Eine Münchner Familientherapeutin rät Eltern, deren Kinder von Mobbing betroffen sind, sich nicht zuerst an die Eltern der Täter zu wenden.
Zum Schutz vor Cyber-Mobbing sollten sich Eltern vor allem mit den digitalen Kanälen beschäftigen, auf denen ihre Kinder kommunizieren.
Die Münchner Familientherapeutin Anette Frankenberger arbeitet unter anderem mit Eltern, deren Kinder unter Mobbing leiden - oder die sie davor schützen wollen. Sie warnt vor Typisierungen und hat die Erfahrung gemacht, dass Mobbing-Fälle in der Regel eine Vorgeschichte haben.
SZ: Manche Kinder werden zu Mobbing-Opfern oder -Tätern, andere nicht. Gibt es bestimmte Persönlichkeiten, die für diese Rollen typisch sind?Anette Frankenberger: Auch wenn manche Studien das nahelegen, finde ich solche Aussagen über Täter- und Opferpsychologie hochproblematisch. Mobbing kann jeden treffen. Und der oder die Betroffene ist nie selbst schuld. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Täter von heute die Opfer von gestern sind. Die Kinder, die schon einmal ausgegrenzt oder gemobbt wurden, wollen nie wieder in diese Position kommen und versuchen sich deshalb auf die andere Seite zu schlagen, um sich zu schützen.
Also hat jeder Mobbingfall eine Vorgeschichte?Die meisten Täter waren entweder schon einmal selbst Opfer oder sind es noch in ihren eigenen Familien. Deshalb ist das Stigma "Täter" problematisch. Auch, weil unter den Eltern immer schnell mit dem Finger gezeigt wird. Auch die Opfer sind nicht "typisch", sondern gerade in der Schule meistens einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Da kommt ein neuer Schüler, den anderen ist langweilig, einer fängt an, das Federmäppchen runterzuschmeißen, die anderen finden das lustig. Auf einmal geht eine Dynamik los, die wie aus dem Nichts kommt und sich schnell verstärkt. Weil das Kind vielleicht genau so verärgert oder ängstlich reagiert, wie die anderen sich das gewünscht haben, finden das alle cool - und machen weiter.
Wer spielt in dieser Gruppendynamik noch eine Rolle?Lehrkräfte und Gruppenleiter haben einen oft unentdeckten und auch unwillkürlichen Anteil an diesem Prozess. In einem Fall bekam das Schülerteam, das am schnellsten mit einer Gruppenarbeit fertig war, Belohnungspunkte. Wenn dann ein Kind langsam ist, sagen die anderen schnell: Dich wollen wir hier nicht haben. Das ist ein gut gemeintes Motivationsspiel der Lehrkraft, das aber komplett nach hinten los geht.
Machen manche Lehrer also unbewusst etwas falsch?Lehrer stehen unter Dauerbeobachtung. Das heißt, die Kinder gucken ganz genau: Was macht der oder die, was hat er an, ist der fair oder unfair? Wenn eine Lehrkraft etwas in einer Klasse tut oder ein Pädagoge in einer Gruppe, dann hat er absolute Vorbildfunktion. Wenn dann vor versammelter Mannschaft Sätze kommen wie "So blöd kann man doch gar nicht sein" oder, was ich auch schon gehört habe, "Geh nach Hause und sag deiner Mama, sie soll die Nachhilfe absagen, es hat eh keinen Sinn", dann ist das quasi eine Aufforderung an die Schüler, das auch so zu machen.
Das Ausmaß dieser Vorbildfunktion ist vielen Lehrern nicht bewusst. Ihr Job wird immer anstrengender, weil viele Aufgaben, die eigentlich Familien übernehmen sollten, in die Schulen und Einrichtungen verlagert werden. Die Lehrer sollen immer mehr auffangen und haben kaum eine Chance, sich um sich selbst zu kümmern. Deshalb fällt dann die Selbstregulation schwerer.
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