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Column

Auf ein kurzes Wort: Mut

Ein Fall von Mut geht mir in diesen Wochen nicht aus dem Kopf: die Zivilcourage der getöteten Tuğçe Albayrak. Sie tat mutmaßlich etwas, wozu der Rapper Blumio die Hand-aufs-Herz-Fragen textete:
"Was hättest du gemacht? Was hätte ich gemacht?"
Sie schritt ein, als sie zwei Teenager von drei älteren Jugendlichen bedroht sah; für dieses Einschreiten "rächte" sich einer der drei, gerade 18 geworden, an ihr mit einer Tätlichkeit, an deren Folgen, einer schweren Hirnverletzung, sie auf einer Intensivstation nach 13-tägigem Koma mit genau 23 Jahren gestorben ist.

Sie war eine Lehramtsstudentin für Deutsch und Ethik. Im Lexikon der Ethik von Otfried Höffe wird beim Stichwort "Zivilcourage" auf den Artikel "Tapferkeit" verwiesen, das heißt auf eine der vier Kardinaltugenden (neben Klugheit, Besonnenheit und Gerechtigkeit). Der einschlägig gebildeten Tuğçe waren all diese Moralbegriffe bestimmt bestens vertraut. Kein Zufall dürfte in diesem Zusammenhang auch sein, dass sie sich in sehr jungen Jahren bereits als Organspenderin hatte registrieren lassen. Ohne Übertreibung kann darum gesagt werden: Sie ist so hilfsbereit gestorben, wie sie gelebt hat. Und dass sie als echte Heldin – ihr Schicksal und Charakter – in den Köpfen und Herzen vieler präsent bleibt, nicht nur ein paar Wochen lang.

"Mut"-Wörter
  • Was verbindet Mut und Anblick? – Die Anmutung
  • Was verbindet Mut und Anstrengung? – Die Mühe (unsicher, ob gleicher Herkunft)
  • Was verbindet Mut und Ärger? – Der Missmut und der Unmut
  • Was verbindet Mut und Behaglichkeit? – Die Gemütlichkeit
  • Was verbindet Mut und Dienen? – Die Demut
  • Was verbindet Mut und Elend? – Die Armut (beide "mut" sind aber nur gleichlautend, nicht gleicher Herkunft)
  • Was verbindet Mut und Ersuchen? – Muten (veraltetes Stammverb)
  • Was verbindet Mut und Fühlen? – Zumute sein
  • Was verbindet Mut und Geduld? – Die Langmut
  • Was verbinder Mut und Grazie? – Die Anmut
  • Was verbindet Mut und Gutes? – Guten Mutes, wohlgemut
  • Was verbindet Mut und Herz? – Die Courage (= Beherztheit, Mut, Eifer; frz. le cœur = das Herz)
  • Was verbindet Mut und Hybris? – Der Hochmut
  • Was verbindet Mut und Können? – Die Kühnheit
  • Was verbindet Mut und Meinung? – Die Mutmaßung und die Vermutung
  • Was verbindet Mut und Seele? – Das Gemüt
  • Was verbindet Mut und Tapferkein? – Der Heldenmut
  • Was verbindet Mut und Überforderung? – Die Zumutung
  • Was verbindet Mut und Wille? – Die Moral (lat. mos = Sitte, Wille)
  • Was verbindet Mut und Zärtlichkeit? – Die Sanftmut
  • Was verbindet Mut und Zorn? – Der Mutwille, der Übermut und das Mütchen (alte Bedeutung von Mut = Erregung, Zorn, Bosheit)
Wir Gemütswesen

Ich vermute, dass der meistzitierte "Mut"-Satz der Philosophiegeschichte ein Dichterwort ist, penibler gesagt: zwei Wörter. Im Lateinischen zumindest; denn es handelt sich bei dem Dichter um einen alten Römer. Übersetzungen dieser Maxime ins Deutsche pflegen nicht ganz so kurz und bündig zu geraten. Dem Dichterphilosophen Friedrich Schiller gelang noch eine der schlankesten Wiedergaben: "Erkühne dich, weise zu sein!" (im achten der 'Ästhetischen Briefe'). Die umständlichere von Kant ist dennoch die berühmtere Fassung: "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" Sie findet sich in dem Aufsatz, den der Königsberger Vernunftkritiker als Antwort auf eine Umfrage unter Gelehrten verfertigte: "Was ist Aufklärung?" Und er fügte das von Horaz stammende Original – "sapere aude" – rücksichtsvoll hinzu.

Mutige riskieren etwas. Gilt das für die anderen nicht? Wie man's nimmt. Hinsichtlich der heutigen "Risikogesellschaft" nehmen Risiken nicht nur diejenigen auf sich, die furchtlos mitmachen, sondern auch diejenigen, die sich furchtsam zurückhalten. Ob man will oder nicht, man legt Mutproben ab. Denn die Gefahren lauern überall, wohin man sich auch wendet. Altmodisch, mit Goethes Worten ("Beherzigung"), aufgezählt:

Ist es besser ruhig bleiben, klammernd fest sich anzuhangen? Ist es besser, sich zu treiben?
Soll man sich ein Häuschen bauen? Soll man unter Zelten leben?
Soll man auf die Felsen trauen? Selbst die festen Felsen beben.

Das mannigfache Dilemma in puncto Lebenspraxis ist auch wissenschaftstheoretisch ein kritischer Befund. An der Unsicherheit führt – gerade beim Gebrauch des je eigenen Verstandes – kein Weg vorbei.

Ist es besser gläubig bleiben oder Kernphysik zu treiben?
Soll man ganz auf Gott vertrauen oder auf die Forschung bauen?
Liegt im Wissen ein Behagen? Ungemütlich ist das Fragen.

Eines Besseren belehrt als durch Vermutungen wird der heutige Mensch durch nichts mehr. Und ein solches Optimum ist jedes fehleranfällige Provisorium, jede Lebensentscheidung wie jede wissenschaftlich-technische Errungenschaft oder philosophisch-metaphysische Erwägung. Überall und immer wieder frischer und fehlender Mut zugleich – damit müssen und können Gemütswesen leben.

(ABC-Bild: Tim Reckmann / pixelio.de)