Wenn ein geliebter Mensch gestorben ist, ist es nur allzu menschlich,
zu wünschen oder zu glauben, dass er irgendwo irgendwie weiterlebt,
sodass er denen weiterhin zur Seite stehen kann, die er zurückgelassen
hat. Mit dem geliebten Verstorbenen ist es also ganz ähnlich wie mit
Gott: wir sehen nicht, können uns aber gut vorstellen, dass er in einem
anderen und höheren Sinne gegenwärtig ist.
Weil beides genauso gut für eine bloße Wahnvorstellung gehalten
werden kann, wird es auch oft genug für eine solche gehalten: alle
Gestorbenen seien und blieben tot, und ein überweltliches Wesen
existiere nicht. Auch diese Ansichten sind allzu menschlich. Sie können
weder widerlegt noch bewiesen werden, ebenso wenig wie das Leben nach
dem Tod und die Existenz Gottes. Alles bleibt in diesen Fragen in der
Schwebe.
Dadurch kann man sich als Mensch vor die vielleicht grundlegende
Lebensfrage gestellt sehen, ob man hier überhaupt eine Haltung einnehmen
will und, wenn ja, welche. Wir haben die Wahl, können die eine oder
andere Überzeugung annehmen oder unentschieden bleiben. Die
Unentschiedenen werden sich indessen zugestehen müssen, der einen
Überzeugung persönlich doch näher zu stehen als der gegenteiligen. Denn
in existentiellen Angelegenheiten gibt es keine persönliche Neutralität,
sondern nur das Entweder-Oder. Will ich also mit oder ohne den
(metaphysischen) Glauben leben? Mit wissenschaftlichen Argumenten ist
dieser Frage letztlich nicht beizukommen, nur mit Wertschätzungen.
"Wofür schlägt mein Herz?" kann sie darum auch lauten.
An dieser Stelle kenne ich kein Zögern und Zaudern mehr und keine
Alternative mehr zum größeren Herzen. Ich setze alles auf Gottes
unendliche Barmherzigkeit, auf die denkbar größte Liebe, auf das
erfüllteste, den Tod überwindende Leben. Obwohl ich in diesen Dingen
sehr bald an die Grenze meines Vorstellungsvermögens gelange, bin ich
mir doch gewiss, den mächtigsten Bündnispartner zu haben, der mich einst
schauen lässt, was im allzu menschlichen Leben ein unlösbares Rätsel
bleibt.
HINWEISE
- Dawkins: Der Gotteswahn
- Kierkegaard: Entweder – Oder
- Neues Testament: Erster Korintherbrief
- Pascal: Gedanken
- Ricken: Glauben weil es vernünftig ist