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Was vom Hype blieb

Knapp ein halbes Jahr ist es nun her, dass ein Youtube-Video der amerikanischen Nichtregierungsorganisation "Invisible Children" über den Rebellenführer Joseph Kony und die von ihm befehligte "Lord's Resistance Army" (LRA) in der Internetgemeinde für Furore sorgte. Etwa 100 Millionen Zuschauer haben den rund 30-minütigen, auf Hochglanz polierten Film bis heute gesehen, der unter anderem aufgrund starker Simplifizierungen, Darstellung falscher oder überholter Tatsachen und seines neokolonialistisch-paternalistischen Tenors massive Kritik hervorrief.

Wie zu erwarten war, hat sich der Hype um den "Popstar" Kony größtenteils als gigantische Blase herausgestellt. Eine von "Invisible Children" für Mitte April geplante "Cover the Night"-Aktion, bei der Aktivisten ihre Städte mit Postern und Plakaten mit Konys Konterfei schmücken sollten, fiel weltweit nur sehr mau aus und stieß auch in den USA nur auf geringes Medieninteresse. Trotz alledem plant "Invisible Children" für das kommende Jahr bis zu 3000 weitere Vorträge in Schulen, Colleges und Universitäten.

Das abflauende Interesse an der Aktion dürfte vor allem auch der nach Erscheinen des Videos rasch einsetzenden, berechtigten Kritik geschuldet sein, die der anfänglichen Euphorie einen merklichen Dämpfer versetzte. Das Kalkül, aus einer "Weißer-Retter"-Mentalität heraus, diejenigen lokalen Stimmen zu ignorieren, die entweder aufgrund persönlicher oder langjähriger Erfahrung vor Ort hätten einbezogen werden müssen, ist den Filmmachern mit voller Wucht zurückgeschlagen.

Daran änderte auch ein als Antwort auf die Kritik veröffentlichtes zweites Video ("Part II - Beyond Famous") nicht viel. In diesem wurde versucht, mehr ugandische Stimmen in die Erzählung mit einzubeziehen. Allerdings wurde es viel weniger wahrgenommen und erreichte beileibe nicht den Status einer weiteren Internetsensation. Das erste, mit Stereotypen gespickte Video ist es, dass - ohne es zu hinterfragen - in den Köpfen der meisten Internetbürger hängengeblieben sein wird.

Auch in Uganda wird getwittert, auf Facebook gepostet und gebloggt

Die Geschichte, die "Invisible Children" in "Kony 2012" erzählt, vermeidet jegliche Komplexität, vermittelt eine sentimentale, verniedlichende Version von Afrika und zelebriert das Privileg, die Deutungsmacht inne zu haben, wie es die nigerianische Autorin Chimamanda Adichie auf den Punkt bringt: "Die Story erstellt Stereotypen und das Problem mit Stereotypen ist nicht, dass sie unwahr sind, sondern dass sie unvollständig sind. Sie machen aus einer Geschichte die einzige Version."

Doch auch das hat das Video gezeigt: Die überhebliche Ignoranz gegenüber Stimmen aus Afrika wird schon lange nicht mehr hingenommen. Auch in Uganda wird selbstverständlich getwittert, auf Facebook gepostet, gebloggt oder die eigene Meinung auf Youtube kundgetan. Initiativen, wie die von ugandischen Medienvertretern ins Leben gerufene Webseite Ugandaspeaks, haben es sich zum Ziel gesetzt, die Erzählung um Kony zurückzuerobern und ihre eigene, näher an der Wahrheit liegende Geschichte zu erzählen. Auch das Antwort-Video der Journalistin und Bloggerin Rosebell Kagumire ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine ganz andere Erzählung zum Thema Kony aussieht, die sich kaum mit der schillernden Video-Version von "Invisible Children" vereinbaren lässt.

Derweil wird Kony - von dem angenommen wird, dass er sich im Südosten der Zentralafrikanischen Republik aufhält - auch weiterhin von in der Mehrheit ugandischen und südsudanesischen Soldaten verfolgt. Die UN hatte dazu gemeinsam mit der AU im Juli den Beschluss gefasst, durch eine Einsatztruppe aus vier afrikanischen Ländern in den betroffenen Regionen humanitäre und militärische Hilfe zu leisten. Ob die Entsendung der Truppen auch ohne das vorherige Erscheinen von "Kony 2012" erfolgt wäre, ist nicht mit Sicherheit zu klären. Sicher ist aber, dass die Kampagne Aufmerksamkeit auf Kony lenkte und den internationalen, politischen Druck verstärkte.

Massiv gesteigertes US-Engagement in Afrika

Kritiker bemängeln allerdings eine unzureichende Finanzierung dieser Einsatztruppe. So ist bis heute nur etwa die Hälfte der veranschlagten Truppenstärke von 5.000 Soldaten tatsächlich vor Ort im Einsatz. Die Anzahl der Übergriffe durch Mitglieder der Rebellengruppe weist in den letzten Monaten sogar eher eine steigende Tendenz auf. Daran ändert auch die US-amerikanische Unterstützung durch Bereitstellung von Geheimdienstinformationen und logistischer Hilfe nichts.

Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um die Entsendung dieser etwa 100 Spezialkräfte als ein Puzzleteil im Gesamtbild des in den letzten Jahren massiv gesteigerten US-Engagements in Afrika zu erkennen. Leise und fast unbemerkt hat das Pentagon nach jahrelangem Desinteresse nun begonnen, überall auf dem afrikanischen Kontinent kleine temporäre Militärbasen zu errichten.

Unter der Dachorganisation des "United States Africa Command" (AFRICOM) operiert US-amerikanisches Personal oft als Gast in Einrichtungen der betreffenden Gastnationen. Die Devise scheint zu lauten, dass Gefährdungen, die amerikanischen Interessen auf afrikanischem Boden bedrohen, zukünftig nicht mehr durch ein direktes Eingreifen, sondern vielmehr durch afrikanische Stellvertreterarmeen in Schach gehalten werden sollen. Zu diesem Zweck stellen die USA ihren "Söldnern" bereitwillig Waffen, militärische Ratgeber und Kommunikationsmittel zur Verfügung.

Die Gründe für das neu geweckte Interesse der USA liegen auf der Hand. Zum einen ist da die lange Liste regionaler Feinde, von denen "Al-Qaida im Islamischen Maghreb" (AQIM), Boko Haram in Nigeria, Al-Shabaab in Somalia und die LRA in Ost- und Zentralafrika nur die bekanntesten sind. Zu vielzählig scheinen die Konfliktherde zu sein, als dass die kriegsmüden USA ihrem vermeintlichen Ruf als Weltpolizei gerecht würden und in größerem Ausmaß direkt in Afrika intervenierten.

Bemerkenswert globaler Online-Dialog zwischen Uganda und dem Rest der Welt

Gleichzeitig gilt es aber auch, den seit 2007 stetig wachsenden Einfluss Chinas (und mit Einschränkungen auch Russlands und Indiens) in Afrika zu unterminieren. So ist die Einverleibung afrikanischer Ressourcen zu einem Kernelement der schwelenden Rivalität zwischen China und den USA geworden. Immense unerschlossene Öl- und Erdgasreserven sowie ungeahnte geologische Schätze innerhalb des Ostafrikanischen Grabenbruchs sind längst Teil der internationalen Wettbewerbs und haben zu einer Art "neuem Wettlauf um Afrika" geführt.

Vor diesem Hintergrund muss der vor allem militärische Lösungsansatz von "Invisible Children" den Politikmachern in Washington wie ein Geschenk des Himmels vorkommen. Schließlich dürfte das "Kony 2012"-Video - unterstützt durch Prominente, Politiker und Netzgemeinschaft - äußerst nützlich sein, um ein - wenn auch indirektes - militärisches Eingreifen im profitträchtigen Zentral- und Ostafrika zu legitimieren.

Im Großen und Ganzen hat die Internetsensation um "Kony 2012" aber auch positive Nebeneffekte. Der bemerkenswerte globale Online-Dialog zwischen Uganda und dem Rest der Welt hat die Fähigkeit des Internets bewiesen, Lücken zu schließen und geografische Grenzen zu überwinden. Im Windschatten des Hypes sind zudem diejenigen "Clicktivisten", die sich doch reflektiert mit dem Thema weiter auseinandergesetzt haben, auf wichtigere und aktuellere Probleme, wie der in Uganda und Südsudan wütenden Nick-Krankheit ("nodding disease"), gestoßen.

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