getrocknet ihre weite Reise zu Claude Grison angetreten haben.

Die französische Chemikerin steht im weißen Kittel in ihrem Labor im Norden von Montpellier. Sie nimmt einige der getrockneten Blätter in die Hand und schwärmt von ihnen. „Diese Pflanzen sind wirklich außergewöhnlich“, sagt die 56-Jährige. Denn sie sind hart im Nehmen

Sie wuchsen an Stellen in der ganzen Welt, wo man dachte, dass dort nie mehr etwas sprießen würde. Auf belasteten Bergbauhalden, alten Industriebrachen, in verseuchten Gruben. Dort, wo die Böden mit Schwermetallen belastet und vergiftet sind. Wenn Grison diese Pflanzen bei ihren lateinischen Namen nennt, klingt das fast so, als würde sie einen Zauberspruch aufsagen: „Grevillea exul exul“ oder „Sedum plumbizincicola“ etwa.

Seit zehn Jahren ist Grison Professorin an der Universität Montpellier II und Forscherin der renommierten Forschungsorganisation CNRS. Sie erzählt, dass manche dieser Pflanzen auf Böden voller giftigem Blei, Zink, Cadmium, Nickel oder Mangan ihre Wurzeln ausstrecken. Dass sie sogar helfen können, diese Problemböden zu sanieren. Die Wurzeln leiten enorme Mengen dieser toxischen Stoffe in die Stile bis in die Blätter, die zu richtigen Metallspeichern werden. Diesen Vorgang nennt man Phytoextraktion. „Das ist ihre Überlebensstrategie“, sagt Grison.

So hat der britische Forscher Alan Baker bereits vor Jahrzehnten erkannt, dass manche Pflanzen deswegen sogar zur Erzgewinnung eingesetzt werden könnten. Er nannte das Phytomining. Grison und ihr zehnköpfiges Team begeisterte sich dafür und startete Sanierungsversuche in den Cevennen. Auf einem stillgelegten verseuchten Zink-Minengelände in Saint-Laurent-le-Minier im Département Gard ist die Belastung des Bodens mit Blei, Cadmium und Zink bis zu 800 höher als EU-Normen erlauben. Wind und Regen tragen giftige Stäube in die Umwelt - bei Kindern in der Anwohnerschaft wurden bereits Bleivergiftungen festgestellt. Direkt am Rande der Mine wuchsen Wundklee und Hellerkraut - trotz der extremen Lebensbedingungen. Tausende von diesen pflanzlichen Metallfressern - Metallophyten genannt - setzten Grisons Mitarbeiter im Laufe von sechs Jahren auf das belastete Gelände. Nach einem Jahr waren die Pflanzen vollgesogen und man musste sie ernten, entsorgen, neue pflanzen. Bis dort das Erdreich aber saniert wäre würde mindestens ein halbes Jahrhundert vergehen.

Solche Pflanzen, die besonders viele Schwermetalle aufnehmen, nennt man Hyperakkumulatoren. Es gibt Hunderte davon, viele von ihnen sind eher klein, krautig, wachsen langsam und haben ein kleines Wurzelsystem. Wegen der geringen Biomasse sind sie als Bio-Metallstaubsauger eher uninteressant – es kann mehrere Jahrhunderte dauern, bis die Böden saniert sind. Und es gibt eine große Gefahr: Ihre Wurzeln können Verbindungen ausscheiden, welche die Schwermetalle in eine lösliche Form bringen. Wenn das Wurzelwerk dann die Aufnahme nicht schafft, werden die Schwermetalle ausgewaschen und können ins Grundwasser gelangen.

Anders sieht es bei Bäumen mit tiefen Wurzelwerk und größeren Blättern aus. Heinz Rennenberg vom Institut für Forstwissenschaften der Universität Freiburg hat zum Beispiel Versuche gemacht mit Pappeln. Die können Cadmium, Zink und Kupfer speichern. Rennenberg und Kollegen machten Sanierungsprojekte im früheren Kupferschiefer-Bergbaugebiet Mansfelder Land in Sachsen-Anhalt sowie in der Nähe von Katharinenburg in Russland. Dort befindet sich eine große Waffenindustrie, seit Jahrhunderten wird dort Metallerz wie Kupfer abgebaut, die Böden sind deswegen mit Schwermetallen verseucht. Der Professor für Baumphysiologie pflanzte dort nicht nur normale Pappeln, sondern auch eine genetisch veränderte Spezies, die das Zwei- bis Fünffache der Schwermetalle aufnehmen kann.

„Zirka alle fünf bis sechs Jahre müssen die Pappeln 20 Zentimeter über dem Boden abgeschnitten werden, dann treiben sie wieder aus“, sagt der Professor für Baumphysiologie. Die abgeschnittene Biomasse mit den Schwermetallen kann in einer Müllverbrennungsanlage zur Energiegewinnung verbrannt werden, die Asche kommt in den Sondermüll. In frühestens 50 Jahren könne man den ehemals verseuchten Boden wieder für andere Zwecke nutzen, sagt Rennenberg.

Dass die kontaminierten Pflanzen bisher als Sondermüll betrachtet wurden, störte Claude Grison. Kaum jemand in Frankreich hatte deshalb Interesse an dieser nachhaltigen Art der Bodensanierung. Das brachte kein Geld, nur Kosten.

Deswegen suchte die Wissenschaftlerin verstärkt nach ihrem wirtschaftlichen Wert. Sie trocknete sie, machte im Labor Pulver daraus, in dem diese Schwermetalle weiterhin vorkamen.  Dieses Pulver kann man als einen pflanzlichen Katalysator verwenden, der chemische Reaktionen beschleunigt. Inzwischen hat sie fast 30 Patente angemeldet: Die Katalysatoren können zum Beispiel das teure Palladium bei der Herstellung von Arzneimitteln ersetzen. Verwenden kann man Grisons Öko-Katalysatoren auch bei der Herstellung von Kosmetik. Sie führten sogar zu schnelleren und wirksameren Reaktionen als zahlreiche bisher genutzte chemische Katalysatoren, sagt sie. In Zeiten, in denen manche Metalle knapp oder wie Palladium etwa sehr teuer werden, klingt diese Bio-Recycling-Nachricht aus Grisons Labor für manche Unternehmen tatsächlich wie schöne Zukunftszauberei.

Claude Grison ist sehr gefragt. Sie fährt nach Brasilien, wo im vergangenen November zwei Dämme eines Rückhaltebeckens eines Eisenerzbergwerks brachen und ein Dorf von einer giftigen Schlammlawine begraben wurde. Sie forscht auf Kreta, wo von Natur aus nickelhaltige Böden das Wachstum der Olivenbäume behindern. Im afrikanischen Gabun soll mit Hilfe von Pflanzen ein manganhaltiger Katalysator hergestellt werden, mit dem man vor Ort ein Medikament gegen Malaria produzieren will.

Ein bis zweimal im Jahr fliegt sie nach Neu-Kaledonien. Das Land ist der zweitgrößte Nickelproduzent weltweit, die Böden sind von Natur aus mit Zink und Mangan angereichert. Grisons Team arbeitet dort auf Bergbau-Halden mit bis zu acht Meter hohen Grevillen-Arten, der tropischen Silbereiche. Minenarbeiter zerstören die Vegetation, die Erosion durch Wind und Regen ist enorm. Einige der Bergwerksfirmen unterstützen inzwischen ihre Arbeit auf einer Fläche von sechs Hektar. Dabei geht es vor allem darum, dass die Böden nach dem Abbau vor Erosion dauerhaft geschützt werden und die Artenvielfalt erhalten bleibt. Gleichzeitig ist man dort dabei, auch die mangan- oder nickelhaltigen Blätter dieser Bäume aufzubereiten für eine neue Verwendung in der chemischen Industrie.

Laut EU-Kommission haben 16 Prozent der Landoberfläche der heutigen EU eine Bodensanierung nötig. „Die Phytoextraktion wird bei der Entfernung von Schwermetallen oder auch Pestiziden aus Böden eine zunehmende Bedeutung gewinnen,“ sagt Heinz Rennenberg. Sie dauere zwar lange, sei aber kostengünstig. Gerade viele ärmere Staaten, die sich eine aufwändige chemisch-technische Sanierung gar nicht leisten können, sehen darin eine Chance. So gebe es etwa in China gebe es ein großes Interesse an Pflanzen, die Rennenberg und Kollegen genetisch verändert haben, so dass diese mehr Schwermetalle aufnehmen. Die Chinesen wollen sie in den zerstörte Bergwerkslandschaften großflächig einsetzen.

Doch nicht nur Böden können so gereinigt werden: auch verschmutztes Wasser. Grison forscht derzeit mit Wasserpflanzen in Steinbrüchen in der Bretagne und in der Normandie. Durch Erosion und Regenfälle haben sich Tümpel gebildet, in denen das Wasser schwefelsäurehaltig ist. Die Forscher säubern diese Gewässer mit Hilfe von Wasserpflanzen – „das geht weitaus schneller als bei Böden“, sagt Grison. Sie verwendet dort mehrere Wasserpflanzen gleichzeitig, die bekannteste ist die Eichhornia crassipes, die dickstielige Wasserhyazinthe.

Was dort im Freien passiert, könnte auch für Chemie-Unternehmen interessant sein. „Auch industrielle schwermetallhaltige Abwasser kann man mit solchen Pflanzen in wenigen Tagen reinigen und die Blätter danach nutzen“, sagt Grison – etwa wenn die Abwässer Palladium enthalten. Die Palladium-Katalysatoren, die in Grisons Labor danach aus den Blättern entstehen, seien noch leistungsfähiger als bisherige chemische Katalysatoren, sagt sie. Noch finden sie keinen industriellen Einsatz. Doch Chemiekonzerne sind bereits hellhörig, bei Bayer hat sie ihre Forschungen bereits vorgestellt.

Gleichzeitig sieht die mehrfach ausgezeichnete Spitzenforscherin auch die Gefahren. Finanzspekulanten könnten bei diesen das große Geld wittern und Umweltschutzauflagen missachten. Es bestünde die Gefahr, dass gebietsfremde Pflanzen genutzt würden, ohne mögliche Folgen zu beachten. So habe ein Investor in den USA eine Pflanze aus der Türkei eingeführt, nach mehreren Jahren das Projekt aufgegeben. Die Pflanze ist stark invasiv, das heißt, sie verbreitet sich sehr schnell und ist in ökologischer Hinsicht bedenklich. Inzwischen müssen sie dort bekämpft werden.

Was ihre Öko-Katalysatoren angeht, sprechen manche bereits von einer Revolution in der Chemie. Grison beschwichtigt. Aber sie hoffe, dass große Unternehmen in diese grüne Chemie einsteigen. „Ich will zwischen der Chemie und der Ökologie Brücken bauen.“