International Seit sechs Monaten tobt in Libyen ein Bürgerkrieg. Nun will Deutschland mit einer Konferenz Frieden stiften.
Er
hatte wohl mit einem schnellen Sieg gerechnet, aber da hat er sich
schwer verkalkuliert. Sechs Monate sind vergangen, seitdem der libysche
General Khalifa Hafter, Kommandant der sogenannten Libyschen Nationalen
Armee (LNA), am 4. April zum Sturm auf die Hauptstadt Tripolis blies.
Doch die Kämpfer der international anerkannten Einheitsregierung, die in
Tripolis ihre Machtbasis hat, brachten den Vorstoß in den südlichen
Randbezirken der Hauptstadt rasch ins Stocken.
Es
folgten erbitterte Kämpfe um die politische Vorherrschaft in dem Land,
das seit dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi im Jahre 2011 im
Zerfall liegt – ein Stellungskrieg begleitet von gegenseitigen
Luftangriffen. Ende Juni gelang es den mit der libyschen
Einheitsregierung verbündeten Milizen schließlich die strategisch
wichtige Stadt Gharyan zurückzuerobern, die rund 90 Kilometer südlich
von Tripolis liegt. Der Vormarsch auf die Hauptstadt ist damit vorerst
gestoppt, doch ein Ende der Kämpfe ist bis heute nicht in Sicht.
Das
könnte sich ändern: Vergangenen Monat kündigte der deutsche Botschafter
in Libyen, Oliver Oczwa, unvermittelt auf Twitter an, Deutschland wolle
im Herbst eine internationale Libyen-Konferenz ausrichten, um eine
friedliche Lösung des Konflikts anzustoßen.
Anlass
für eine neue diplomatische Initiative gibt es genug: Verlässliche
Zahlen gibt es keine, doch nach UN- Angaben dürften seit dem 4. April
mehr als tausend Kämpfer gestorben sein. Dazu kommen mehr als 100
getötete Zivilist*innen und rund 12 8 .000 Vertriebene. Die unabhängige
Monitoring-Gruppe „Airwars“ geht sogar davon aus, dass zwischen 210 und
297 Zivilist*innen getötet wurden. Menschenrechtsorganisationen werfen
beiden Seiten schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und
Kriegsverbrechen vor.
Ob Wohnhäuser,
medizinische Infrastruktur oder der einzig verbliebene Flughafen der
Hauptstadt, immer wieder kommen zivile Objekte unter Beschuss. Selbst
wer von solchen Angriffen verschont bleibt, muss mit Stromausfällen,
Störungen bei der Wasserversorgung, steigenden Lebenshaltungskosten und
dem Terror oft nächtlicher Bombardements leben. Kein Wunder, dass nach
UN-Angaben bereits zehntausende Menschen ins benachbarte Tunesien
geflohen sind.
Auch für Geflüchtete und
Migrant*innen birgt der Konflikt große Gefahren. Seit dem Sturz
al-Gaddafis ist das Land für Zehntausende zum zentralen Ausgangspunkt
für die lebensgefährliche Überfahrt nach Europa geworden. Mehr als 3.500
von ihnen verharren nach aktuellen Angaben des UNFlüchtlingswerks
(UNHCR) noch immer in den von der libyschen Einheitsregierung
betriebenen Internierungslagern, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen
willkürlich inhaftiert werden, unter Gefahr von Misshandlung,
Vergewaltigung und Folter. Sicher waren Geflüchtete und Migrant*innen in
Libyen noch nie, doch seit Ausbrechen der Kämpfe geraten sie zudem
immer wieder ins Fadenkreuz.
So zum Beispiel in
der Nacht auf den 3. Juli, als ein Luftschlag auf das Geflüchtetenlager
Tajoura, im Osten Tripolis, 53 Menschen in den Tod riss und 130 weitere
verletzte. Dabei geschah die Tragödie quasi mit Vorankündigung: Schon
in der Nacht vom 7. Mai zerstörte ein Luftangriff ein Militärfahrzeug,
das auf dem Gebäudekomplex geparkt war. Ein aufgewirbeltes Metallteil
durchbrach das Dach einer Halle, in der Frauen und Kinder untergebracht
waren, und verfehlte ein Baby nur knapp.
Längst kein lokaler Konflikt mehr
Die
Ereignisse von Tajoura liefern noch mehr Hinweise für die derzeitige
Situation in Libyen. "Nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation
Amnesty International dürfte eine emiratische Drohne aus chinesischer
Produktion für den Angriff am 7. Mai verantwortlich gewesen sein. Auch
für den Luftschlag vom 3. Juli machte die libysche Einheitsregierung
einen emiratischen Kampfjet verantwortlich. Das macht deutlich: Ein
lokaler Konflikt ist das schon lange nicht mehr, Libyen ist zum
Schauplatz eines Stellvertreterkrieges geworden.
Russland,
Saudi-Arabien, Katar, Ägypten, die Türkei und Frankreich: Sie alle sind
im ölreichen Libyen aktiv – und fachen den Konflikt damit weiter an.
Die Türkei beliefert die libysche Einheitsregierung mit Drohnen,
Kampffahrzeugen und Waffen, auch Katar unterstützt die international
anerkannte Regierung unter Vorsitz von Premierminister Fayiz
as-Sarradsch. Dessen Rivale Hafter, der den Osten des Landes beherrscht
und Anfang des Jahres auch den Süden unter seine Kontrolle brachte,
genießt wiederum die Unterstützung von Saudi-Arabien, den Vereinigten
Arabischen Emiraten, Ägypten, Russland und offenbar auch Frankreich.
Saudi-Arabien
sendet Geld, die Emirate liefern chinesische Drohnen, und nach
Berichten der Nachrichtenagentur Bloomberg kämpfen seit September sogar
mehr als 100 russische Söldner der privaten Sicherheitsfirma
»Wagner-Gruppe« in den Reihen der LNA. Auch emiratische und türkische
Kräfte sind offenbar aktiv an Kampfhandlungen beteiligt.
Beobachter*innen gehen davon aus, dass sie in Libyen eingesetzten
Drohnen selbst steuern.
Dass Frankreich Hafter
nahesteht zeigte sich 2016, als bekannt wurde, dass französische
Sondereinsatzkräfte dessen Truppen bei ihrer Offensive gegen
islamistische Rebellen im ostlibyschen Benghazi berieten. Doch auch in
jüngerer Vergangenheit wurde deutlich, dass Paris den libyschen Warlord
unterstützt. Als die Hauptstadtmilizen die LNA aus der
40.000-Einwohner-Stadt Gharyan vertrieben, fanden sie dort französische
Panzerabwehrraketen . Frankreich erklärte, die Raketen seien zum Schutz
der eigenen Kräfte dort gewesen – und gestand damit indirekt, Hafter
abermals Militärberater an die Seite gestellt zu haben.
Kein uneigennütziger Vorstoß
Mit
der Konferenz in Berlin will die Bundesregierung nun Bewegung in den
verfahrenen Konflikt bringen. Ganz allein hat sie sich das nicht
ausgedacht. Ende Juli hatte der Sondervermittler der Vereinten Nationen,
Ghassan Salamé, im UN-Sicherheitsrat einen Friedensplan vorgestellt,
der unter anderem eine internationale Zusammenkunft von Schlüsselstaaten
vorsieht. Das Ziel: Eine strikte Einhaltung des Waffenembargos, das der
UN-Sicherheitsrat 2011 gegen Libyen verhängt hatte.
Ganz
uneigennützig ist der Vorstoß der Bundesregierung nicht. Bei einem
Treffen mit dem italienischen Präsidenten Sergio Mattarella wies
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier darauf hin, dass die Lage in
Libyen eng mit der Migrationsfrage verbunden sei. Auch aus
sicherheitspolitischen Gründen ist Deutschland an Stabilisierung
interessiert. So besteht etwa die Sorge, dass dschihadistische
Terrorgruppen wie der sogenannte »Islamische Staat« in Libyen
wiedererstarken könnten.
Trotz Eigeninteressen,
eine schlechte Wahl für die Friedensinitiative ist Deutschland sicher
nicht. Vergangenes Jahr fanden Libyen-Konferenzen in Paris und Palermo
statt, sie trugen wenig Früchte. Doch während Italien und Frankreich
seit langem um libysche Gas- und Ölvorkommen konkurrieren, gilt
Deutschland als neutraler Vermittler, nicht zuletzt, weil es sich
enthielt, als der UN-Sicherheitsrat 2011 eine »Flugverbotszone« über
Libyen erließ.
Alle in den Konflikt
verwickelten Parteien an einen Tisch zu bringen, dürfte auch für
Deutschland keine leichte Aufgabe werden. Insbesondere Ägypten und die
Emirate einerseits und die Türkei und Katar andererseits trennen tiefe
Gräben. Die libysche Menschenrechtlerin Marwa Mohammed von Lawyers for
Justice in Libya ist trotzdem vorsichtig optimistisch. »Wir erleben, wie
in den Konflikt verwickelte Akteur*innen sich gegenseitig an den
Pranger stellen«, sagt sie im Interview. »Dieses öffentliche
Bloßstellen und die Tatsache, dass Deutschland die Konferenz organisiert, könnten einen positiven Einfluss darauf haben, die Staaten an den Verhandlungstisch zu bringen.«
Bloßstellen und die Tatsache, dass Deutschland die Konferenz organisiert, könnten einen positiven Einfluss darauf haben, die Staaten an den Verhandlungstisch zu bringen.«
Falls die
Friedenskonferenz es tatsächlich schafft, ausländische Waffenlieferungen
nach Libyen einzudämmen, wäre das ein Riesenerfolg. Mohammed würde
trotzdem gerne mehr sehen: »Seit Jahren erleben wir, wie politische
Verhandlungen gerade auch deswegen immer wieder scheitern, weil
Menschenrechte außen vor gelassen werden und nichts dafür getan wird, um
Täter*innen zur Rechenschaft zu ziehen. Dabei sind diese Dinge für
einen dauerhaften Frieden unabdingbar.« Ob sie wirklich Hoffnungen habe,
dass das in Berlin anders sein könnte? Mohammed weicht aus: »Für einen
nachhaltigen Frieden müssen Menschenrechte und Gerechtigkeit bei den
Gesprächen im Vordergrund stehen.«
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