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Pflegeheime: Amt registriert Beschwerdeflut

Ingo Lange ist als Fachdienstleiter Öffentliche Sicherheit in der Kreisverwaltung auch für die Heimaufsicht verantwortlich Foto: Marc R. Hofmann

Die Heimaufsicht des Kreises reagiert mit mehr Sonderprüfungen. Reguläre Kontrollen müssen deswegen zurückstehen.

Bad Oldesloe. Ereignisse wie der Fall des alkoholisierten Pflegehelfers , der im August 2016 mit 4,4 Promille in Oststeinbek mit einer Rollstuhlfahrerin gestürzt war, wecken tiefe Ängste bei Betroffenen, Angehörigen und älteren Menschen, die wissen, später auf Hilfe angewiesen zu sein. Tatsächlich geben Zahlen aus dem Tätigkeitsbericht der Heimaufsicht des Kreises Anlass zur Sorge: Um 70 Prozent ist die Zahl der Beschwerden im Vergleich zu 2011/12 gestiegen. Aus damals 79 Beschwerden wurden 135 in den vergangenen beiden Jahren. "Und die haben leider immer öfter auch Gehalt", sagt Horst Gerlach von der Heimaufsicht.

Bei ihren Prüfungen stoßen die Mitarbeiter auf Pflegemängel wie Dekubitus (Wundliegen), Fehler in der Medikamentengabe, Mangelernährung und unzureichende Hygiene. Hauptgrund dafür sei der Fachkräftemangel . "Deswegen müssen viele Heimbetreiber auf Zeitarbeitskräfte ausweichen, die häufig wechseln und sich nicht so gut auf die Bewohner einstellen können", sagt Gerlach. Dabei habe es sogar Hinweise auf Gewalt in der Pflege gegeben.

Beschwerden führen immer wieder zu Unstimmigkeiten

Obwohl sich Betroffene und Angehörige aus Angst vor Repressalien oft lange mit Beschwerden zurückhielten, steigen die Zahlen. "Die Praxis zeigt, dass es danach immer wieder zu Unstimmigkeiten kommt", bestätigt Ute Algier von der Landesarbeitsgemeinschaft Heimmitwirkung (LAG). 90 Prozent würden deswegen um eine anonyme Bearbeitung bitten, sagt Gerlach. Die LAG setzt sich für die Ausbildung von Beratern ein, die den in jedem Heim vorgeschriebenen Bewohnerbeiräten bei der Durchsetzung ihrer Interessen helfen sollen. Elf davon gibt es bisher in Stormarn, "aber wir brauchen dringend mehr", sagt Algier.

Wegen der Beschwerdeflut gerade aus Pflegeheimen müssen Gerlach und seine Kollegen zu immer mehr anlassbezogenen Prüfungen ausrücken. Allein im vergangenen Jahr waren es 30, im Jahr davor 25. Zum Vergleich: Im die Jahre 2011 und 2012 umfassenden Berichtszeitraum gab es zusammen nur 14 Sonderprüfungen. Einrichtungen der Eingliederungshilfe (EGH), in denen Erwachsene mit geistiger, körperlicher oder psychischer Behinderung leben, seien erfahrungsgemäß seltener betroffen, Altenheime und Einrichtungen der Kurz- oder Tagespflege kontrolliert die Behörde ohnehin nur bei besonderem Anlass, so Gerlach

Manchen Betreibern ist die Erfüllung der Auflagen zu teuer

Den enormen Arbeitsaufwand, den die anlassbezogenen Beschwerden und auch die Nachverfolgung der bei der regulären Prüfung festgestellten Mängel verursachen, erklärt Silva Krause von der Heimaufsicht so: "Für die Überprüfung ist es meistens notwendig, die Pflegeheime zu besuchen, mit den Bewohnern, Mitarbeitern und der Heimleitung zu sprechen und die Dienstpläne zu kontrollieren. Dazu kommt noch eine Beratung, wie die Probleme vermieden werden können." Es folgten Fristen, binnen derer die Mängel abgestellt werden müssen. Ordnungsgeld und scharfe Maßnahmen, wie der Aufnahmestopp für neue Bewohner, seien jedoch selten. "Für uns ist wichtig, dass den Bewohnern geholfen wird und nicht, dass der Betreiber eine möglichst hohe Strafe zahlt", verdeutlicht sie die Ziele ihrer Behörde. Trotz der Vielzahl der Verstöße seien diese überwiegend leichterer Natur, weswegen von Seiten der Heimaufsicht keine Strafanzeige hätte gestellt oder Heime geschlossen werden müssen. "Allerdings kommt es vor, dass Betreiber von sich aus aufgeben, wenn ihnen die Erfüllung der Auflagen zu teuer wird", so Krause

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Anzeigen wegen Pflegemängeln hat es aber sehr wohl von Betroffenen und Angehörigen gegeben. Im Gerichtsbezirk Lübeck (der die Hansestadt Lübeck und die Kreise Stormarn, Herzogtum Lauenburg und Ostholstein umfasst) liegt die Zahl der vom Sonderdezernat für Verfahren gegen Pflegekräfte wegen Pflegemängeln geführten Verfahren seit 2012 bei ungefähr 20. "Im vergangenen Jahr gab es allerdings einen Anstieg auf 29 Fälle", untermauert Oberstaatsanwältin Ulla Hingst die Problematik.

Für reguläre Prüfungen bleibt kaum noch Zeit

Um die Fälle zu bearbeiten, müsse die Heimaufsicht Schwerpunkte setzen, die einmal jährlich vorgeschriebenen Regelprüfungen gerade bei den unauffälligen EGHs zurückstehen, erläutert Ingo Lange, der als Fachdienstleiter Öffentliche Sicherheit auch für die Heimaufsicht verantwortlich ist, das Vorgehen seiner Behörde. Mitarbeiterin Silva Krause ergänzt: "Die Menschen in Pflegeheimen sind oft hochbetagt, können sich kaum artikulieren und damit entsprechend schutzbedürftiger als die Bewohner in der Eingliederungshilfe." Aus diesem Grund konnten von den Einrichtungen der Eingliederungshilfe im Kreis mit 19 von 36 fast die Hälfte im vergangenen Jahr keiner regulären Prüfung unterzogen werden. Im Jahr 2015 waren es sogar nur zehn von damals noch 37. Bei den Pflegeheimen fiel sie immerhin nur in zwei beziehungsweise sechs aus. "Dafür werden wir jedes Jahr vom Sozialministerium gerügt, das keine Abwägung vorsieht", sagt Lange.

Sollte dieser Zustand noch länger anhalten, könnte sogar eine sogenannte fachaufsichtliche Weisung an den Landrat drohen, bei der ihn das Kieler Ministerium verpflichtet, die im Selbstbestimmungsstärkungsgesetz (SbStG) niedergeschriebenen Vorgaben einzuhalten. "Wir werden die Entwicklung noch bis zu den Haushaltsberatungen des Kreises im Herbst abwarten", sagt der Fachdienstleiter. Sollte die Flut an Beschwerden anhalten, müsste im Fachdienst Öffentliche Sicherheit umorganisiert oder mehr Personal beschäftigt werden. Derzeit sind die vier mit der Heimaufsicht befassten Mitarbeiter auch noch für andere Fachgebiete verantwortlich, kümmern sich zum Beispiel um die Ausstellung von Jagdscheinen. Mehr Personal müsste allerdings mit der Politik abgestimmt werden. Lange sieht dem jedoch gelassen entgegen: "Die waren in den vergangenen Jahren immer auf unserer Seite."

Haben auch Sie als Angehöriger oder Betroffener schlechte Erfahrungen mit Stormarner Pflegeheimen gemacht? Dann schreiben Sie uns eine E-Mail an stormarn@abendblatt.de oder per Post an Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn, Große Straße 11/13 in 22926 Ahrensburg. Oder rufen Sie uns an unter Telefon 04102/8865-0. Lesen Sie hier einen Kommentar zu dem Thema

Marc R. Hofmann


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