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Vorwürfe gegen Polizeieinsatz

Ferat Koçak und Niklas Schrader von der Berliner Linken fordern Rechtsschutz für Betroffene von rassistischen Kontrollen und Polizeigewalt. Foto: dpa/Christoph Soeder

"Übertrieben und unverhältnismäßig" finden die Berliner Linke-Abgeordneten Ferat Koçak und Niklas Schrader einen Einsatz der Polizei gegen vier Aktivist*innen in der Nacht vom 2. auf den 3. Juli in Kreuzberg. Eine Antwort des Berliner Senats auf eine Schriftliche Anfrage der beiden Politiker zum "Vorwurf der Polizeigewalt", die "nd" vorliegt, zeige weitere "Ungereimtheiten".

Vor einem Monat stießen vier junge BIPoC (Schwarze, Indigene, nicht-weiße Menschen) und Klimaaktivist*innen auf eine Personenkontrolle an der Skalitzer Straße. Einer von ihnen, Rafid Kabir, berichtet später in den Sozialen Medien und auch gegenüber "nd", dass sie wegen des Verdachts, die Maßnahme filmen zu wollen, an eine Wand gestellt worden seien und er selbst mit Gewalt zu Boden gedrückt wurde. Anschließend hätten die Polizisten ihre Handys beschlagnahmt und sie gezwungen, die Passwörter zu verraten.

Ferat Koçak traf sich im Nachgang mit den betroffenen Aktivist*innen, die ihm von erniedrigender und gewalttätiger Behandlung durch die Berliner Polizei berichteten. "Unsere Anfrage ergab, dass die Zahl der Polizeikräfte während der Maßnahmen von fünf auf 19 anwuchs. Niemand kann mir erzählen, dass dies bei einem Einsatz gegen vier junge Aktivist*innen verhältnismäßig ist", teilt Koçak "nd" mit. Außerdem bestätigte die Antwort des Senats, dass die Beamten einem Aktivisten Handfesseln anlegten und vier Handys beschlagnahmten, was mit der "Verletzung der Vertraulichkeit des nicht öffentlich gesprochenen Wortes und der Bitte des Betroffenen, nicht gefilmt werden zu wollen" begründet wird. Dieser Darstellung hätten die Aktivist*innen "entschieden widersprochen", so Koçak weiter.

Niklas Schrader hält die Aussage, dass die kontrollierte Person nicht gefilmt werden wollte, für unglaubwürdig. "Das Filmen stellt für die Polizei eine große Provokation dar. Aber Polizeieinsätze sind öffentlich und es ist nicht strafbar, sie zu filmen", sagt er zu "nd". Zudem seien die Aktivist*innen, wie Rafid Kabir im Juli gegenüber "nd" berichtete, nicht einmal dazu gekommen, den Einsatz auf Video aufzunehmen. Dennoch hätten die Polizisten Videos von ihren Handys gelöscht. Eine Nachfrage von Koçak und Schrader dazu könne wegen des "laufenden Ermittlungsverfahrens" derzeit nicht beantwortet werden, heißt es in der Senatsantwort.

Schließlich hätten die Aktivist*innen Ferat Koçak erzählt, dass eine*r von ihnen während der Polizeimaßnahme eine Panikattacke erlitten habe. Auf die Frage, ob dies erkannt und entsprechende medizinische Maßnahmen ergriffen worden seien, lautet die Antwort des Senats schlicht und einfach: "Nein." Ferat Koçak findet: "Es ergeben sich viele Fragezeichen durch die glaubhafte Darstellung der Aktivist*innen und die Senatsverwaltung gibt sich wenig Mühe, den Vorgang ordentlich zu beleuchten." Für ihn sei es "unerträglich, dass alle Betroffenen von Rassismus betroffen sind. Das wirft ein weiteres, ungutes Schlaglicht auf die Vorkommnisse dieser Nacht".

Für Niklas Schrader ist der Einsatz exemplarisch dafür, "dass Betroffene von Polizeikontrollen Möglichkeiten brauchen, effektiven Rechtsschutz gegen augenscheinliche Polizeigewalt oder Racial Profiling wahrzunehmen". Zwar werde laut dem Senat nicht nur gegen die Aktivist*innen, sondern auch gegen die Polizei wegen "Körperverletzung im Amt" ermittelt. "Aber das geschieht meistens nicht neutral. Oft decken Polizeikräfte sich gegenseitig und haben dadurch die höhere Glaubwürdigkeit", kritisiert er gegenüber "nd". Daher begrüßt er, dass es mit dem Verwaltungsrichter Alexander Oerke seit Kurzem einen Bürger- und Polizeibeauftragten gibt, der rassistische Kontrollen und Polizeigewalt aufklären soll. Allerdings sei Oerke gerade erst gewählt worden und noch nicht eingearbeitet.

Außerdem sei der Umgang mit People of Color eine Frage der Ausbildung. "Rassismus ist etwas Alltägliches. Sich dem zu stellen, wäre ein erster Schritt. Da ist noch viel Luft nach oben", findet der Linke-Abgeordnete. Positiv sei, dass derzeit eine Studie der Technischen Universität Berlin laufe, die die Polizeiarbeit in der Praxis diskriminierungskritisch untersucht. Die Berliner Linke setze sich außerdem dafür ein, dass die Polizei nach einer Maßnahme Kontrollquittungen ausstellen muss, wie es in Bremen bereits Pflicht ist. So sollen rassistische und diskriminierende Einsätze besser nachvollzogen werden können.

Bezüglich des aktuellen Falls der vier Aktivist*innen ist Schrader allerdings pessimistisch: "Wir erwarten nicht, dass durch unsere Anfrage der Vorfall aufgeklärt wird." Es gehe vor allem darum, ein Signal an die Betroffenen zu senden, dass sie gehört werden, und an die Behörden, dass man ihnen genau auf die Finger schaue.

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