Als Mahamuud Hassan* in Deutschland ankam, dachte er, seine Flucht wäre zu Ende. Wochenlang hatten ihn Schlepper durch Europa geschleust, in Dortmund luden sie die Lkw-Ladung Flüchtlinge ab. Mahamuuds Eltern starben im somalischen Bürgerkrieg, er floh allein. Der Junge ist 17, das erzählte er auch den Mitarbeitern von Ausländerbehörde und Jugendamt. Ihr erster Satz: „Wir glauben dir nicht!" Sie hakten nach, er solle doch sein wahres Alter sagen. Die Mitarbeiter brüllten ihm ein „Verzieh dich!" hinterher und schrieben als Geburtsdatum 1995 auf den Asylantrag. Damit war Mahamuud binnen einer halben Stunde volljährig. Flüchtlinge werden auf alt getrimmt. Nach dem Schiffsunglück vor Lampedusa diskutieren Politiker eine Lockerung der Asylpolitik - in Wahrheit aber führen die Behörden vor Ort einen täglichen Kampf gegen jeden einzelnen Flüchtling. So rechnen Ämter Jugendliche älter, um sie schneller loszuwerden. Für die Städte sind junge Flüchtlinge teuer, denn kümmern muss sich das Jugendamt dort, wo sie ankommen. Ist Mahamuud 17, kann er nicht abgeschoben werden. Ihm steht ein Platz im Heim zu, Sprachunterricht, Schulbesuch. Das kostet. Ist er volljährig, reicht auch eine Pritsche in einer Turnhalle. Viele Jugendheime sind längst überfüllt, allein 2012 kamen fast 5000 Flüchtlinge ohne Eltern in Deutschland an. Juristen und Beratungsstellen berichten zunehmend von willkürlichen Altersfestsetzungen. Mahamuuds Anwälte Florentine Heiber und Peter Rennert kennen viele Fälle, sie ziehen sich über Monate. Für Mahamuud ging es von Dortmund über Gießen nach Fulda ins Asylbewerberheim. Dort gilt das Recht des Stärkeren, der Junge war nicht stark. Um ihn in die Jugendhilfe zu bekommen, beantragte Heiber einen Vormund. Die Richter befanden, sie könnten „nicht zu der Überzeugung gelangen, dass eine Volljährigkeit gegeben ist". Richter entscheiden gegen Jugendämter, auch untereinander bekriegen sich die Behörden. So räumt der Landkreis Göttingen ein, dass sein Jugendamt Volljährigkeitsbescheide schon revidiert habe. Laut dem Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge landen dort vor allem Kinder aus Hamburg. Die Hansestadt gilt als besonders hart: Zwei Drittel der Flüchtlinge erklärte sie in diesem Jahr schon für volljährig - zur Not auch mit Hilfe von medizinischen Gutachten. Diese gelten unter Ärzten als wenig aussagekräftig. In München verschwinden die Kinder schon vorher aus der Statistik. Seit Monaten geht dort die Zahl der minderjährigen Flüchtlinge dramatisch zurück. Nach einem internen Bericht der Migrationspolitischen Runde, der FOCUS vorliegt, „lässt das auf eine andere Altersfeststellungspraxis schließen". Wie hartleibig Behördenmitarbeiter sein können, zeigte sich bei Mahamuud.Trotz Gerichtsbeschluss blockierte das Jugendamt seine Aufnahme im Jugendheim. Erst nach zwei Monaten gab es nach. In vielen anderen Fällen gewinnen die Behörden. Sie klagen mitunter über mehrere Instanzen - währenddessen werden die Flüchtlinge von ganz allein 18.
*Name von der Redaktion geändert