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Das ignorierte Erfolgsmodell Somaliland

Spricht man heute das Thema Somalia an, so kommen einem zumeist reflexartig Schlagworte wie Piraterie, (Kampf gegen den) Terrorismus und Al-Qaida, Staatsversagen und -zerfall oder - sehr aktuell - Hungersnot und Elend in den Kopf. Dies mag auf den von der militanten Al-Shabaab und einer künstlich am Leben erhaltenen Übergangsregierung umkämpften Süden zutreffen. Zu oft bleibt dabei jedoch unerwähnt, dass sich mit Somaliland innerhalb mittlerweile zweier Jahrzehnte eine vergleichsweise stabile und friedliche Enklave im Norden des Landes herausgebildet hat.

Nachdem das Staatsgebilde des heutigen Somalilands zunächst unter britischer Kolonialherrschaft gestanden hatte, vereinigte es sich 1960 mit dem ehemaligen Italienisch-Somalia zum bis heute de jure bestehenden Somalia. Es folgten lange Jahre unter dem repressiven Regimes des Despoten Siad Barre. Dieser vernachlässigte Somaliland und wurde zusehends unbeliebter. 1988 entfachte sich dann endgültig ein offener Bürgerkrieg zwischen der somalischen Regierung und der aus der abtrünnigen Region stammenden "Somali National Movement". Der Krieg endete schließlich 1991 mit dem Sturz Barres, der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Somalilands und der folgenden Abspaltung von dem in Anarchie versinkenden Rest Somalias.

Start unter schwierigen Bedingungen

Dabei schien es zunächst nicht sehr förderlich, dass die somalische Gesellschaft auf einem Clanwesen aufbaut. Der Clan ist identitätsstiftendes Element und seine Zugehörigkeit ergibt sich über die väterliche Abstammung. Zu den größten, der sich durch Zusammenfassung ergebenden "Clanfamilien" gehören die Isaaq, Dir und Darood.

Zu Beginn der Unabhängigkeit beruhte die Regierung Somalilands vor allem auf Mitgliedern der Isaaq. Auch legitimierte politische Institutionen existierten kaum, die Hauptstadt Hargeysa war durch Barre in großen Teilen dem Erdboden gleichgemacht. Außerhalb der Stadt hatte der langwierige Bürgerkrieg zahlreiche Landminen zurückgelassen. Die Bevölkerung Somalilands war gezwungen, auf einem extremst labilen Fundament aufzubauen.

Und schlug sich dabei doch erstaunlich gut. Da das "traditionelle" Konfliktmanagement der Ältestenräte ("guurti") unter dem britischen Kolonialsystem der indirekten Herrschaft praktisch unberührt geblieben war, konnten ebendiese "guurti" Versöhnungsprozesse zwischen verschiedenen (Sub)-Clans initiieren. Es folgten die Schaffung weiterer politischer Institutionen, eine neue Verfassung und andere Demokratisierungsprozesse, während die Ältestenräte (freiwillig) gleichzeitig mehr und mehr Macht abgaben, trotzdem aber in die politische Gestaltung eingebunden blieben.

Da kein Staat der Erde Somaliland bis heute anerkannt hat und finanzielle Hilfe dadurch nur begrenzt zur Verfügung stand, waren die Machthaber auf Aushandlungsprozesse mit dem eigenen Privatsektor angewiesen und konnten die demokratische Entwicklung ohne Zeitdruck und nach eigenen Vorstellungen gestalten. Dass der Weg trotz allem ein holpriger und auch Somaliland keine Oase der Ruhe und Glückseligkeit sein würde, verwundert dabei kaum.

Massenansturm nach der der Hungersnot

Der wohl wichtigste Reibungspunkt liegt in der Beziehung zum benachbarten, ebenfalls autonomen Teilstaat Puntland, der - anders als Somaliland - für eine zu gegebener Zeit durchzuführende Wiedervereinigung Gesamt-Somalias eintritt. Somaliland, in dem die Isaaq den Großteil der Bevölkerung stellen, und Puntland, welches sich vorrangig als Region der Harti - einem Unterclan der Darod - ansieht, streiten sich um die zu von Somaliland kontrollierten Regionen Sool, Sanaag und Buhodle. Die dort überwiegend lebende Harti-Bevölkerung fühlt sich von der Isaaq-dominierten Regierung in Hargeysa unterdrückt, rutscht zunehmend in eine ländliche Verarmung ab und tendiert in ihrer Loyalität ohnehin eher zu Puntland. Zusammenstöße, wie sie erst dieses Jahr im Februar, Mai und August aufgetreten sind, sind somit vorprogrammiert.

Des Weiteren tragen immer häufiger einsetzende Dürreperioden und Bodenerosion dazu bei, dass sich der Mangel an Weideplätzen auf den dominierenden Wirtschaftssektor der Viehhaltung ausweitet. Auch wenn es Somaliland geschafft hat, trotz alledem die eigene Bevölkerung von etwa 3,5 Millionen Einwohnern zu versorgen, so stellt spätestens der enorme Zulauf an Hungerflüchtlingen aus den Nachbarländern die Regierung vor eine kaum zu bewältigende Herausforderung. In der Folge ist die Versorgungslage in den Flüchtlingslagern aufgrund eigentlich ausgereizter Kapazitäten prekär und konnte auch durch die Massenausweisungen nicht verbessert werden.

Weitere Problemfelder stellen die hohe Arbeitslosigkeit, zunehmende Verletzungen der Pressefreiheit sowie die beschränkten Mittel für Infrastrukturinvestitionen wegen des hohen Budgetbedarfs für Sicherheit und Verteidigung dar. Aus einer ökonomischen Perspektive heraus ergeben sich aufgrund der unwirtlichen Gegebenheiten kaum weitere Betätigungsfelder als die Viehhaltung - die kaum weiter zu intensivieren ist. Zudem ist die Bevölkerung stark von Rücküberweisungen aus der Diaspora abhängig.

Beachtliche Leistungen trotz widriger Bedingungen

Und doch ist die Leistung Somalilands - im regionalen Kontext gesehen - eine beachtliche. So hat es dessen Bevölkerung trotz mangelnder internationaler Unterstützung und aus einer sehr schwierigen Ausgangssituation heraus geschafft, einen funktionierenden Staat aufzubauen, der anscheinend sogar eine Krisenzeit wie die aktuelle Dürre und Hungersnot übersteht. Die Anwendung eigener Streitschlichtungsmethoden in Form der hochgeachteten Ältestenräte wirkte identitätsstiftend und schuf Vertrauen zu dem sich mit der Zeit herausbildenden, aus "traditionellen" und "modernen" Elementen konstituierten Zweikammerparlament.

Somaliland kann sich heute deswegen eines Mehrparteiensystems mit mehreren freien und fairen Präsidenten-, Parlaments- und Bezirkswahlen mit anschließender, friedlicher Machtübergabe rühmen. Eine vom Volk verabschiedete Verfassung gibt den Rahmen vor und eine permanente Wahlkommission sichert Beständigkeit. Weitere Erfolge konnten bei der Reduzierung von Mütter- und Kindersterblichkeit, im Ausbau der Grundschulbildung sowie in der Gesundheitsversorgung errungen werden.

In Somaliland wurde also aus eigenem Antrieb und ohne externe Einflüsse erfolgreiches "nation building" betrieben. Die dadurch entstandene Stabilität wird von der Bevölkerung hoch geschätzt und beförderte den Willen, potentielle Konflikte nicht zu entfachen oder eskalieren zu lassen.

Somit steht Somaliland im starken Kontrast zur Übergangsregierung in Mogadischu, die fast ausschließlich von ausländischer Finanzierung abhängig ist und trotz umfangreicher internationaler finanzieller und militärischer Unterstützung schon Probleme damit hat, den Machterhalt innerhalb der Hauptstadt zu gewährleisten. Wie kommt es nun aber dazu, dass trotz der überwiegend sehr positiven Entwicklung keine Regierung weltweit Somaliland als souveränen Staat anerkennt?

Die Afrikanische Union stellt sich quer

Gegner einer Anerkennung Somalilands führen zum einen das Argument der Souveränität und des Rechtes auf territoriale Unversehrtheit Somalias ins Feld - eine fragliche Auslegung, da doch allgemein Konsens darüber besteht, dass Somalia als "failed state" gilt. Ein weiterer gewichtiger Punkt ist die grundsätzliche Ablehnung separatistischer Bewegungen, da man die Schaffung eines Präzedenzfalles vermeiden will, der andere durch die willkürliche koloniale Grenzziehung entstandene Konfliktherde anheizt oder neu entfacht.

Auch allgemein befürchtet man, dass eine Anerkennung Somalilands das Chaos innerhalb Somalias weiter verstärkt. Nicht nur Puntland, sondern auch die Al-Shabaab, die sich die Einheit Gesamt-Somalias auf die Fahne geschrieben hat, würde die Grenzen des potentiell neuen Staates bedrohen, der möglicherweise ohnehin nicht die Kapazität hätte, diese zu halten.

Dies scheint auch das Zögern der Afrikanischen Union (AU) zu erklären. Ebenso wie ihre Vorgängerorganisation, die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), hat auch die AU die Unverletzlichkeit der kolonialen Grenzziehung zum essentiellen Merkmal ihrer gegenseitigen Beziehungen erklärt. Wenn sie nun eine Sezession Somalilands unterstützte, so verletzte sie ihre eigenen internen Grundsätze und hätte ein Legitimationsproblem hinsichtlich ihrer Unterstützung der Übergangsregierung in Mogadischu.

Von dieser Seite ist eine Lösung zugunsten Somalilands somit schwer vorstellbar. Dies wirkt sich auch auf das Verhältnis zu den Vereinten Nationen und anderen Regierungen aus, die die Anerkennung Somalilands durch die AU als Voraussetzung für die eigene Anerkennung heranführen. Die internationale Gemeinschaft begnügt sich damit, grundsätzlich wohlwollendes Interesse zu zeigen, vermeidet aber ansonsten jeglichen näheren Austausch, der eine Quasi-Anerkennung vermuten ließe.

Gibt es nationale Zusammenarbeit, so beschränkt sich dies eher auf Partikularinteressen internationaler Akteure, wie Bekämpfung von Piraterie und den "Kampf gegen den Terror". Vor Ort füllt ein Sammelsurium an Nichtregierungsorganisationen die Lücken, die anderswo staatliche Hilfsorganisationen übernehmen und die selbstständig (noch) nicht erbracht werden können.

Letztlich liegt die Entscheidung über eine Abspaltung damit in den Händen von Mogadischu und Hargeysa. Die Fronten sind verhärtet. Somaliland lehnt eine Wiedervereinigung kategorisch ab. Auf der anderen Seite betont auch der Süden Somalias bei jeder Gelegenheit, dass das somalische Volk kein Interesse an Zerfall und Abspaltung habe und dass Somaliland immer Teil Somalias bleiben werde. Ein weiterer Grund, der eine Anerkennung erheblich erschwert, ist die mangelnde mediale Präsenz des Konflikts. Trotz aller Bemühungen der somaliländischen Bevölkerung gelingt es ihr kaum, ihr Anliegen in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit zu rücken. Zu sehr fokussiert sich der internationale Betrachtungswinkel auf das Image des krisengebeutelten, verlorenen Kontinents.

Vorbild Südsudan

Dabei sprechen aber auch einige gewichtige Argumente für eine internationale Anerkennung Somalilands. Vor allem das Referendum und die darauffolgende Abspaltung des Südsudans im Juli dieses Jahres wurden als ein Hoffnungsträger für das Erlangen der eigenen Selbstbestimmung angesehen. 2001 unterstützten 97 Prozent der Einwohner Somalilands in einem abgehaltenen Referendum ihre Unabhängigkeit. Dabei erfüllt der Staat alle völkerrechtlichen Kriterien - die sogenannten Montevideo-Kriterien - und weist ein ausgeprägteres Staatswesen als einige andere afrikanische Staaten auf.

Die Anerkennung könnte einem schon positiven Trend einen neuen Impuls geben und die bereits erreichten Fortschritte bei Staatsaufbau und Demokratisierung würdigen. Dies könnte auf den Rest Somalias motivierend wirken und würde mit der paradoxen derzeitigen Situation brechen, in der die Übergangsregierung in Mogadischu internationale Aufmerksamkeit und Gelder gerade deswegen erhält, weil sie nicht funktioniert.

Sollte es zu einer Anerkennung Somalilands kommen, so könnte dies auch ein kosteneffektives Mittel für die chronischen Leiden Piraterie, Staatszerfall und Terrorismus des Rests von Somalia sein. Nur ein stabiles Somaliland und die Bekämpfung von Ursachen können auf lange Sicht eine Verbesserung in diesen Bereichen erwirken.

So gut sich die Prognosen für eine mögliche Anerkennung Somalilands auch anhören mögen, sie würde nicht alle Probleme lösen können und ist aufgrund verschiedener geopolitischer Gründe einer Vielzahl von Akteuren für die nahe Zukunft ohnehin unwahrscheinlich. Bis jetzt ist es einfach nicht gelungen, eine Strategie zu entwickeln, die den Interessen Somalilands zuträglich ist, gleichzeitig aber das Problem der Anerkennung offen lässt.

Somit muss Somaliland wahrscheinlich auch weiterhin untätig dabei zusehen, wie die Übergangsregierung in Mogadischu umfangreiche Finanzspritzen aus internationalen Töpfen erhält, obwohl sie seit Jahrzehnten kaum mehr als die Hauptstadt kontrolliert. Vielleicht ist aber auch gerade das Fehlen dieser umfangreichen, externen Hilfe und die Nichteinmischung der internationalen Gemeinschaft das Erfolgsrezept der somaliländischen Gesellschaft.

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