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Feature

Ein Planet für sich

Badische Zeitung | 05.12.2015   


Die Teilnehmer der Klimakonferenz bewegen sich in einer abgeschirmten Welt am Rande von Paris – aber mit Champs-Élysées und einem kleinen Eiffelturm

In Halle 4 ist wieder Ausbuh-Zeit. Doch Dan Illic ist das Buhen der Leute nicht laut genug. "Soll das alles sein?", ruft der australische Komödiant im schwarzen Frack mit weißem Skelettaufdruck. "Buuuhhhhhh!", hallt es laut zurück aus der Menschentraube, die vor der kleinen Bühne steht. Jeden Abend wird hier der "Fossil-Preis des Tages" vergeben – für einen Staat oder eine Organisation mit einer rückständigen Klimapolitik.

Auf dem Bühnenvorhang hängt das Bild eines Feuer speienden Dinos – eine Anspielung auf Jurassic Park. "Wer ist schlecht, wer ist schlechter?", singt Illic. Dann wird der Preisträger benannt: "Dänemark!" Die neue Regierung will ihre Klimaanstrengungen und Finanzzusagen stark herunterfahren. Als Preis gibt es dafür einen Pokal voller Plastikdinofiguren.

Klimagipfel kann auch lustig sein. Die Show, ausgeheckt von den Nichtregierungsaktionen (NGO), hat schon Tradition. "Solche medienwirksame Aktionen sind jetzt wichtiger geworden", sagt Adam Pawloff von Greenpeace. Wegen des Ausnahmezustands nach den Terroranschlägen in Paris sind Demonstrationen verboten. Natürlich sei Greenpeace enttäuscht darüber, "aber wir respektieren die Entscheidung und wollen unsere Aktivisten nicht gefährden".

Die humorvolle Show in Halle 4 ist eine willkommene Abwechslung auf dem Gipfelgelände der Weltklimakonferenz auf dem Messegelände, wo es sonst ernst, konzentriert, arbeitsam und teils streng geheim zugeht. Die 195 Delegationen, die zig Verhandler, Politiker, Beobachter, Jungaktivisten, die mehr oder minder den Planeten retten sollen, leben hier selbst auf einem eigenen Planeten. Denn das Gipfelgelände liegt zehn Kilometer nördlich der französischen Hauptstadt in dem 15 000 Einwohner zählenden Städtchen Le Bourget – bekannt vor allem für seine alle zwei Jahre stattfinde Luftfahrtschau.

In dem Wirrwarr von aus Pressholzplatten gezimmerten Verhandlungsräumen und Pavillons ist die Masse an Veranstaltungen unüberschaubar. Bildschirme in den Gängen listen Pressekonferenzen und Sitzungen auf. Immer wieder braust irgendwo ein Applaus bei einem Side-Event auf. Viele Teilnehmer machen beim indischen Pavillon ein Foto von der Wasserwand, die Klimabotschaften schreiben kann. Oder stürzen sich im indonesischen aufs Gratisbüfett.

Auf dem Gelände hat die UNO das Sagen – deswegen stehen in den Gängen ihre Sicherheitsleute aus New York, Genf oder Nairobi, gut erkennbar an ihren hellblauen Uniformen. Sie beobachten interessiert, wenn junge Aktivisten einen Flashmob machen und sich auf dem Boden tot stellen, um vor den Folgen der Erderwärmung zu warnen.

Einer der Gipfelplaneten-Bewohner ist Hudson Ata Kanhiona. Der Mann versinkt in Halle 6 in einer Sitzecke und hat seinen Rechner vor sich auf seinen Beinen liegen. Halle 6 ist die Halle des großen Feilschens. Vor allem hier wird gerungen um jedes Wort und Komma in dem Klimavertrag, der die Erderwärmung auf maximal plus zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit bremsen soll. Einige der Sitzungsräume sind sogar abhörsicher.

Kanhiona gähnt. 24 Flugstunden hat er gebraucht, um nach Paris zu kommen. Denn er vertritt in den Verhandlungen die Salomonen, eine Inselgruppe im Südpazifik. Er tippt in seinen Rechner den täglichen Bericht über den Verhandlungsfortschritt an seine Regierung. "Es geht sehr zäh voran", sagt er. Die Salomonen würden wegen des Klimawandels zum Teil im Meer versinken. "Wir wollen, dass im Vertrag von einer Erderwärmung von höchstens 1,5 statt zwei Grad die Rede ist", sagt er.

"Wir arme Länder suchen finanzielle oder technische Unterstützung von den Industriestaaten, um uns gegen die Auswirkungen des Klimawandels stärker wappnen zu können." Auch davon hänge es ab, ob Paris ein Erfolg wird.

Kanhiona lebt die beiden Wochen vor allem in Le Bourget – im Hotel und beim Gipfel. Vielleicht schaffe er es mal am Sonntag, sich den Eiffelturm anzuschauen. "Aber der steht ja auch hier", sagt er.

Tatsächlich: Die wichtige Achse auf dem Gipfelgelände heißt Avenue des Champs-Élysées. An deren Ende steht ein kleiner Eiffelturm, erbaut aus Metallstühlen. Abends glitzert er wie der echte. Paris-Feeling überall: "La Seine" heißt einer der Plenarsäle, die Bistros tragen Namen von Pariser Plätzen. Im Restaurant L’Etoile gibt es "lokale, vegetarische, saisonale französische Produkte": Kürbissuppe, Seebarsch, Schnecken. Die Gipfelcharta will, dass der Klimakonferenz-Planet ein Aushängeschild für nachhaltige, klimaneutrale Entwicklung ist. Klar, dass überall Mülltrennungsboxen stehen. Doch viele Teilnehmer haben einige Probleme mit dem Sortieren.

Und offenbar auch mit zu wenig Schlaf. Schon morgens um 9 Uhr liegen im Meditationsraum mehrere Leute auf den Sofas und machen ein Nickerchen, während im Saal nebenan bereits Umweltministerin Ségolène Royal über Elektroautos und das Transportwesen als Kohlendioxid-Sünder spricht und Industrielobbyisten ihrer Kritik lauschen. Immerhin zuckeln Elektromobile auf dem Konferenzgelände herum. Zum Beispiel bringen sie die Besucher an den Rand des Flughafen- und Messegeländes, vorbei an alten Kampfjets und Raketen eines Luftfahrtmuseums, in die Halle für Unternehmen. Windradhersteller und Passivhaus-Experten werben hier für sich – aber gleich daneben auch die Nuklearindustrie.

Auf dem Stand des japanischen Honda-Konzerns sitzt eine Besucherin auf einem schmalen Elektro-Fahr-Hocker. Wenn sie sich mit ihrem Oberkörper bewegt, fährt das Ding langsam in die jeweilige Richtung. Sechs Kilometer pro Stunde ist dieser Bürostuhl schnell. Aber braucht eine klimafreundliche Welt wirklich so ein Gerät? "Zahnärzte zum Beispiel könnten das in ihrer Praxis nutzen", sagt eine Mitarbeiterin. Zur Energieeinsparung?

Auf den falschen Champs-Élysées riecht es derweil nach Raclette. Ein "Chalet" verbreitet ein bisschen Vorweihnachtsstimmung. Der Freiburger Stephan Hoch trinkt hier nach einem stressigen Arbeitstag mit einem Kollegen noch einen Glühwein.

Hoch ist Klima-Politikberater, hat an der Universität Freiburg promoviert; an der Weltklimakonferenz nimmt er als Beobachter teil. "Die Verhandler sind angespannter als bei früheren Gipfeln", sagt er. Seine Gipfelprognose? Viele würden an ein Abkommen glauben. Aber der ambitionierte Zeitplan der Franzosen könne kaum eingehalten werden. Und wenn die Zeit bis nächsten Freitag doch nicht reicht? Schon viele ahnen: Dann geht der ganze Konferenz-Planet eben in die Verlängerung.