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Do-It-Yourself-Flugzeug - Beobachter

Mit einer Hand hat Karl Kofmel seinen Flieger aus dem Hangar gezogen - der Zweiplätzer wiegt nur 250 Kilo. 250 Kilo, die Kofmel eigenhändig zusammengeschraubt hat. Ganze sechs Jahre hat er gebohrt, gesägt, geschliffen, Nieten gesetzt, verkabelt, gestrichen. 1500 Arbeitsstunden.

Kofmel dreht den Propeller langsam von Hand. Kontrolliert den Öldruck. Die Bedingungen auf dem Flugplatz Grenchen sind jetzt, kurz nach Mittag, ideal: kein Wind, kein Nebel. Kofmel kratzt sich am schwarzweissen Bart, öffnet den Tankdeckel und tunkt einen Stab hinein. "Most" sei noch genug drin, brummt der 66-Jährige.

An Flugangst leide ich nicht. Selbst Turbulenzen auf einem Linienflug können mich nicht aus der Ruhe bringen. Aber das hier ist etwas anderes. Das Ding ist klein. Leicht. Und: selber zusammengebaut. Beim Mittagessen habe ich vorsorglich nur einmal geschöpft.

Wir steigen nacheinander ein. Einen Fuss auf den Flügel und dann mit einem Schwung in den Sitz. Es wackelt. Der Sitz erinnert eher an einen Gokart. Es ist eng, und im Fussbereich hat es Pedale. "Da dürfen Sie mir nicht draufdrücken. Die Pedale brauche ich zum Steuern auf der Rollbahn", sagt Kofmel. Jetzt noch angurten und die Headsets aufsetzen.

Der ganze Flieger vibriert

Karl Kofmel zieht die Plexiglashaube runter. Klick. Und steckt den Schlüssel ins Zündschloss. "Erst mal schauen, ob das Ding überhaupt anspringt. Die Batterie ist etwas im Eimer." Er dreht den Schlüssel nach rechts. Es poltert und knattert wie ein altes Auto. Der Propeller stottert los, der ganze Flieger vibriert. Kofmel setzt den ersten Funkspruch ab: "Grenchen Tower Hotel-Bravo-Yankee-Hotel-Juliet good afternoon. Position in front of hangar. With information India ready for taxi." Aus dem Tower tönt es zurück: "Yankee-Hotel-Juliet taxing approved, taxing to Delta-Two-Five."

Wir rollen los. Es holpert und schüttelt. Es fühlt sich immer noch nach Gokart an. Vor der Startpiste stehen wir an. Noch vier Flieger vor uns. Kofmel macht den letzten Check, hebelt am Steuerknüppel, klopft mit dem Zeigefinger auf die Anzeigen. Ich getraue mich nicht, zu fragen, ob er Kotztüten dabeihat. Noch ein Flieger vor uns. Plötzlich streckt Kofmel die rechte Hand rüber. "Ich bin dann sonst der Kari." - "Freut mich."

Farbenblind am Steuerknüppel

Wir biegen auf die Startpiste ein. Kari gibt Gas, der Motor heult auf, es rumpelt und rüttelt, dann stechen wir steil nach oben. Das Kribbeln im Bauch erinnert mich an den Europa-Park. Dann Ohrendruck. Die Alpen sind näher bei Grenchen, als man meint. Schon fliegen wir über Biel. Der Magen hält.

Kari erzählt, wie er zur Fliegerei gekommen ist. Ursprünglich wollte er Pilot werden: "Das ist daran gescheitert, dass ich farbenblind bin. Ich habe den Traum begraben und Maschinenbau und Flugzeugstatik studiert." Zur Beruhigung schiebt er nach, dass man heute auch als Farbenblinder fliegen dürfe. "Früher haben sie teils vom Tower aus rote oder grüne Lichtsignale gegeben, ob man landen darf oder nicht. Das hätte ich nicht gesehen. Heute läuft aber alles über Funk, da ist das kein Problem mehr."

Links der Bielersee, vorn sieht man Murtensee und Neuenburgersee. Der Sendemast auf dem Chasseral kommt immer näher. Durch die Scheibe begutachte ich die Nieten im Flügel. Die hat Kari alle selbst gesetzt. Der wird das schon ordentlich gemacht haben, versuche ich mich zu beruhigen.

Wir drehen eine grosse Kurve um den Sendemast. Überall liegen Schneereste.

"Ob selber gebaut oder gekauft, das ist für die Sicherheit kein Unterschied", sagt Kari. Der Flieger hier sei ein Baukasten, da sei alles genau vorgeschrieben, wie man es bauen müsse. Und es werde streng überwacht. "Ich finde es sogar beruhigend, dass ich genau weiss, wer was wie gemacht hat."

Am Horizont schimmert der Dunst, und das Himmelblau vermischt sich mit dem Boden. Unter uns Hunderte Spuren von Schneeschuhen in langen Linien.

Sowieso müsse man selbstgemachte und gekaufte nicht gegeneinander ausspielen, fährt Kari fort. "Aber bei den selber gebauten Flugzeugen ist es in der Regel so, dass nur der Erbauer damit fliegt. Das bringt den Vorteil, dass ich alles ganz genau weiss, was mit dem Flieger schon passiert ist und wo ich vielleicht eher aufpassen muss."

Flugreisen bis zum Nordkap

Richtig brenzlige Situationen erlebte Kari aber noch nicht. Einmal musste er den Flieger von Warschau per Lastwagen nach Hause holen. Eine schlechte Piste hatte die Radaufhängung ruiniert. Kari geht mit seinem Flieger öfter mal auf Reisen. Er war auch schon am Nordkap, was mich dann wieder beruhigt. Was kann denn auf so einem Lokalflug schon schiefgehen?

Im Flieger neben uns sitzt der Fotograf, der aus der Luft fotografiert. "Der Fotograf will noch einmal eine scharfe Linkskurve", funkt der Pilot. Karl Kofmel legt den Steuerknüppel nach links, bis wir schräg in der Luft hängen. Mein Magen meldet sich. Ich versuche, ruhig zu atmen. Zur Nase rein, zum Mund raus, zur Nase rein. "Gleich noch einmal eine Linkskurve." Zum Mund raus. Bis wir endlich wieder geradeaus fliegen. Wir gleiten über eine Krete der Jurakette, keine 100 Meter über Boden.

Ich bin froh, als Kari nach rund 30 Minuten in der Luft sagt: "So, dann gehen wir jetzt langsam nach Hause."

"Am Anfang war mir auch immer übel"

Ich habe die Orientierung längst verloren. Plötzlich taucht vor uns die Landebahn auf. Die Piste kommt schnell näher. Kari setzt mit einem Ruck auf. Wieder Holpern und Schütteln. Dann tuckern wir zum Hangar. Als der Motor aus ist, stosse ich einen Seufzer aus. "Das heisst?", fragt Kari. Ich gestehe, dass es meinem Magen schon besserging. Kari klopft mir auf die Schultern: "Am Anfang war es bei mir jedes Mal so."


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