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Interview

"Das wertvollste Geschenk der Natur"

Badische Zeitung  | 11.02.2016

Interview mit der französischen Starpianistin Hélène Grimaud

 

Quallen in kleinen Aquarien rechts und links ihres Flügels, draußen eine Wassertreppe: In der Pariser Fondation Louis Vuitton hat die französische Starpianistin Hélène Grimaud ihr neues Album „Water“ präsentiert. Michael Neubauer sprach mit ihr über ihr den Wirbel um ihre Person, den Anfang ihrer Karriere und über ihre Beziehung zu Freiburg.

 

BZ: Ihre Agentur betont, Sie seien ein Weltstar, der bodenständig geblieben ist. Ist das bei so einer Karriere überhaupt möglich?

 

Grimaud: Ja. Die Musik ist etwas, was mich bescheiden und ehrfürchtig bleiben lässt. Sie ist immer viel größer als der Interpret. Jedes Konzert, jede Probe lehrt mich etwas, weist mich in meine Schranken.

 

BZ: Sie spielen 100 Konzerte im Jahr. Mit Ihrem neuen Album geht der Trubel um Ihre Person wieder los. Macht Sie das verrückt, nervös, ängstlich?

 

Grimaud: Nicht verrückt und nervös, aber ich bin manchmal ängstlich, bevor das alles beginnt. Da frage ich mich: Wie schaffe ich das? Wenn ich dann aber im Flow bin, bin ich froh, dass ich dieses Privileg habe, das alles machen und mit den Menschen teilen zu können.

 

BZ: Sie haben ein Wolfszentrum gegründet, wo Wölfe gezüchtet werden und Sie sich für den Schutz der Tiere einsetzen. Helfen Ihnen die Tiere, Abstand vom Musikbetrieb zu bekommen?

 

Grimaud: Auf jeden Fall. Zwischen den Tourneen, wenn ich nach New York zurückkehre, besuche ich sie. Wenn ich bei ihnen bin, fordern sie meine ganze Aufmerksamkeit und Ehrlichkeit. Die Wölfe sind deswegen auch eine Lehre für meine künstlerische Arbeit: Wenn ich mich mit einem Musikstück beschäftige, muss das hundertprozentig sein: physisch, emotional, intellektuell, spirituell. Ist das nicht der Fall, muss man gar nicht erst anfangen.

 

BZ: Sie hatten vor einigen Jahren einen Bauchhöhlentumor. Hat die Krankheit Sie  verändert?

 

Grimaud. Ich hatte Glück, er konnte operativ leicht entfernt werden. Am Anfang war ich so erschöpft, da rückte die Musik total in den Hintergrund. Auch da hat mir der Kontakt mit den Wölfen geholfen. Ich empfand die Krankheit als Warnung: Ich merkte, dass ich auf mich achten muss. Seither plane ich mehr Rückzugszeiten ein, hetze nicht mehr von Festival zu Festival.

 

BZ: Es war eine Entscheidung Ihrer Eltern, die letztlich zu Ihrer Karriere geführt hat. Gibt es Momente, in denen Sie sich einen ganz anderen Beruf wünschen?

 

Grimaud: Nein, nie. Bei meiner Arbeit kann ich etwas tun, was ich liebe. Damals hatten sich meine Eltern den Kopf zerbrochen, weil sie für mich etwas suchten, was außerhalb der Schule meinen enormen Überfluss an Energie kanalisieren konnte. Ich war hyperaktiv und besessen, fixierte mich auf Dinge, die ich dann nicht mehr loslassen wollte – ich war wie ein Pitbull. Was ich da brauchte, war eine Aufgabe, die mich intellektuell und emotional in seinen Bann zog. Niemand in meiner Familie war Musiker, aber glücklicherweise kamen meine Eltern auf die Idee, mich mit sieben Jahren in den  Musikunterricht für kleine Kinder zu stecken. Da entdeckte ich dann das Piano.

 

BZ: Ihr neues Album widmet sich dem Thema Wasser. Warum?

 

Grimaud: Wasser ist das wertvollste Geschenke der Natur, ein lebenswichtiges Element, eine Quelle der Inspiration für viele Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts. Die suggestive Kraft dieses Naturelements und die Fülle an musikalischen Werken haben mich fasziniert.  

 

BZ: Im 21. Jahrhundert kommen einem bei dem Thema vor allem die Verschmutzung und Knappheit von Wasser in den Sinn.

 

Grimaud: Das stimmt. Das Problem, die Menschen mit Trinkwasser zu versorgen, ist eine der größten Bedrohungen. Es ist gut, wenn man beim Hören der Musik daran denkt, bevor man die künstlerische Seite betrachtet. Dieses Album ist auch eine künstlerische Einladung, sich der Gefährdung unserer Umwelt bewusst zu werden.

 

BZ: Die Umweltzerstörung war für die Komponisten damals noch kein Thema. Aber in welchen Wasser-Interpretationen sehen Sie Bedrohliches?

 

Grimaud: Viele Komponisten konzentrierten sich natürlich stark auf den spielerischen, atmosphärischen Aspekt des Wassers. Ihnen ging es um die Hommage an die künstlerische Muse Natur.  Wasser hat aber nicht nur einen lieblichen Aspekt. Beim „Wasserklavier“ von Berio etwa gibt es eine Art Nostalgie und Traurigkeit. Man spürt die Unbeständigkeit der menschlichen Existenz wie sie ja auch vom Element Wasser symbolisiert wird. Oder denken Sie an die Schwere in Debussys „La Cathédrale engloutie“, der im Meer versunkenen Kathedrale. Das gibt es also keineswegs nur das Energetische, Spielerische, Tänzerische, sondern auch die potenziell zerstörerische Seite in der Präsenz wie auch in der Abwesenheit von Wasser.

 

BZ: Der britische Komponist, Remixer und DJ Nitin Sawhney verbindet die neun klassischen und zeitgenössischen Werke mit kurzen Überleitungen, mit elektronischer Musik. Wie kamen Sie auf dieses experimentelle Wagnis?

 

Grimaud: So etwas hatte ich schon sehr lange im Sinn. Ich schätze sehr, was Nitin macht. Er eröffnet mir mit seiner Arbeit neue Klanghorizonte. Und ich wollte gerne einen Komponisten des 21. Jahrhunderts auf dem Album haben.

 

BZ: Mögen Sie eigentlich Pop-Musik?

 

Grimaud: Ja, aber nicht alles von einer Band, oft nur einzelne Songs. Ich höre gern Radiohead oder The Clash, aber auch Weltmusik.

 

BZ: Sie sind Synästhetikerin, sehen bei Tönen Farben. Gibt es eine dominierende Farbe bei Ihrem Wasser-Album?

 

Grimaud: Silber. Aber bei mir bestimmt vielmehr die Tonalität die Farbe, die ich sehe. Ob es Bach, Beethoven oder Brahms ist: Ist das Stück in d-Moll, ist es in dunkelblau. C-Moll ist immer schwarz, C-Dur weiß, G-Dur grün. F immer Rot, B gelb. Das erinnert an die Idee der Affektenlehre im Barock, wo jede Tonalität ihre eigene emotionale Identität hatte. In meinem Fall scheint das ähnlich zu funktionieren. Die Farbe, die ich sehe, wechselt mit jedem Tonartwechsel. Aber die dominante Farbe bleibt die der Tonart, in der das Stück geschrieben wurde.

 

BZ: Stimmt es, dass Sie eine besondere Verbindung zu Freiburg haben?

 

Grimaud: Mein Partner ist dort geboren, seine Mutter lebt dort und wir besuchen sie hin und wieder. Ich halte Freiburg für eine der schönsten Städte und spiele gern dort. Die hohe Lebensqualität, die Nähe zur Natur, die studentische Atomsphäre und das ökologische Bewusstsein der Leute, all das gefällt mir sehr.

 

 

ZUR PERSON

Die französische Starpianistin Hélène Grimaud (Jahrgang 1969) ist in Aix-en-Provence geboren. Sie lebte zeitweise in Berlin und in der Schweiz, heute in New York. Mit 12 Jahren wurde sie am Pariser Konservatorium aufgenommen. Mit 18 Jahren musizierte sie unter Daniel Barenboim. Als sie mit 20 Jahren in Florida einer domestizierten Wölfin begegnet, ist sie so ergriffen von dem Erlebnis, dass sie später ein Wolf Conservatorium Center im Bundesstaat New York gründet. Diese Stiftung setzt sich mit ihrer Hilfe für Zucht und Schutz der Tiere ein. Grimaud ist mit dem deutschen Fotografen Mat Hennek liiert. Sie hat auch drei Bücher geschrieben, darunter die Autobiographie „Wolfssonate“. Auf ihrem Album „Water“ (Deutsche Grammophon/Universal) spielt sie Werke von Berio, Takemitsu, Fauré, Ravel, Albéniz, Liszt, Janáček und Debussy.