0 subscriptions and 0 subscribers
Article

Mentoring: Nachhilfe vom Jungspund - Beobachter

Coaching mal andersrum: Junge Angestellte der Generation Y betreuen gestandene Kaderleute. Das soll den Chefs auf die Sprünge helfen.

Da ist auf der einen Seite Mathias Kuhn. 35, Projektleiter im Bundesamt für Landwirtschaft. Und auf der anderen Seite Marco Meyer. 45, Finanzchef im Generalsekretariat des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF). Hier ein gewöhnlicher Angestellter, dort ein Kadermitglied. Die beiden treffen sich regelmässig zum Coaching-Gespräch. Mentor ist der 35-jährige Kuhn.

Seit zwei Jahren erhalten WBF-Kaderleute Coachings von jungen Mitarbeitern der Generation Y (siehe "Die Generation ‹Warum›"). "Wenn wir Angestellte der Generation Y bei der Stange halten wollen, müssen wir ihnen etwas bieten", erklärt Waldemir Burgener, Leiter Personal- und Organisationsentwicklung im WBF. Die Ypsiloner seien sehr leistungswillig, aber nicht um jeden Preis. "Wenn sie den Sinn und Zweck einer Aufgabe nicht verstehen, haben sie Mühe."

Die ungeschminkte Wahrheit sagen

Damit dies auch die Chefs verstehen, wurde das Mentoring-Programm lanciert. Im ersten Jahr starteten 26 Tandems. Bei der Zusammenstellung wird darauf geachtet, dass Mentor und Mentee aus unterschiedlichen Abteilungen kommen. Nur so können die Jungen ungeschminkt sagen, was sie von den Führungskräften erwarten.

Für das Tandem Mathias Kuhn und Marco Meyer ist es heute das dritte von sechs Treffen. Meyer, der Oberstleutnant, und Kuhn, der Zivildienstleistende. Meyer mit klassischem Ehering aus Gold und Kuhn mit einem tätowierten Strich um den Ringfinger. Beide sitzen im T-Shirt da. Eine Bedingung, die Mentor Kuhn noch vor dem ersten Treffen gestellt hatte. "Mit dem T-Shirt brechen wir die Hierarchie." Für Finanzchef Meyer eine neue Erfahrung. "In der Bundesverwaltung gilt eine gewisse Etikette, bei externen Terminen ist ein Hemd nach wie vor erwünscht."

Thema des heutigen Coaching-Gesprächs: "Normen, Werte, Visionen der eigenen Generation". Beide kramen eine Collage auf einem A4-Blatt hervor, ihre Hausaufgabe. Bei Kuhn finden sich seine Helden: Apple-Gründer Steve Jobs oder Tennisprofi Roger Federer. "Ganz wichtig für mich, und ich denke, da rede ich für meine ganze Generation, ist Selbstverwirklichung." Er befolge oft das Pareto-Prinzip: "80 Prozent eines Ergebnisses lassen sich mit 20 Prozent des Gesamtaufwands erzielen. Oft genügt das auch."

Meyers Collage enthält ein Foto seiner Familie. "Die Familie ist im Zentrum, das ist mir sehr wichtig. Werte, die ich für die Familie habe, gelten bei mir auch im Beruf." Viele seiner Werte vermisse er ab und zu bei der Generation Y: Umgangsformen, Etikette, Freundlichkeit. Danke sagen. "Was ich ebenfalls wichtig finde: Wer A sagt, sagt auch B. Man muss auch mal etwas durchziehen können."

"Mein erster Gedanke war jetzt: ‹Ah, das ist ja wie bei meinen Eltern. Knigge, Anstand und so›", sagt Kuhn darauf. Dies seien zwar auch Werte der Generation Y, aber vielleicht müsse man sie ab und zu daran erinnern. Gleichzeitig wolle man individuell sein. "Wenn ich A gesagt habe und B nicht mehr will, dann breche ich ab, es muss vor allem für mich stimmen."

Vom Geben und Nehmen im Job

Das Coaching-Gespräch in der Bundesverwaltung nimmt Fahrt auf. Meyer, der ältere Chef, ist gerade bei der Selbstverwirklichung angelangt. "Wie weit geht das bei deiner Generation?", will er wissen. "Ist die Selbstverwirklichung das Nonplusultra?"

Als Antwort zieht Kuhn einen Artikel über zwei Jungunternehmer hervor. "Diese zwei Jungs haben eine Online-Metzgerei eingerichtet. Hochqualitatives Fleisch mit Schimmelpilz. Extrem erfolgreich. So was wäre der Traum." Selbstverwirklichung sei aber auch im Kleinen möglich. "Wenn mir danach ist, will ich am Nachmittag mit dem Laptop draussen im Park arbeiten. Das will ich selber entscheiden. Steht mir mein Chef hier im Weg, drückt das massiv auf meine Motivation."

Meyer: "Heisst das, Mitarbeiter aus der Generation Y wollen sich selber verwirklichen und schliesslich einfach an ihrer Leistung gemessen werden und nicht daran, wie sie arbeiten?"

Kuhn: "Genau! Und wichtig: Der Chef muss nicht alles wissen. Kontrolle engt ein."

Meyer: "Aber das sollte schon im Gleichgewicht sein. Geben und Nehmen. Wenn ich merke, dass ich immer nur gebe und dann vielleicht nicht gearbeitet wird, dann fühle ich mich ausgenützt."

Kuhn: "Da musst du offen sein, finde ich. Wenn ich vielleicht einen Nachmittag auf dem Gurten war und nichts gemacht habe, ist das auch okay. Dann musst du halt mit mir reden und fragen, ob ich ein Problem habe. Ich will auch am Nachmittag eine halbe Stunde mit meiner Versicherung telefonieren können, wenn ich ein Problem habe. Dafür arbeite ich dann im Zug oder zu Hause fürs Geschäft."

Meyer: "Das finde ich jetzt als Vorgesetzter sehr schwierig. Ich will ja alle gleich behandeln. Die anderen sehen ja nicht, dass du noch im Zug produktiv bist."

Kuhn: "Hundertprozentige Gerechtigkeit ist so oder so nicht möglich. Wenn jemand zufrieden ist, dann gibt er vollen Einsatz. So einfach ist das."

Meyer: "Wenn es der Generation Y gelingt, so zu leben, mit einer so grossen Individualität und ohne zu vergleichen, dann ziehe ich den Hut."

Kuhn: "Mal sehen. So wie jetzt kann es auf jeden Fall nicht weitergehen. Wenn ich lese, dass immer mehr Leute ein Burn-out haben, mache ich mir schon Sorgen."

Blick auf die Uhr: Kuhn und Meyer haben eine gute Stunde diskutiert.

Der Austausch soll weitergehen

Er profitiere enorm von diesem Programm, sagt der gecoachte Meyer. "Da wir aus verschiedenen Abteilungen kommen, können wir frisch von der Leber weg sagen, was wir denken, ohne dass wir irgendwelche Konsequenzen befürchten müssten." Ihm sei es wichtig, dass er die Bedürfnisse der Ypsiloner kenne und verstehe. Er werde auch nach dem Programm bei Mentor Kuhn nachfragen, wenn es diesbezüglich Unklarheiten geben sollte.

Auch für Kuhn ist der Generationenaustausch eine Bereicherung. "Der ehrliche Einblick in die Arbeitswelt von Marco ist sehr spannend. Es macht mich auch stolz, mit jemandem zu interagieren, der in der Hierarchie deutlich höher ist als ich."

In zwei Monaten kommen Marco Meyer, das Kadermitglied, Mathias Kuhn, der gewöhnliche Angestellte, wieder zusammen. Dann zum Thema "Wie will die Generation Y geführt werden?".

Die Generation "Warum"

Zur Generation Y gehört, wer zwischen 1980 und Mitte der neunziger Jahre geboren wurde. Diese Altersgruppe akzeptiert hergebrachte Normen und Werte nicht mehr als gegeben - die Ypsiloner hinterfragen alles. Deshalb auch die Bezeichnung Generation Y - auf Englisch steht der Buchstabe y für warum. Die Ypsiloner wollen nicht um jeden Preis Karriere machen. Wichtiger sind ihnen ein gutes Arbeitsklima, flache Hierarchien und die Möglichkeit, sich selber zu verwirklichen. Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden, suchen sie sich relativ schnell eine passendere Stelle.

Original