FrankfurtNach der Bundestagswahl 2017 steht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor einer historischen Herausforderung. Denn zum ersten Mal in der bundesrepublikanischen Geschichte könnte es eine Drei-Parteien-Koalition aus Union, FDP und Grünen geben. Gerade die beiden kleinen Koalitionspartner liegen bei vielen Themen über Kreuz, unter anderem bei der Euro-, Energie- und Industriepolitik. Die Verhandlungen dürften also zäh werden - und könnten sogar scheitern. Diese neue Unsicherheit stößt auf Missgefallen an den Märkten - doch heftige Kursreaktionen bleiben am Montag aus.
Der Euro rutscht bis zum Mittag um einen halben US-Cent auf 1,1895 Dollar. Dax und EuroStoxx50 notieren kaum verändert bei 12.609 und 3539 Punkten. „Angesichts des klaren pro-europäischen Momentums an den Märkten erwarten wir keine nachhaltig negativen Auswirkungen des Wahlergebnisses", sagt David Folkerts-Landau, Chefvolkswirt bei der Deutschen Bank. Es sei gut für Deutschland, die Europäische Union und die Welt insgesamt, dass so eine erfahrene Regierungschefin wie Angela Merkel (CDU) am Ruder bleibe.
Deutschland müsse sich nun - gemeinsam mit Frankreich - stärker für notwendige Reformen der EU engagieren, auch mit Blick auf möglichen Gegenwind aus der italienischen Politik, den Brexit und geopolitische Herausforderungen, so Folkerts-Landau weiter. „Mit ihrer Erfahrung und ihrem rationalen, nicht testosterongesteuerten Ansatz ist Merkel prädestiniert für diese Rolle."
Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg, sieht an den Märkten zunächst ebenfalls „wenig Aufregung". Zwar habe der Euro im asiatischen Handel etwa einen halben US-Cent zum US-Dollar verloren. Diese Bewegung sei aber nicht größer als in den Tagen vor der Wahl und könnte zudem andere Ursachen haben. „Damit bestätigt sich einmal mehr, dass politische Börsen kurze Beine haben", sagt Burkert.
Allerdings könne die neue Koalition den Trend relativ zum Rest Europas mittel- bis langfristig beeinflussen. Die Rede zur Lage der Union von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in diesem Monat und die anstehende Grundsatzrede zur Europapolitik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Dienstag zeigten, dass sich die Hauptakteure in Stellung bringen.
Vor diesem Hintergrund dürften die Koalitionsverhandlungen in Deutschland auf europäischer Ebene genau beobachtet werden. Denn die FDP habe vor der Wahl einige der von Macron vorgeschlagenen Vertiefungen der Währungsintegration strikt abgelehnt. Das Wahlergebnis in Deutschland könne insofern zum Bremsfaktor werden, so Burkert.
Die niederländische Direktbank ING-Diba vermutet eine weniger stabile Regierung, geht aber auch von Investitionen in Digitalisierung, Bildung und einigen Strukturreformen im Arbeitsmarkt aus. Dennoch könnte das Wahlergebnis Merkel schneller handlungsunfähig machen, als internationale Beobachter und Finanzmärkte denken. Ein Grund dafür sei der wahrscheinliche FDP-Gegenwind in Richtung Merkels Eurozonen-Politik. Auch nach der Wahl hatte sich FDP-Chef Christian Lindner gegen einen besser bestückten Europäischen Stabilitätsmechanismus ausgesprochen.
Vor negativen Folgen einer FDP-Regierungsbeteiligung für die Anleihen südeuropäischer Staaten hatte der US-amerikanische Vermögensverwalter BlackRock bereits vor der Wahl gewarnt.