Sie würde sich einen Arm abhacken für diese Chance, schreibt meine Schulfreundin Ann-Kathrin. Während ich meine Wochenenden auf Fußballplätzen verbrachte, segelte sie ihre auf einem Boot. Manchmal nahm sie mich mit, zeigte mir, wie man so eine Jolle steuert. Anders gesagt: Ich habe rudimentäre Segelkenntnisse. Deswegen bat ich Ann-Kathrin um Rat, als der Auftrag für diese Reportage kam: Soll ich mit zwei Doppel-Olympiasiegern auf einem Renn-Katamaran foilen? Also auf sogenannten Foils, Schwertern, die das Boot komplett aus dem Wasser heben und dann so schnell wie kein anderes Segelboot fliegen lassen? Antwort: siehe oben.
Ein paar schlaflose Nächte später komme ich am Achensee in Tirol an. Der Segelclub hat sein Gelände am Ufer Märchenwiese getauft: türkises Wasser, umrahmt von den Bergen des Karwendel- und Rofangebirges, Vogelgezwitscher, kein Lüftchen rührt sich, die reine Kitsch-Idylle. „Nicht mehr lange", sagt da ein junger Mann neben mir und beißt herzhaft in seine Schnitzelsemmel, „dann zieht hier ordentlich Wind auf."
Raphael Hussl, der wetterkundige Schnitzelmann, ist vom Fach. Der 22-Jährige sagt, er sei in Österreich am dritthäufigsten auf einem Foiling-Katamaran übers Wasser geflogen. Es gebe nur zwei Kerle, die mehr Flugstunden im Logbuch stehen haben, und die stellt er mir jetzt vor: Roman Hagara, 52, und Hans-Peter Steinacher, 50, beide doppelte Olympiasieger in der Tornado-Katamaran-Klasse.
Die beiden haben einen Händedruck wie ein Schraubstock und außerdem eine globale Rennserie entwickelt, die sie auch als Renndirektoren leiten: die Red Bull Foiling Generation, die vermutlich härteste Segel-Nachwuchs-Competition der Welt. Warum? Weil erstens die Katamarane, mit denen sie ausgetragen wird, der heißeste und bockigste Race-Irrsinn auf Gottes Wellen sind („nahezu unsegelbar", meint manch arrivierter Seebär) und zweitens die Nachwuchssegler diese Wildseepferde gerade mal 48 Stunden vor der Regatta zum ersten Mal überhaupt treffen und dann lächerliche zwei Tage Zeit haben, um sie zu bändigen.
Das verbindet mich mit meinen Kollegen, die dieses Wochenende hier am Achensee zur Österreich-Ausscheidung für das Weltfinale im November in Miami, Florida, antreten: Ich war auch noch nie auf einem Red Bull Foiling Generation-Kat! Bloß: Ich war mal segeln mit Ann-Kathrin. Und die anderen waren segeln bei Welt- und Europameisterschaften der Junioren. Aber was soll's. Wird schon nicht schiefgehen. Naja, meint Hagara, „es wäre zum Beispiel nicht sooo gut, wenn du runterfällst vom Boot." Warum?, frage ich. „Ein Däne und ein Franzose sind mal über Bord gegangen und unter die Foils geraten. Denen wurden die Unterschenkel durchtrennt." Ich schlucke.
Hagara winkt mich zum Katamaran und sagt: „Keine Sorge, wir passen schon auf dich auf." Apropos Unterschenkel (irgendwie geht mir das nicht aus dem Kopf): Hans-Peter Steinacher nennt die Foils „Schwerter". Weil „sie so scharf sind". Drei Zentimeter dünn, 22 Zentimeter lang, geformt wie ein L und gefertigt aus der gleichen Kohlenstofffaser wie Monocoques von Formel-1-Boliden. „Das Einzigartige und Faszinierende an ihnen ist", erklärt Steinacher, „dass sie nicht nur extrem hohe Geschwindigkeit ermöglichen, sondern 90-Grad-Winkel-Kurven segeln können." Also Haken schlagen wie ein Hase. Das kann sonst kein Boot.
Der Kat, ein „Flying Phantom", ist 5,52 Meter lang, wiegt nur 150 Kilogramm, und beim Foilen tauchen insgesamt bloß 0,7 Quadratmeter Bootsfläche ins Wasser. „Wir segeln bis zu dreimal so schnell wie der Wind", sagt Steinacher. Ab 8 Knoten (15 km/h) Wind hebt das Boot ab. Topspeed ist 40 Knoten (75 km/h). Auf dem Wasser ist das eine nahezu abartige Geschwindigkeit.
Und was musst du tun, damit das Boot fliegt?, will ich wissen. Steinacher deutet mit seinem Arm in Richtung Himmel: „Das Boot liftet nur durch Geschwindigkeit aus dem Wasser, wie ein Flugzeug auf der Startbahn. Ganz von allein. Wenn wir etwas mehr als einen Meter hoch sind, richten wir die Schwerter so aus, dass das Schiff nicht weiter steigt. Wir wollen ja nicht aus dem Wasser hüpfen."
Das klingt absolut logisch, total machbar, geradezu simpel, denke ich: Segel nach dem Wind richten, festhalten, losfliegen - schaffe ich schon. Steinacher reißt mich aus meinem Tagtraum: „Foilen war sogar für uns Profis eine echte Herausforderung. Wir waren gewohnt, dass ein Segelboot mit viel Rumpf schön stabil im Wasser liegt. Und auf einmal balancierst du nur noch auf zwei Ruderblättern und Schwertern über der Wasseroberfäche." Wie lange er und Hagara gebraucht haben, diese Technik zu beherrschen? „Eine Woche." Fein, ich habe gerade mal zwei Tage dafür.
Keine Zeit verschwenden also. Ich ziehe Wetsuit, Schwimmweste und Helm an. Die Profis lassen den Katamaran zu Wasser. Dann steige ich mit Raphael Hussl in ein Motorboot. Hagara und Steinacher wollen erst mal zeigen, wie man richtig foilt. Der Katamaran jagt davon. Hussl schimpft. Er kommt trotz 70-PS-Motor kaum hinterher. Und schon erhebt sich der Kat über die Wasseroberfläche. Am Ufer jubeln Zuschauer. Hagara und Steinacher drücken sich mit den Beinen gegen die Seite des in der Luft stehenden Rumpfes, drehen ein paar Runden, bleiben neben uns stehen.
Steinacher klettert in unser Motorboot und fordert mich auf, auf den Katamaran zu wechseln. Hagara streckt mir seine Hand entgegen, und ich denke: Das ist jetzt der Moment, in dem du sagen solltest, dass du sowohl deinen Arm (liebe Grüße an Ann-Kathrin) als auch deine Unterschenkel behalten willst, dass die Foiling-Präsentation echt total beeindruckend war und dass wir es dabei belassen können, danke, ciao. Aber mein Mund sagt: „Klar, auf geht's!"
Auf dem Katamaran klinke ich mich ins Sicherungsseil („Trapez") ein, sitze auf dem Rumpf und soll nun meine Beine durchdrücken, bis ich über dem Wasser schwebe. Obwohl das Boot steht und ich gerade mal 50 Zentimeter über der Oberfläche hänge, zögere ich. Es kostet mich ziemliche Überwindung und einen Lacher Hagaras, aber dann stehe ich an der Rumpfseite.
Es pfeift so, wie wenn man über den Hals einer leeren Glasflasche bläst. „Das ist der Wind, den die Foils zerschneiden", sagt Roman Hagara.
Damit erzeuge ich Gegengewicht zum seitlichen Winddruck, ich bin also wichtig, erklärt Hagara. Ich konzentriere mich mehr so aufs Hängen. Roman übernimmt die Steuerung, ich die Position des „Vorschoters", also die Bedienung eines der vorderen Segel (es heißt „Gennaker", übrigens). Mein erster Job: Segel setzen. Roman reicht mir eine dünne grüne Leine, mit der ich das Tuch bis zum Anschlag an die Mastspitze hochziehen soll. Ich ziehe mit beiden Armen und mit aller Kraft an dem Seil, ernte ein mildes Lächeln - da greift Hagara herüber, pullt es mit einem Arm und zwei Ruck ganz nach oben.
Dann warten wir auf Wind. Hagara drückt mir eine neue Leine in die Hand: die „Schot". Mit der soll ich mein Segel fest Richtung Bootsmitte ziehen, wenn der Wind von schräg vorne kommt, und sie lockerer lassen, wenn er aus einer anderen Richtung auf uns einbläst. Ich ziehe also meine Schot, so stramm ich kann, und siehe da, wir nehmen Fahrt auf und werden schneller! Ich versuche, mich gleichzeitig im Trapez zu halten, mein Seil zu ziehen, das Segel zu beobachten und auf Hagara zu hören, der mir immer wie der Anweisungen gibt, die ich kaum noch wahrnehme. „Gleich", schreit er, „gleich heben wir ab!" Leider hebe nur ich ab.
Ich habe den Gennaker einen Augenblick vergessen, nicht genug gezogen, und schon bockt das Boot. Hagara versucht noch einzugreifen, aber ich gehe über Bord. Meine Sicherung fängt mich. Ich pralle einige Male gegen den Rumpf, kämpfe gegen das Wasser, werde zurückgeworfen. Ich fühle mich wie einer dieser Gummibälle, die mit einer Schnur an Schlägern befestigt sind. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, wieder an Bord zu kommen, als dass ich mich fürchten könnte. Als ich es dann schaffe, ernte ich wieder ein Schmunzeln: „Vielleicht solltest du öfter in die Muckibude gehen."
Nächster Versuch. Wieder nehmen wir Fahrt auf, wieder beschleunigt der Katamaran im Wind enorm. Dieses Mal bin ich auf die Geschwindigkeit vorbereitet, voll auf Schot, Segel und Hagaras Anweisungen fokussiert - plötzlich wird es still ...
Ich höre nichts mehr, sehe am Ufer Bäume und Autos an uns vorbeizischen. Ich spüre, wie sich das Boot hebt. Adrenalin. Herzrasen. Hagara ruft: „Zieh! Zieh! Zieh!" Ich ziehe, ziehe, ziehe. Als ich nach unten schaue, sehe ich, dass wir einen Meter über dem Wasser schweben. Wir fliegen! Wer den schneller und schneller. Ich nehme ein Geräusch wahr: Es pfeift so, wie wenn man über den Hals einer leeren Glasflasche bläst. Das ist der Wind, den die Foils zerschnei den, erklärt Hagara.
Ich habe Gänsehaut, spüre mein Herz in der Brust schlagen. Wir schaffen es etliche Male, das Boot zum Fliegen zu bringen. Ich fühle mich wie ein richtiger Phantom Segler. Dann schwinden meine Kräfte. Jetzt habe ich mir verdient zu sagen: „Danke, das war beein druckend, aber nun reicht's." Steinacher hatte recht: Foilen fühlt sich wie der Start eines Flugzeugs an. Nur sitzt du hier draußen, auf dem Flügel, während du dich Richtung Himmel hebst.
Alle Termine der Profi-Rennen: foilinggeneration.redbull.com